Rezension zu »Der Sturm« von Per Johansson

Der Sturm

von


Krimi · Fischer · · Gebunden · 336 S. · ISBN 9783100170262
Sprache: de · Herkunft: se

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Aufgeflogen!

Rezension vom 28.01.2013 · 3 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Ein Schlüsselroman? Ein Skandal? Ein literarisches Attentat zweier Journalisten auf einen ungeliebten Kollegen? Kaum war deren Pseudonym-Tarnung aufgeflogen, wurde in den Feuilletons heiß diskutiert, ob die Autoren Thomas Steinfeld (Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung) und Martin Winkler Rache nehmen wollten, als sie einen Krimi schrieben, in dem einer, der dem FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher bis ins Detail ähnelt, mit der Schaufel den Schädel zertrümmert bekommt.

Uns Lesern kann die Aufregung egal sein, denn wir wollen in erster Linie gut unterhalten werden; ob darüber hinaus jemand mit diesem Buch jemanden piesacken mochte, spielt dabei allenfalls eine periphere Rolle.

Wie steht es also um diesen "schwedischen" Krimi "Stormen" (gibt es nicht), den angeblich der Schwede "Per Johansson" (gibt es auch nicht) geschrieben und "Alexandra Grafenstein" (... genau!) aus dem Schwedischen übersetzt hat? Überzeugt hat er mich nicht.

Bertil Cederblad, 60, fährt zu seinem ererbten Bauernhof aufs Land nach Südschonen. Der pensionierte Lehrer und Genießer schöner Flora, besonders zum Frühlingserwachen, sucht hier die Stille in der Abgeschiedenheit. Doch welch grausamer Anblick erwartet ihn, als er vor dem Scheunentor steht: ein Ensemble zerfetzter Körperteile! Nur die eleganten Maßschuhe - Brogues vom Schuhmacher "Hutmacher" (haha - gibt's aber nicht) - sind vollständig erhalten; die in ihnen steckenden Beine allerdings sind bis auf die Knochen abgenagt. Wer tut so etwas? Für Bertil keine Frage: der Dachs. Der hat Hunger und eine Großfamilie in seinem weit verzweigten Bau zu ernähren.

Als das Tier Tage später Hausputz hält und alles Unnütze einfach hinaus in die Umwelt entsorgt, findet Bertil zerrissenes Tuch, Knöpfe und Hausschlüssel. Anhand von deren registrierter Nummer ist der Besitzer schnell ermittelt: Christan Meier aus Berlin. Den kennt man: Er ist ein erfolgreicher, "ein bisschen verrückter" "Chefredakteur" "einer Zeitung, die in ganz Deutschland gelesen wird", und der u.a. wegen seines Machtgehabes bei seinen Kollegen sind sonderlich gelitten ist. Zuletzt war der "big shot" einem Komplott in der Finanzbranche auf der Spur.

Die Polizei tut ihre nötigste Pflicht - nicht mehr; aber es ist nicht ihre Arbeit, die wir verfolgen, sondern die eines kleinen, als unfähig geltenden Lokalredakteurs, der sich in dem Fall festbeißt. Ronny, 49, empfindet sich als "alt, von Faulstoffen lebend, mit einem schrumpeligen Kopf, [...] giftig". Jetzt ist seine Stunde gekommen, die Verantwortung ruft! Denn er hatte den Toten mit seinen edlen, auf Hochglanz gewichsten Schuhen wenige Tage vor dem Mord an einer Tankstelle gesehen.

Das war's fürs Erste, was Spannung angeht. Während Ronny sein Wissen hübsch für sich behält, reisen wir über den großen Teich. Am Pulsschlag der Indizes agiert an der Wall Street ein ganz Großer: Richard Grenier, Chef von "The Cloud Matters", verkauft Sicherheitssysteme an Großbanken. Jetzt haben Hacker seine Firewalls geknackt und über Backdoor-Trojaner unauffällige Excel-Dateien platziert - und schon sind sie im Besitz wertvoller Kundendaten: Passwörter, Kontobewegungen, Kreditvereinbarungen, Sicherheiten ... Der Aktienhandel ist im freien Fall. Grenies IT-Spezialisten können die Spuren zurückverfolgen. Die Angreifer sitzen mit ihren Servern in den Niederlanden und Schweden, dem Land von Wikileaks und Konsorten.

