Rezension zu »Die Geschichte eines einfachen Mannes« von Timon Karl Kaleyta

Die Geschichte eines einfachen Mannes

von


Aufgewachsen in einfachen Ruhrpott-Verhältnissen, macht ein Junge, der selbst nicht viel Substanz mitbringt, auf seine Weise Karriere.
Belletristik · Piper · · 320 S. · ISBN 9783492070461
Sprache: de · Herkunft: de

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Ein Glücksritter

Rezension vom 26.07.2021 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Der Lebensweg des Protagonisten dieses Romans ist weder holprig noch steinig, sondern gleicht eher dem entspann­ten Dahin­schaukeln auf der Luft­matratze in sommer­lich-seichten Gewässern, ganz wie es das Cover des Buches evoziert. Die Stadt Fulda fand Timon Karl Kaleytas Werk so heraus­ragend, dass sie ihm ihren Literatur­preis für das beste Debüt des Jahres verlieh.

Sorglos und selbstgewiss wie der plätschernde Sunny­boy des Umschlags­bildes kommt der namenlose Ich-Erzähler daher. Dabei sind seine Start­bedin­gungen nicht gerade rosig. Er entstammt der Arbeiter­klasse. Seine Eltern schuften tagein, tagaus in einer Fabrik des Ruhrpotts. Abends kehren sie »von oben bis unten mit Ruß und Öl ver­schmiert« in ihr beschei­denes Reihen­häuschen zurück, erschöpft, doch gut gelaunt und ent­schlossen, ihrem einzigen Kind all ihre Liebe und jegliches Wohl ange­deihen zu lassen. So genießt der Bub Kindheit und Jugend »als eine einzige, nie endende Anein­ander­reihung schöner und aller­schönster Momente« in grenzen­loser Freiheit.

Obendrein ist dieses Glückskind ein ansehn­licher, sport­licher Knabe, der die Schulzeit ohne die leiseste Anstren­gung mit Bravour durch­läuft. Kein Wunder, dass er seinen geseg­neten Zustand zu konser­vieren bestrebt ist. Für die anste­hende Neuwahl des Bundes­tages wünscht er sich, dass alles so bleiben möge wie bisher. Mit seinem Sticker »Ich bin für Kohl« plus CDU-Logo steht er freilich »auf der falschen Seite der Geschichte«, isoliert als Ewig­gestriger, denn nicht nur die Ruhrpott-Arbeiter­schaft, sondern auch das Lehrer­kollegium und alle Mit­schüler sehnen sich keines­falls nach einer fünften Amtszeit des Kanzlers der Einheit, sondern nach Umsturz. Nach Gerhard Schröders Wahlsieg am 27. September 1998 muss er einer unge­wissen Zukunft entgegen­bangen.

Wer glaubt, der Primaner habe nun den großen Ruck verspürt und als Weckruf zu eigener welt­verän­dernder Initia­tive verstan­den, der irrt. Das Abitur besteht er souverän mit Auszeich­nung. Als ihm ein frisch verbea­mteter Studien­rat beim Abschluss­ball die banalste aller Fragen stellt (»Wissen Sie schon, was Sie nun mit Ihrem Leben anfangen wollen?«), ist der junge Held ange­widert von solch »mickriger Vorstel­lung vom Leben«. Aller­dings möchten auch die Eltern wissen, wohin die Reise nun gehen soll. Eine solide »Ausbil­dung« viel­leicht? Aber harte Arbeit kommt natürlich nicht in Frage. Das würden schon seine »unglaub­lich weichen Hände« niemals zulassen. Und mit geistiger Anstren­gung verhält es sich, mutatis mutandis, nicht anders. Nein, unser Hans im Glück blickt weiterhin voller Vertrauen in die Zukunft. Warum sollte er tätig werden? Alles was kommen musste, würde auch kommen. Und ohnehin hat er nur eine Ambition: Reich werden.

Erst einmal nutzt er ein gutes halbes Jahr, um, befreit von jeglichen Zwängen, seiner »Phantasie freien Lauf« zu lassen. Obgleich der Weggang seiner besten Freunde Vincent und Sebastian die Befind­lichkeit des Nichts­tuers eintrübt, ist es im Nach­hinein wohl die »schönste Zeit meines Lebens«. Sie geht zu Ende, als die Eltern Druck machen und »in den Verei­nigten Staaten aus heiterem Himmel die Türme des World Trade Centers einstürz­ten«. Die weltweite Krise und die Erkennt­nis, »dass etwas Grund­sätzliches ins Wanken geraten war«, gehen nicht spurlos an unserem Sonntags­kind vorbei. Er schläft schlecht, ist psychisch niederge­schlagen. Das Glück, so scheint ihm, hat ihn verlassen und beschenkt nun »ausge­rechnet Personen …, die es weniger verdient oder nötig gehabt hätten«.

