Rezension zu »Suchbild mit Katze« von Peter Henisch

Suchbild mit Katze

von


Belletristik · Deuticke · · Gebunden · 208 S. · ISBN 9783552063273
Sprache: de · Herkunft: at

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Überblicke, Rückblicke, Einblicke

Rezension vom 14.12.2016 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Seit er sich erinnern kann, pflegt Peter Henisch eine schöne Vorliebe. Er macht es sich am Fenster bequem und schaut hinaus auf die Welt, lässt den Blick schweifen, verweilt hier und da, folgt Hinweisen und Per­sonen, studiert gleichzeitig – quasi auf einer ob­serva­tori­schen Meta­ebene – die Wechsel­wirkung zwischen dem Gesehe­nen und seinen Gedanken und Empfin­dungen. Als gereifter, sprachlich sensibler Autor fasst er all dies in einen munter dahin­fließenden Plauder­ton, und man wird als Leser nicht satt, sich zu freuen und zu staunen, was da so alles vorbei­treibt.

Im neuen Buch des österreichischen Schriftstellers, Journalisten und Musikers (1943 in Wien geboren) geht sein Blick vor­wiegend durch zwei Fenster der Wiener Ober­geschoss­wohnung, in der er mit seinen Eltern nach Kriegs­ende lebte. Während das Küchen­fenster recht prosa­isch den Hof mit Teppich­klopf­stange und Abfall­kübeln zeigt, weist das andere Fenster hinaus in die Stadt, wo sich Menschen tummeln, Handel und Wandel voll­ziehen und ganz am Ende das Meer lockt.

Inhaltlich geht es um Persönliches – sein eigener Werde­gang, die Eltern, Onkel Willi und die beiden Omas (wobei die »belesene« schon Haupt­person des Henisch-Romans »Eine sehr kleine Frau« war) – und Allge­meines aus Alltag, Kultur (von Filmen bis zu Anker-Bau­steinen) und Politik. Was die Lektüre so unter­halt­sam und die Atmos­phäre so menschlich und warm­herzig macht, ist (neben dem freund­lichen Kon­versat­ions­ton des Erzählens), dass der Autor gar nicht erst versucht, histo­rische oder sonstige Wahr­heiten ver­künden zu wollen. Er fühlt sich wohl dabei, sich keinem Konzept unter­ordnen zu müssen. Scheinbar rein assoziativ (»Und jetzt fällt mir der Abend ein, an dem ...«) reiht er Impres­sionen und Anek­doten, kommt vom Hölz­chen aufs Stöck­chen und miss­traut bisweilen selbst seiner eigenen Erinne­rung (»Das muss 1952 gewesen sein – oder war es 1951?«).

Ab und zu plauscht er aus den Gesprächssituationen heraus, in die ihn eine ambitio­nierte Jung­journa­listin 2015 geschleust hat. Mit Mikrofon und Kopfhörer ausge­rüstet und bestens vorbe­reitet, inter­viewt sie ihn mehrere Male – und weiß schon vorher so viel über ihn, dass ihre beharr­lichen Nach­fragen (»Aber war das nicht Old Sure­hand ..., den Sie im Bücher­regal Ihres Vaters entdeckt haben?«) ihm auf die Nerven gehen. Selbst Frau S., »die Chefin der Café­konditorei um die Ecke«, meint, aus der Zeitung schon genug über den bekann­ten Autor erfahren zu haben, um ihn hin­sichtlich der Fakten seines Lebens korri­gieren zu können (»Aber irgendwo hab ich gelesen, dass Sie eine Katze – oder war das ein Kater? – namens Murr gehabt haben.«).

Neben der Gabe einer aufmerksamen Beobachtung zeichnen Peter Henisch – den Knaben wie den Erwach­senen – eine blühende Fantasie und eine Neigung zum Träumen aus. Er kann sich nicht nur spielend in die Leute drunten auf der Gasse, sondern sogar »total ins Fell der Katze versetzen«, die neben ihm kauert und doch ganz abwesend ist, fixiert auf das Treiben der Vögel auf dem Dach gegen­über. Und wenn ratsam, distan­ziert er sich ironisch von sich selbst: »Oder soll ich den kleinen Buben [sich selbst] ... lieber Paul nennen?« Dazu animiert ihn Frau S., die auch »Eine sehr kleine Frau« gelesen hat und jetzt den Autor (Peter Henisch) nicht vom Erzäh­ler (Paul Spielmann) trennen mag.

Als dominantes Leitmotiv schleichen Scharen von Katzen, des Autors Lieblings­tiere, durch das Buch. Sie sind der Inbe­griff des scheinbar ziel­losen, gelang­weilten Herum­stromerns und des in sich ruhenden, ge­nüss­lichen Dösens; dabei sind all ihre Sinnes­organe ange­spannt, um nur ja nichts zu verpassen. In den Wohnun­gen und in freier Wild­bahn begegnen sie uns in vielen Inkarna­tionen, in allen Farben und Muste­rungen, und die profilier­testen sind durch einen Namen geehrt.

