
Murder in the family!
Sechs Jahre ist es her, dass Elizabeth Bennet und Fitzwilliam Darcy geheiratet haben. Welch eine verwirrende Odyssee der Gefühle, Missverständnisse, Intrigen, gesellschaftlicher Turbulenzen und persönlicher Reifung, bis es endlich soweit war! Jane Austen breitete all das in ihrem Roman »Pride and Prejudice« (»Stolz und Vorurteil«) lückenlos aus; seit er 1813 erschien, wurde er zwanzigmillionenfach gelesen und zehn Mal verfilmt. Baroness Phyllis Dorothy James schaut nun nach, wie es den Eheleuten und ihren beiden Söhnen im Herbst 1803 auf ihrem Landsitz Pemberley ergeht. Und was müssen wir feststellen? Oh dear – murder in the family!
Schon lange bevor die schreckliche Nachricht auf Pemberley hereinstürzt, ist Mr Darcy besorgt. Denn ist es angebracht, den traditionellen festlichen Herbstball auszurichten, wenn das Königreich bald gegen den französischen Bonaparte in den Krieg zieht? Doch eine Absage des Ereignisses würde ganz Paris in Jubel ausbrechen lassen, und obendrein befindet Darcy, »dass nichts der Moral zuträglicher sei als ein wenig harmlose Unterhaltung«.
So wurden die Einladungen verschickt, und während die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen, bringt uns die Autorin auf den neuesten Stand, was aus all den Menschen wurde, die »Pride and Prejudice« bevölkerten.
Am Abend vor dem Fest sitzt man wie immer im Familienkreis bei Kerzenschein und Klaviermusik im Salon. Draußen waren dunkle Wolken aufgezogen, ein Sturm braut sich zusammen. Plötzlich rast eine schlingernde Kutsche auf das Anwesen zu. Der Kutscher knallt mit den Zügeln auf die Pferde ein. Man hört die Räder nicht, sieht nur die »sturmgepeitschten Pferdemähnen, die wilden Augen und angespannten Flanken der Tiere«. »Eine wahre Geisterkutsche«, geht es Elizabeth durch den Kopf, »ein schrecklicher Vorbote des Todes«. Eine schwarz gekleidete Frau stürzt »hemmungslos kreischend« aus der Kutsche – Elizabeths eigenwillige Schwester Lydia, die einst mit dem zwielichtigen Offizier George Wickham durchbrannte und ihn dann heiratete. Ihre verzerrten Worte sind kaum zu verstehen: »Wickham ist tot! [Captain] Denny hat ihn erschossen!« Dann bricht sie schluchzend zusammen.
Nach dieser schaurigen Szene (P.D. James kann auch »Wuthering Heights« ...) wird Darcy den Ball auf Pemberley wohl doch absagen müssen. Ein Mord in besten Kreisen! Das Verbrechen am (wenn auch ungeliebten) Schwager muss aufgeklärt, der Täter seiner gerechten Strafe zugeführt werden.
Versteht sich, dass die Recherche vor zweihundert Jahren nach Gutsherrenart erfolgte. Man hört und wägt, was Betroffene, Zeugen und hohe Herrschaften zu sagen haben. Wes Standes eine Person ist, was für ein Leumund ihr vorausweht, das kann über Wohl und Wehe entscheiden. Wenn man doch schon »das Blut eines Menschen von dem eines anderen unterscheiden« könnte! Doch davon ist die Wissenschaft noch weit entfernt.
Der Prozess geht zügig über die Bühne. Der Angeklagte mag seine Unschuld noch so sehr beteuern, es ist plausibel, dass er der Mörder war, und eine lückenlose Beweiskette kann niemand liefern. Am Ende zählt das Urteil der Geschworenen, und das fällt einstimmig. Der Richter folgt ihrem Spruch, und schon erwartet den Sünder der Strang. Aber unsere Autorin hat bereits zuvor einige Wendungen eingefädelt und einen anderen Täter im Ärmel; er wird sich einem höheren Richter stellen müssen.
Es wird keinen Leser überraschen noch schmerzen, dass dieser Kriminalroman nicht gerade birst vor Spannung. Wenn eine exquisite Schriftstellerin wie Baroness James die Geschicke einer von Jane Austen in Szene gesetzten Familie weiterspinnt, stehen natürlich subtile Charaktere, ihre Beziehungen untereinander, die Gesellschaft und eine erlesene sprachliche Gestaltung im Vordergrund, nicht das Detektivische. Das Böse und Hinterhältige bricht aus der menschlichen Natur hervor, wenn diese nicht unter der Kontrolle der Zivilisiertheit gehalten werden kann oder will.
A und O menschlicher Existenz sind Einkommen und öffentliches Ansehen. Droht der Reputation Schaden, etwa nach einem unbedachten Fehltritt, so lässt sich vieles mit Geld aus der Welt schaffen. Austen-Fans wissen: Auch Darcy hat mehr als einmal gezahlt ...
In vielerlei Hinsicht wirkt das Großbritannien vom Anfang des 19. Jahrhunderts bei P.D. James ebenso weit entrückt wie bei Jane Austen. Immerhin lässt sie mehr Alltag zu: In vornehmen Herrenhäusern wie Pemberley gab es ein Wasserklosett; in den Städten und einfachen Häusern stanken die Verhältnisse dagegen bekanntlich zum Himmel. Die privilegierten Kreise lebten angenehm (wenn auch noch nicht annähernd ›komfortabel‹ in unserem Sinne), dezent umsorgt von einer Dienerschaft, die ihre oft ererbten Aufgabenbereiche eifersüchtig verteidigte und für eine halbwegs sichere Unterkunft geringes Einkommen und manche Demütigung hinnahm.
Frauen waren in allen Schichten enge Grenzen gezogen. Sinn und Zweck ihres Daseins ist allein die Verheiratung, und sie dient in erster Linie der Absicherung. Glücklich können die sein, deren Ehemann aufgeklärt genug ist, um einzuräumen, »dass auch Frauen eine Seele besitzen«. Anzuerkennen, dass »sie auch über Verstand verfügen«, wäre revolutionär, denn müsste man ihnen dann nicht sogar ein »Mitspracherecht« zugestehen?
Den Ritterschlag erteilte »Death Comes to Pemberley« die BBC, indem sie den Roman in eine vierteilige Miniserie wandelte (soeben auf DVD erschienen: »Death Comes to Pemberley – BBC«
). Gewiss wird sie auch bald im deutschsprachigen Fernsehen ausgestrahlt und der harschen, komplizierten Gegenwart schöne Bilder und gepflegte Sitten aus einer (vermeintlich) besseren Vergangenheit im einst großen Britannien entgegensetzen..
Ach wie schön, dass P.D. James (von Michaela Grabinger stilsicher übersetzt) die gute alte Literaturepoche um Jane Austen, George Eliot und die Brontë-Schwestern noch einmal aufleben lässt. Das reicht dann aber auch wieder für ein paar Jahrzehnte.