So reüssiert Sebastian, Sohn aus reichem Zahnarzt­haushalt, als Musiker. Doch wenn die Not am größten, ist die Hülf’ am nächsten, und dann sind Sebastian und Vincent als Rettungs­anker (insbe­sondere in finan­zieller Hinsicht) allemal gut genug. Der Gebeu­telte sucht Sebastian auf, »sank auf den kühlen Marmor«, »weinte Tränen­bäche vor ihn hin«, beichtet demütig seine Ängste und gesteht seinen sehn­lichsten Wunsch, genauso erfolg­reich im Leben zu sein. Leiten ihn bei dieser Show Einsicht oder Neid, Selbst­mitleid oder dreiste Berech­nung? Egal, im weiteren Handlungs­verlauf steigt dieser Lebens­künstler ohne jeglichen »musika­lischen Sachver­stand« tatsäch­lich selbst ins Musik­geschäft ein, schreibt einen Hit und glaubt mit Konzert­reisen das dicke Geld zu verdienen – nur eine der grotesken Possen in diesem unterhalt­samen Sommer­roman.

Für das angestrebte Medizinstudium verpasst er den Immatri­kulations­termin, für andere Wissen­schaften reicht sein Abidurch­schnitt nicht, und so landet er im Massen­betrieb desinteres­sierter Geistes­wissen­schaftler, die die Gesell­schaft nie brauchen würde. Seinen Eltern, die um die Zukunft ihres Sohnes besorgt sind, gaukelt er mit einer »Art Zauber­formel« aus vagen, aber hoffnungs­schwange­ren Aussagen ein glorioses Studenten­leben vor und versetzt sie damit in Hoch­gefühle von Glück und Stolz. Tatsäch­lich aber reiht sich Nieder­lage an Nieder­lage, und dennoch will unser Narzisst heraus­gefordert sein. So sucht er den Professor auf, dessen Buch (Pflicht­lektüre natürlich!) explo­siven Dis­kussions­stoff birgt. Der Soziologe propa­giert darin die (unzeit­gemäße) These, man könne seine Herkunft nicht abschüt­teln, ein einfacher Mann bleibe demnach für alle Zeiten seiner Klasse verhaftet.

Zu Freude und Bewunderung der Eltern schließt der Sprössling auch sein Studium mit Bestnoten ab. Doch die sind absolut nichts wert, da sie an der Uni wie Klamotten im Ausver­kauf ver­ramscht werden. Was jetzt? Freund Vincent empfiehlt ein Auslands­studium mit »Bildungs­kredit« des Deutschen Akademi­schen Austausch­dienstes, und der Prof rät kurz und bündig: »Heiraten Sie reich!«

Mit Sympathie und Ironie entwickelt Timon Karl Kaleyta einen Menschen, der als Götter­liebling auf seinem Lebensweg dahin­gleitet. Anstren­gen mag er sich nicht, Erfolge sollen ihm trotzdem zufallen. Den Mangel an Talent, Kompetenz, Solidität und Tatkraft in wesent­lichen Bereichen kann die gehörige Portion Selbst­über­schätzung nicht kompen­sieren. Obwohl er zu einer sonnigen Weltsicht neigt (»So einfach also war das alles«), zaudert er ängstlich vor jedem Schritt, hadert vor jeder anste­henden Entschei­dung, kompli­ziert dadurch alles übermäßig. Rück­schläge pflastern seinen Weg, und dennoch vermag er aus seinen Frus­trations­erlebnis­sen optimis­tische Schluss­folgerun­gen zu ziehen, indem er sich selber überhöht: »Ich habe so viel erreicht, … viel mehr als all diese Idioten, mit denen ich mal Abitur gemacht habe.«

Liest man die Biografie des Autors nach, findet man manche mögliche Parallele im Plot wieder (Studium in Bochum, Madrid und Düssel­dorf, Karriere im Musik-Business, finan­zielles Scheitern) – die dominie­renden Themen der Handlung sind denn auch studenti­sches Leben und die Musik­szene. Das Ganze taugt als harmlos-seichter Schelmen­roman, aber einen tieferen Sinn (Gesell­schafts­kritik? gar klassen­kämpferi­sche Bot­schaften?) konnte ich nicht aus­machen. Am Ende kriegt jeder sein Fett weg, auch der selbstver­liebte Ich-Erzähler. Der Leser ist versöhnt, und zurück bleibt der Eindruck, gut und leicht­füßig unter­halten worden zu sein – nicht mehr, nicht weniger.


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