Zu den bedeutsamsten Menschen, die der Autor – pardon: der Erzähler – porträtiert, gehört sein Vater Walter. Der war nur 1,52 Meter groß, aber vielseitig talen­tiert und ein Optimist. Er war Kriegs­bericht­er­stat­ter für die Wehr­macht, später Presse- und Kunst­foto­graf. Mit handwerk­lichem Geschick hat er die Woh­nungen herge­richtet und auch für die Präsen­tation seiner Bilder genutzt. Dass darunter Aktfotos waren, sorgte bei manchen Besuchern für Verwun­derung.

Manche der Fotografien zeigten Peters geliebte Mama, und sie war min­destens so ansehn­lich wie all die Damen, die Vater »künst­lerisch« ablich­tete. Peter erinnert sich an ihre Schön­heits­pflege hinter einem abge­schirmten Wasch­tisch in der Küche, wo sie Finger­nägel lackiert, Haare zupft, Lippen über die Kontur hinaus schminkt, die alltäg­lichen Woll­sachen gegen Modi­scheres tauscht. Doch schon mit vier oder fünf Jahren spürt der Junge, dass in Mamas Herz eine leise Traurig­keit liegt, die sie wie in einem Strom lang­sam abwärts treibt.

In der gegenüberliegenden Wohnung sieht alles ganz anders aus. Da wohnt die Haus­meiste­rin mit ihrer Familie, über die man nur in gedämpf­tem Modus spricht. Mit ihrem arbeits­losen, dem Alkohol verfal­lenen Mann hat es die »abge­härmte« Frau »bestimmt nicht leicht«. Ihre Tochter Friedi ist Peters erste Vertraute. Die beiden gleich­altrigen Kinder verstehen sich gut, »auch ohne Worte«. Sie unter­halten sich per Zeichen­sprache von Fenster zu Fenster. Später treffen sie sich heimlich und zeigen einander, »was uns unterschei­det«. Mit Frauen­sachen kennt Friedi sich aus. Peters Mama, mit Stöckel­schuhen und Nylon­strümpfen, taxiert sie direkt als »mondän«, eine »feine Dame«.

Im Übrigen behüten die Eltern Henisch ihr verträumtes Einzelkind. Auf die raue Gasse soll er nicht – »die Gassen­buben sprechen nicht nach der Schrift und werfen mit Steinen«. Umso genauer betrachtet er das Spiel der Kinder (»die meisten barfuß«) auf den Schutt­hügeln, den Leiter­wagen-Mann, der »Fetzen, Bana (Gebeine)« ruft, die Musi­kanten, denen er ein paar in Zeitungs­papier gewickelte Groschen hinunter­wirft. Die Frauen tragen Kopf­tücher, die Männer Hüte; manche Kriegs­versehrte gehen auf Krücken, andere tragen dunkle Brillen, weil sie blind sind (und nicht etwa, um sich vor der Sonne zu schützen).

Da er im Kreis von Erwachsenen aufwächst, die ihn kaum wahrzunehmen scheinen, ist Peter selbst­genüg­sam, nach­denklich und altklug. Er nimmt die gehörten Wörter auf, denkt über die »eigen­artige Betonung nach«, wie bei­spiels­weise »Jud« oder »Nazi«, und nähert sich den dahinter verbor­genen Geschichten über den Klang dieser frühen Worte an. All dem in Ruhe nach­gehen zu können, empfindet er als ein Geschenk für seine spätere Arbeit. »Woher kommen wir, wohin gehen wir, wieso ist es so gekommen, was ist davon geblieben?«

Die so beiläufig und in unergründlicher Abfolge dahin­plätschern­den kurzen Episoden, Erinne­rungen und Ein­drücke ergeben einen wunder­baren Fleckerl­teppich aus zart poin­tierten Farb­tupfern, vermitteln aber auch interessante Einblicke zur Zeit­geschichte, etwa zur politi­schen Lage der in vier Zonen aufge­teilten Stadt Wien, zum heiklen Identitäts­gefühl ihrer Einwohner, zum noch viel heikleren des Landes Öster­reich, das mit dem Staats­vertrag vom 15. Mai 1955 zwischen den alliier­ten Besat­zungs­mächten und der öster­rei­chi­schen Bundes­regierung wieder ein souveräner, demo­kratischer Staat wird. Ver­glei­chende Blitz­lichter auf unsere gegen­wärtigen Verhält­nisse erweitern die Per­spektive ebenso wie die kursiv abge­setzten Passa­gen, in denen Henisch von späteren Reisen nach New Orleans, Prag, Paris, Istanbul und Isfahan berichtet. »Damals lag noch nicht soviel Angst in der Luft«.

»Suchbild mit Katze« ist ein feinsinnig erzähltes Dokument, das sehr persön­liche Ein­drücke aus der Gebor­genheit einer Wiener Kind­heit mit den sozialen, politi­schen und kultu­rellen Gegeben­heiten der Nach­kriegs­zeit und Aus­blicken auf die Gegen­wart verbindet. Gewiss wird es beson­ders die Generation an­spre­chen, die jene Jahre selbst erlebt hat und deren Erinne­rungen inzwi­schen nostal­gisch schöner gefärbt sein mögen, als die Realität war – das Cover mit Sepia-Tönung setzt auf diesen Lock­effekt. Ein Verharm­loser ist der Wiener Fenster­gucker Peter Henisch jedoch nicht. Vielleicht ein wenig altersmilde.


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