Rezension zu »Normale Menschen« von Sally Rooney

Normale Menschen

von


Marianne und Connell, alles andere als normale junge Leute, durchleben und durchleiden eine komplizierte Beziehung.
Belletristik · Luchterhand · · 320 S. · ISBN 9783630875422
Sprache: de · Herkunft: gb

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Eine verkrampfte Geschichte

Rezension vom 24.11.2020 · 4 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Ob die Autorin den Titel ihres Romans (es ist ihr zweiter) wohl ironisch gemeint hat? Marianne und Connell, die Protago­nisten, kommen aus der Ober- bzw. der Unter­schicht einer west­irischen Klein­stadt. Trotz aller sozialen Unter­schiede werden die beiden von Anfang an heftig zuein­ander hinge­zogen und genauso schnell wieder vonein­ander abge­stoßen wie die Pole eines Magneten. Über vier Jahre – 2011 bis 2015 – durch­leiden wir eine kompli­zierte On-Off-Liebes­beziehung, die die Frage aufwirft, was an diesen Figuren und ihrer Beziehung »normal«, was litera­risch reizvoll sei. Ich empfand die Geschichte, die kein Klischee und kein Extrem auslässt und mit der »Norma­lität« nicht viele Berührungs­punkte aufweist, jeden­falls als gähnend lang­weilig.

Doch schauen wir genauer hin. Connell Waldron kommt aus den ärmlichen Verhält­nissen einer »schlech­ten Familie«. Der eine oder andere Verwandte war zeitweise im Gefängnis. Connell aber, eine gut ausse­hende, durch­trainierte Sports­kanone, Klassen­bester in Englisch und bei allen Mädchen beliebt, scheint nichts »von einem Waldron« zu haben. Seine Mutter war bereits mit siebzehn schwanger und zog den Jungen alleine groß. Sie arbeitet als Putzfrau im Haushalt der reichen Sheridans, was Connell äußerst peinlich ist, könnte die Tatsache doch seinem Ansehen abträg­lich sein. Deswegen soll möglichst niemand von diesem Arbeits­verhält­nis erfahren – und schon gleich nicht von der Liebelei, die sich zwischen ihm und der Sheridan-Tochter anbahnt.

Die Sheridans sind eine der »guten Familien«. Beide Eltern sind Anwälte und wenig zu Hause. So weiß wie die Villa, so unter­kühlt ist die Atmo­sphäre darin. Die beiden Kinder sind auf sich gestellt. Alan, der Erstge­borene und ein Widerling, glaubt, dass ihm die Aufsicht über Marianne obliege, und er schreckt nicht davor zurück, sein Vorrecht mit Gewalt durchzu­setzen. Kein Wunder, hat doch auch der Vater Gefallen daran, Ehefrau und Tochter gelegent­lich zu prügeln. So tröstet sich das Mädchen mit Marcel Proust, rümpft die Nase über schnöde Äußer­lichkei­ten wie Klamotten oder Kosmetik und nistet sich fest ein in ihrer Nische als komplex­beladenes Mauer­blümchen, dem jedoch niemand das intellek­tuelle Wasser reichen könne.

Um Mariannes Selbstfindungsschwierigkeiten in der Beziehung mit Sunnyboy Connell zu beschrei­ben, muss die Autorin intellek­tuell adäquat dick auftragen: »Wenn sie bei Connell anders war, fand dieses Anders­sein nicht in ihr, in ihrem Person­sein statt, sondern in der Dynamik zwischen ihnen.« Die geheime Romanze ist ungetrübt, bis Connell als Partnerin zum Abschluss­ball ein anderes Mädchen wählt. Gut nachvoll­ziehbar, dass die zutiefst ent­täuschte Marianne sich gede­mütigt fühlt, in ihr Schnecken­haus zurück­zieht, nicht mehr zur Schule geht, für Connell nicht mehr zu sprechen ist.

Auf dem altehrwürdigen, elitären Trinity-College in Dublin verkehren sich die Posi­tionen ins Gegenteil. Dank eines Stipen­diums für litera­risches Schreiben bekommt Connell die Chance, dort zu studieren. Aber beein­drucken kann er hier niemanden mehr. Die anderen Studenten, meist Absol­venten vornehmer Privat­schulen, igno­rieren oder verachten den armen Kommi­litonen, der sich ein Zubrot an der Tank­stelle verdienen muss. Für Marianne ist der Weg ins Elite-Institut dagegen voll normal, und es dauert nicht lange, bis sie sich unter den wohl­habenden Snobs aus der Upper­class einlebt, aufblüht und sich auch äußerlich anpasst: Sie stylt sich modisch (»ich kam ans College und wurde hübsch«) und amüsiert sich auf Partys mit reichlich Alkohol und Drogen. Connell wird kaum noch wahrge­nommen (schließ­lich trägt er die falschen Klamotten) und fühlt sich nur als störender Fremd­körper, als »Voll­trottel«. So begegnen sich die beiden wieder, jetzt aber in gewisser Weise mit vertausch­ten Rollen. Marianne ist mit einem dieser »extrover­tierten … Campus-Promis« zusammen, und als Connell die Miete für sein Zimmer nicht mehr bezahlen kann, verlässt er den Campus und kehrt frus­triert in sein Provinz­kaff zurück. Mit der Liebe ist es aus.

