Auf der Flucht
Katherine war am Abend verschwunden, alle hatten nach ihr gesucht, und Callie hatte sie gefunden: auf dem Waldboden liegend, ermordet, mit klaffenden Wunden an Hals und Kopf, neben ihr ein blutiges Messer. Als die Freundinnen die Polizei zum Tatort brachten, gaben sie zu Protokoll, Callie Carson habe neben ihr gekniet, und das Messer habe sie noch in der Hand gehabt. Die Fotos auf den Handys ließen keinen Raum für Zweifel.
Nun ist Callie auf der Flucht. Stellen kann sie sich nicht. Niemand würde ihr glauben, denn selbst mit weniger eindeutigen Beweisen wäre sie schon deshalb vorverurteilt, weil ihr Bruder im Gefängnis sitzt. Ihr Vater ist ein Schwerstpflegefall. Ihre Mutter ist am Ende ihrer Kraft angekommen, und nun fügt Callie ihr einen zusätzlichen Schmerz zu. Dies alles und die quälende Frage, wie es zu Katherines Tod kommen konnte, wühlt sie psychisch und physisch auf. Sie kann ihre Emotionen kaum kontrollieren.
Dabei lief es in letzter Zeit doch einigermaßen gut für sie. Vor einem Jahr hatte sie Katherine, die von vielen bewunderte Anführerin einer Schulclique, angesprochen. Nun gehörte sie endlich dazu! Dass das Ganze wohl nur eine Art "persönliches Wohlfahrtsprojekt" Katherines war, konnte ihr piepegal sein. Sie durchschaute, in was für einer grausamen Welt sie agierte, bestimmt von sozialer Herkunft, Eifersucht, Machtkämpfen, Lügen und Intrigen. Katherine, die Königin des Bösen, spielt darin ihre kranken Manipulationsspielchen mit denen, die nie dazu gehören werden. Die erfüllen am Rande demütigende Aufgaben, um vielleicht mal eingeladen zu werden, eine Spur von Anerkennung zu erheischen. Dass auch Callie ihr Selbst verleugnen wird, ist eine schmerzhafte Erfahrung, die sie schnell bereut.
Tod Strasser hat in seinem Krimi "Blood on my hands" neben der eigentlichen Aufklärung der Tat einen weiteren deutlichen Schwerpunkt gesetzt, indem er die komplexe Gruppendynamik unter Jugendlichen packend veranschaulicht. Die Handlung trägt sich in Amerika zu, aber an deutschen Schulen gibt es durchaus ähnliche Strukturen und Machtkämpfe. Die materielle Potenz zählt oft mehr als individuelle Leistung: Wer das Sagen haben will, trägt die gerade angesagte Kleidung und das unerlässliche technische Equipment zur Schau. Die Schwachen werden in vielfältiger Weise ausgenutzt, ja "versklavt". Zwar bieten manche Charakterstarke dem Leittier die Stirn, müssen dafür aber nicht selten schwerwiegende Konsequenzen ertragen.
Wie gut sich der Autor in seine jugendlichen Figuren hineinzuversetzen in der Lage ist, beweist er auch im Sprachstil, der dem seiner 16- bis 18-jährigen Leser ebenso vertraut sein wird wie die allgegenwärtige Nutzung des Internets mit Facebook, Skype und Emails.
Ein überzeugender, aufwühlender, spannender Krimi mit einer starken Protagonistin, die trotz eines erdrückenden Gefühls der Ohnmacht bis zum Schluss Stärke beweist: Denn sie ist unschuldig!