Während sich das worst-case-Szenario des schieren ökonomischen Weltuntergangs anbahnt, tobt in Schweden ein alles verwüstender Sturm. Was wir natürlich gleich als klassisch-abgegriffenes Symbol durchschauen, wird paradoxerweise für Ronny zum Glücksfall: In dieser tosenden Nacht wird er, der bei seiner Angebeteten, der ihn betörenden Benigna, bis dato nie landen konnte, endlich Erfüllung finden. Doch die Ernüchterung folgt auf dem Fuße. Benigna macht ihm keine Hoffnung auf eine Fortsetzung: "Es gibt Wichtigeres zu tun im Leben".

Zum Beispiel im Fall Meier. Der erhält nach 200 Seiten Geplänkel rund um die Mechanismen der Finanzwelt, um Gegenbewegungen hin zu einer Welt jenseits des Kapitalismus, um diverse Todesfälle, an die Tür genagelte Katzen, Autoschiebereien und IKEA-Möbel wieder Auftrieb, durch welchen zunächst sein verschollener Luxus-BMW aus einem Entwässerungsgraben emporquillt.

Auf den letzten 23 Seiten werden schließlich alle Zusammenhänge in einem Gespräch zwischen Ronny und Benigna erklärt, wie weiland bei Agatha Christie, und dabei stellt sich u.a. heraus, dass der vermeintliche Mörder gar kein Mörder, sondern ein guter Mensch war.

Aber darauf kommt es gar nicht an. Denn ebenso, wie dieser Roman als "schwedisch" und der Autor als "Per Johansson" getarnt daherkommt, dient auch die Krimi-Handlung um die brutal wie bei Mankell verstümmelte Leiche nur als Köder, um etwas Größeres zu vermitteln - Kapitalismuskritik vielleicht, oder Warnung vor den entfesselten globalen Computernetzwerken oder den intransparenten Machenschaften der Spekulanten oder - ... na, Sie wissen schon. Auf jeden Fall bauen die beiden Autoren ein recht komplexes Geflecht aus Strippenziehern auf, bei deren Schiebereien der deutsche Chefredakteur quasi als windfall profit ins Gras beißen muss.

Die Botschaft ahn' ich wohl, allein mir fehlt der Durchblick. Das Anliegen ist ja nicht neu und wurde schon mehrfach mit Erfolg fiktional gestaltet. Hier aber bleiben die Autoren doch ziemlich an der verbalen Oberfläche - da purzeln zwar die einschlägig relevanten Begriffe, doch Tiefe bewirken sie ebenso wenig, wie der Krimi-Plot Spannung erzeugt.

Welche Funktion hat dann eigentlich die offensichtlich nur unzureichend verblümte persönliche Attacke der Autoren auf einen echten Journalisten-Kollegen? Dahinter steht wohl tatsächlich persönliche Rache aus tiefgreifenden Meinungsunterschieden. Thomas Steinfeld arbeitete ab 1994 bei der FAZ unter Herausgeber Frank Schirrmacher, erst als Redakteur, dann als Ressortleiter Literatur; 2001 kam es zum Bruch, und er wechselte zur Süddeutschen Zeitung. Steinfeld kennt Schirrmacher bestens - und auch Orhan Pamuk, dessen enthusiastisches Urteil ("beste und intelligenteste Kriminalroman") den Umschlag ziert ...

Für Insider war die Tarnung als Schweden-Krimi derart durchsichtig, dass man annehmen muss, ihr baldiges Auffliegen sei gewollt gewesen. Alles in allem war das Ganze nichts als ein Marketing-Coup, um die Aufmerksamkeit des schwierigen Marktes zu stimulieren. So ein Schuss kann auch schon mal kräftig nach hinten losgehen, denn nicht jeder Buchkäufer will sich für dumm verkaufen lassen. Am Ende ist nicht nur der Gag aufgeflogen, sondern auch die nur durchschnittliche Qualität des Buches.


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