All das ergäbe vielleicht einen ganz netten, unterhalt­samen Plot für eine Campus-Romanze. Aber die gefeierte Autorin profi­liert ihre Helden noch etwas krasser. Marianne hegt ein sexuelles Bedürfnis nach Unter­werfung und Miss­brauch (»ficken«, »würgen«, »mit einem Gürtel schlagen«), an dem nicht nur Connell verzwei­felt, sondern auch Ihre Rezen­sentin, die derlei Maso­chismus eher als Abartig­keit denn als Norma­lität empfindet und auch nicht als ein Kriterium anspruchs­voller oder anspre­chender Literatur werten mag. Auch Mariannes Mutter fehlt das Verständ­nis dafür, dass ihre Tochter Leute, die sie hassen, um Liebe anbettelt. Sie hält sie für eine unsympa­thische, frigide Persön­lichkeit, der es an »Wärme« fehlt. Wir Leser werden in patho­logisch-psycho­logische Abgründe geführt, die ziemlich platt aus dem fami­liären Hinter­grund von Lieblosig­keit, Hass und Gewalt herge­leitet werden.

Wie viele Schriftsteller haben über die Jahrhunderte literarisch beein­druckende Werke über die Proble­matik einer Beziehung über die Kluft zwischen unter­schied­lichen gesell­schaft­lichen Gruppen hinweg verfasst und dabei ergrei­fende Ent­wicklungs­verläufe von größter Dramatik und Tragik gestaltet! Wie Sally Rooney den reiz­vollen Topos in unser Millen­nium transpo­niert hat, ent­täuscht aller­dings zutiefst und macht sogar wütend – beispiels­weise, wenn sie Studen­tinnen als Dummchen zeigt, die das College nur als Kontakt­börse interes­siert: Sie suchen reiche ältere Männer, die »für Invest­ment­banken oder Wirtschafts­prüfungs­agenturen arbeiten«, oder gleich einen »russi­schen Oligar­chen« zwecks Heirat. Ist denn der Wunsch nach Emanzi­pation, auf eigenen Füßen zu stehen, nicht mehr aktuell? Oder habe ich Ironie und Kritik übersehen?

Obwohl immerhin Connell seinen Weg geht (er belegt einen Kurs für kreatives Schreiben und zieht nach New York), vermisse ich eine innere Entwick­lung der jungen Leute. Statt zu vernünf­tigen Ein­sichten, zu einem kriti­schen, verant­wortungs­vollen Selbst- und Gesell­schafts­bild zu reifen, bleibt ihr Dasein simplen Äußer­lich­keiten verhaftet. Sally Rooney mag das in ihrer Heimat als »normale Menschen« erleben, aber ich kann mit ihrem Eindruck wenig anfangen.

Die Irin Sally Rooney (Jahrgang 1991) wird seit ihrem Debüt­roman »Con­versa­tions with Friends« (2017, in deutscher Über­setzung von Zoë Beck 2019 unter dem Titel »Gespräche mit Freunden« bei Luchter­hand heraus­gegeben) als litera­rische Ent­deckung gefeiert. Der Erstling stand auf der Longlist des Man Booker Prize und auf der Shortlist des Inter­national Dublin Literary Award und wurde in mehr als zehn Sprachen übersetzt. Entspre­chend hoch waren die Erwar­tungen an den Folge­roman »Normal People«, der 2018 erschien, Preise wie den Costa Book Award erhielt und zum Book of the Year gewählt wurde. Ich kann die Begeis­terung leider nicht teilen, und nicht einmal die sprach­liche Qualität des Romans kann mich über­zeugen. Die Dialoge zwischen Marianne und Connell sollen verständ­nisvoll und innig zugewandt rüber­kommen, doch sie wirken oft nur gestelzt und (ausge­rechnet …) unnatür­lich: »Okay, sagt sie, wir sind beide in Sachen ideolo­gischer Reinheit ge­scheitert«.


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