Rezension zu »Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters« von Tilman Rammstedt

Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

von


Belletristik · Dumont · · Gebunden · 155 S. · ISBN 9783832196868
Sprache: de · Herkunft: de

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Alles Quatsch.

Rezension vom 21.03.2013 · 4 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Er gibt sich solche Mühe, der Bankberater mit den sorgsam gepflegten Fin­ger­nä­geln, für seinen letzten verbliebenen Kunden ein ehrliches Konzept zwecks Ge­winn­maxi­mie­rung zu entwickeln. Zu einer Tasse Kaffee zieht er alle verbalen, poetologischen und schau­spie­le­ri­schen Register: Ein Portfolio müsse man sich als Löwenrudel, eine Privatrente als Ameisenstraße, einen Bausparvertrag als Regenwurm vorstellen, sinniert er und untermalt seine Betrachtungen durch adäquate Urlaute aus dem Tierreich.

Aber kann man darauf eine Zukunft bauen? Alle Prognosen sind unsicher, und hellsehen kann auch ein Bankberater nicht, wie er aufrichtig zugibt. Am Ende rät er folgerichtig von jeglicher Form der Vorsorge ab: "als ob man weniger Sorgen hätte, wenn man sie einfach nach vorne verlegt."

Alles Quatsch. Der Banker, der von Anfang an eher Mitleid erregt, ausschließlich als "ehemaliger" firmiert und nicht einmal einen Namen bekommt, ist nur Herrn Rammstedts Marionette.

Denn Tilman Rammstedt ist Schriftsteller. Und er will ein Buch schreiben. Vielleicht ... über einen Bank­über­fall. Den der Bankberater begeht. Oder genauer gesagt: Tilman Rammstedt schreibt den Roman gerade. Er ist mittendrin. 700 € Vorschuss sind bereits geflossen. Der Titel steht fest, der Umschlag mit der Katze drauf ist gedruckt, die Zeit verrinnt. Und der Bankberater hängt schon mittendrin im Schlamassel. Rutscht immer tiefer hinein in seine Misere. Jetzt kann nur noch einer helfen: ein Superheld aus Hollywood. Und an diesem Punkt beginnt dieses irre Buch.

Es besteht aus nichts als einer alternierenden Serie von a) Mails an Bruce Willis (Superheld) und b) Epi­so­den, die der Autor mit seinem ehemaligen Bankberater erlebte. Es steht also irgendwie in der ehr­wür­di­gen Tradition der Gattung "Briefroman" wie Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" (1774) und Heinrich Bölls "Das Vermächtnis" (1982), updated sie auf die elektronische Ebene - und legt sie gleichzeitig aufs Kreuz, denn Bruce Willis macht nicht mit.

Fangen wir mit b) an.

Die zahlreichen Episödchen cha­rak­teri­sie­ren den Banker als ein nicht fassbares Wesen voller Emp­find­lich­kei­ten, Widersprüche, Unsicherheiten, grüblerisch und melancholisch. Was immer er tut, beobachtet, be­haup­tet oder räsoniert - drei Zeilen später widerlegt, negiert, verwirft er es wieder nach seiner kauzigen Logik. Meist seufzt er dabei. Wie gern hätte er beispielsweise "etwas, das man schwer wieder los wird" - Rauchen etwa. Aber es fehlt ihm an Willenskraft, es sich anzugewöhnen. Ist er tiefsinnig, philosophisch, schwermütig, romantisch, oder spinnt er einfach? Lässt er "die zweite Hälfte seiner Aussage" weg, weil er immer "nur die halbe Wahrheit" kennt, oder ist eine unfertige Aussage schon mehr, als man erwarten darf? Bei einem gemeinsamen Zoobesuch quält ihn die Frage, "ob er wohl ein gutes Zebra geworden wäre. 'Wahr­schein­lich nicht', beschloss er." So ein Mann aus einer anderen Welt, der in Socken zum Termin erscheint, denn "Schuhe vergessen, das geht leicht" - wofür ist der zu gebrauchen?

Antwort: Bestimmt nicht als Bankberater, aber sehr wohl als Kopfgeburt eines Autors. Die beiden entwickeln ein freund­schaft­liches Verhältnis, zischen mal ein Bier zusammen, fahren mit dem Rad zum Zelten, der Banker nistet sich beim Autor ein, vor allem aber öffnet er sich ihm, bekennt sich zu seinen Schwächen, vertraut ihm seine geheimen Wünsche an.

