Rette sich, wer kann ...
Sie ist völlig hirnrissig, eine Gefahr für sich und andere. Jeder Psychiater würde sie umgehend in die geschlossene Abteilung einweisen lassen.
Doch wir können von Glück reden: Frau Dr. Maria Krause wird nicht auf die Lebenden losgelassen. Ihr täglich Brot verdient sie damit, Leichen aufzuschnippeln. Sie ist Rechtsmedizinerin in Odense auf der dänischen Insel Fyn.
Jetzt hat sie eine geschändete und mit Messern maltraitierte Leiche auf ihrem Tisch liegen. Emilie heißt sie, wie ihre eigene Tochter. Und mehr noch: Die Ähnlichkeit ist frappierend. Maria durchlebte mit ihrer Emilie aufregende Jahre – Geburt, Kindergarten, Schullaufbahn bis zum Abitur ... Auch wenn Maria eine Schraube locker hat (und ihr das auch klar ist), so weiß sie doch ebenso genau, dass die Tote niemals ihre Tochter sein kann. Sie ist nur ein Objekt ihrer Wahnvorstellungen.
Mit 47 ist Maria in den besten Jahren. Echt geil und nachhaltig prägend war ein sexueller Übergriff eines Nachts in einem Park. Seither bucht sie ab und zu ihre eigene Vergewaltigung bei einem Typen aus dem Milieu. Wenn die kein Rad ab hat ...
Es bleibt nicht bei der toten 19-jährigen Emilie. Bald muss Camilla, 18, dran glauben. Zu viele Gemeinsamkeiten lassen schnell darauf schließen, dass ein Serienmörder umgeht. Beide Leichen weisen rote Stellen am Körper auf, die Frau Dr. Maria Krause so noch nie gesehen hatte. Mit Hilfe ihrer besten Freundin, der 51-jährigen Nigerianerin Nkem, die als Chemikerin am Rechtsmedizinischen Institut arbeitet, können sie ein ungewöhnliches und in Dänemark unverkäufliches Medikament nachweisen. "Clofazimin" ist ein Präparat, dessen Wirkstoff bei Lepra eingesetzt wird. Ein Leprakranker in Dänemark, mit grauenerregenden Ausschlägen im Gesicht und Verwachsungen an den Gliedmaßen, soll der vermeintliche Sadist sein? Den wird man doch wohl schnell dingfest machen. Aber so offensichtlich leicht führt die Spur nicht zum Täter.
Ein irrwitziger Skandinavienthriller, völlig queer, mit einer neuen Type als Protagonistin: einer "Klimakteriumsschnalle". Die Rechtmedizinerin Dr. Maria Krause, die beim Anblick ihrer Toten zur mordenden Rächerin wird, bedarf allerdings meines Erachtens einer Hormonbehandlung. Ihre Sexphantasien sind weder für die Handlung erforderlich noch spannungssteigernd noch sonderlich attraktiv; ich finde sie aufdringlich, ordinär und geschmacklos.
Susanne Stauns "Totenzimmer" ("Doderummet") erhielt u.a. den wichtigsten dänischen Krimipreis, den Harald Mogensen Pris, war für den renommierten skandinavischen Krimipreis nominiert und wurde nun von Günter Frauenlob spritzig übersetzt.