Rezension zu »Solar« von Ian McEwan

Solar

von


Belletristik · Diogenes · · Gebunden · 402 S. · ISBN 9783257067651
Sprache: de · Herkunft: gb

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Auch ein Nobelpreisträger muss mal pinkeln

Rezension vom 31.12.2010 · 6 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Michael Beard ist jetzt 53. Viele Jahre ist es her, dass er sich mit Einsteins Photovoltaik auseinandergesetzt hat. Das Ergebnis war das Beard-Einstein-Theorem, eine Glanzleistung, welche ihm den Nobelpreis in Physik einbrachte. Diese Ehrung verselbstständigte sich dann: Man verlieh ihm eine Ehrenprofessur, und Institute bewarben sich, seinen Namen für ihre Briefköpfe verwenden zu dürfen. Heute sitzt er in diversen Kommissionen zur Vergabe von Förderungen, hält Vorträge, schreibt Facharbeiten usw. – natürlich alles gegen gute Entlohnung. Eigentlich hat er eine "Null-Bock"-Mentalität, und wissenschaftlich herrscht völlige Leere in seinem Kopf. Eine zündende Idee würde er aufnehmen – wenn denn eine vom Himmel fiele ... Politik interessiert ihn nicht. Wer gerade Amerika regiert, ob Bush, Gore, Tweedledee oder -dum, macht für ihn keinen Unterschied. Im Lauf der Jahre hat er vier Ehefrauen verschlissen und genügend Gespielinnen, die sich vom Glanze eines Genies blenden ließen.

Seine fünfte Ehefrau Patrice stoppt diesen rauschenden Lebenslauf. Ohne jede Heimlichkeit und ohne Gewissensbisse genießt sie die Zärtlichkeit des muskulösen Bauhandwerkers, der gerade seine Renovierungsarbeiten im Hause Beard beendet hat. Beard ist zutiefst gedemütigt; er begehrt seine Patrice mehr denn je. Kann er sie noch einmal erobern? Das kommt sogar ihm unwahrscheinlich vor, wo er doch selbst erschrickt, wenn er im Spiegel seine Nacktheit erblickt – schlaffe Fettlappen an den Achselhöhlen, Wabbelspeck, Haarkranz ...

Um die großen Themen, die die Menschheit zwischen Klimakatastrophe und Weltuntergang bewegen, schert sich Beard im Grunde gar nicht. Schließlich bietet schon das Alte Testament Untergangsszenarien, die Welt stand jahrelang unmittelbar vor dem Atomkrieg, und Daten für die Endzeit hat es immer gegeben – und immer wurde sie wieder verschoben, ging das Leben weiter.

Da sich Beards finanzielle Pfründe langsam dem Ende zu neigen, kommt ihm ein Engagement der Blair-Regierung gerade recht. New Labour will Subventionen zur Grundlagenforschung im Kampf gegen den Klimawandel bereitstellen, und Beard soll dem Institut als Chef sein Renommee geben. Die eigentliche Arbeit übernehmen junge Wissenschaftler. Noch nach sechs Monaten ist Beard kaum in der Lage, sie auseinanderzuhalten ...

Zusammen mit einer Künstlergruppe reist Beard als einziger Wissenschaftler nach Spitzbergen, eingeladen, um sich "mit eigenen Augen" von der globalen Erwärmung zu überzeugen. Die wahrhaften Probleme vor Ort sind aber für den linkischen Beard ganz andere: Wie streift man die diversen Schalen der lebenswichtigen Polarausrüstung über – und vor allem wieder ab, wenn man ein Bedürfnis verrichten muss?

Später wird Beard in einen tödlichen Unfall verwickelt – was einen Grund liefert, ihn aus dem Institut zu entlassen. Doch er fällt wieder auf die Füße: Mit finanzieller Unterstützung potenter Investoren will er in der Wüste von New Mexico eine revolutionäre Anlage errichten, das "Künstliche-Photosynthese-Kraftwerk". Leider sind Beards Patente alle geklaut, und so wird der "Schelm" am Ende, wenn ihn die Vergangenheit einholt, zahlen müssen.

Ian McEwan ist ein Großmeister des literarischen Fachs. Seine Gestaltung des desillusionierten Nobelpreisträgers, der sich selbst verloren hat, sich nicht mehr wiedererkennt, sich kaum mehr vergegenwärtigen kann, dass er mit 21 ein Genie war, ist ein Geniestreich. Die dominanten Weltthemen des 21. Jahrhunderts, Ökologie und Klimawandel, kommentiert McEwan durch seinen Protagonisten mit scharfzüngiger Ironie. So wie Beard sich mit seiner zügellosen Haltung, die sich in ungepflegter, leicht ekliger Erscheinung spiegelt, schon lange als Repräsentant einer ernst zu nehmenden Wissenschaft verabschiedet hat, so stellt McEwan auch deren Missstände bloß: Subventionen sind reichlich vorhanden und werden abgeschöpft; man erforscht Projekte mit einem Rattenschwanz von Folgekosten, muss den eingeschlagenen Weg zu Ende gehen, doch die Ergebnisse sind fragwürdig: Die "Quadrupelhelix-Windturbine" funktioniert nicht ...


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