Oder besser: als des Autors Marionette. Denn was macht der mit ihm? Suggeriert ihm die Idee, er solle doch seine eigene Bank überfallen. Dahinter steckt nackter Egoismus, denn der Verlag will sein Produkt. Drängt auf Fertigstellung. Ein zündender Plot muss her - "Die Leiden des jungen Bankers" - Sündenfall, romantische Flucht und glückliche Errettung ... Aber niemand ist für so eine Rolle weniger geeignet als der unentschiedene Banker aus Absurdistan, "der Geist, der stets verneint", der keinen Schimmer hat, wie ihm geschieht. Weswegen Haudegen Bruce Willis ins Spiel kommt. Nein: kommen soll.

Womit wir zu a) kommen.

Alle, aber auch alle Register der Kommunikation finden sich in den unzähligen Emails, die der zu­ver­sicht­liche (dann verzweifelte, geduldige, arrogante, gleichgültige, patzige, reumütige, ver­ständ­nis­volle, un­ver­schäm­te, vorsichtige, beleidigte, höfliche ...) Schriftsteller über den Atlantik beamt: Er lockt, fleht, ar­gu­men­tiert, ködert, jammert, insistiert, versteht, bettelt, verspricht, suggeriert, hakt nach, bohrt, anti­zi­piert, be­schwich­tigt, klagt, schmeichelt, beleidigt - doch der Deus ex machina bleibt stumm.

Davon unbeeindruckt nimmt die Handlung ihren wahnwitzigen Verlauf, Wildwest, Bonny & Clyde und Django unchained, reißt Herrn Willis nolens volens mit sich (wenn auch nur im Irrealis), so würde er den Bank­be­ra­ter aus der umstellten Filiale befreien, so würden sie oder "Sie" fliehen, wo Sie doch schon an­ge­schos­sen sind, nun greifen Sie doch endlich ein, übernehmen Sie, führen Sie ein gutes Ende herbei - Sie schaffen das schon! Be­zie­hungs­weise "wir", denn der Autor fiebert mit, unterbreitet Vorschläge, stachelt an, erwägt Alternativen, greift selbst zu, versteht sich selbst nicht, ich, wir, Sie, der passive Bankberater, der "mickrige Kat­zen­buch­dich­ter" - alles verschwimmt, verschmilzt: "Wenn Sie nicht in der Rolle bleiben, muss ich es auch nicht."

Womit wir bei c) landen.

Alles Quatsch? Selten habe ich ein solches Feuerwerk intelligenten, subtilen, nadel­spitzen, bildprallen, aus­ufern­den Fabulierens genossen wie in diesem Buch. Man kann sich von diesem Wildwasser einfach mit­rei­ßen und durch­schau­keln lassen und wird begeistert sein. Spätestens am Ende könnte man aber auch ins Grübeln kommen, ob nicht mehr dahintersteckt. Denken wir an ...

a) Literatur: der Dichter - allmächtiger Schöpfer ("Glauben Sie mir, ich kann hier jederzeit Hubschrauber anfliegen lassen. Das geht ganz leicht. [...] Ich kann ein Unwetter her­auf­be­schwö­ren, ich kann Blitze, ich kann wild herumfliegende Äste. Da sind mir nicht die Hände gebunden.") oder hilflos Getriebener schnöder Not­wen­dig­kei­ten (Dramaturgie des Plots, Buchhaltung des Verlags, Quoten des Medienmarkts ...) ("Ich habe nicht besonders viel im Griff, genauer gesagt gar nichts, in keiner der Welten, mit denen ich zu tun habe")?

b) die Realität: Was ist wahr, was ist Schein? Ist hier jemand seines Glückes Schmied?

c) die Identität: Cogito, ergo sum? Scribo, ergo sum? Creatus sum, ergo sum? Scribo, ergo es?

d) die Religion: "Ist Gott tot?" - die Theodizee-Frage in der Rammstedter Puppenkiste?

Alles Quatsch. "Sehr geehrter Herr Willis, Sie wissen selbst, wie alles nicht gewesen ist ..."

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Winter 2012/13 aufgenommen.


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