Rezension zu »Die letzten Meter bis zum Friedhof« von Antti Tuomainen

Die letzten Meter bis zum Friedhof

von


Jaako, 37, hat nicht mehr lange zu leben. Jemand hat ihn peu à peu vergiftet. Seine Frau betrügt ihn mit dem Angestellten. Der gemeinsamen Pilzzuchtfirma droht üble Konkurrenz. Was tun in der verbleibenden Zeit bis zum Exitus? Jaako findet schräge Antworten.
Kriminalroman · Rowohlt · · 320 S. · ISBN 9783498065522
Sprache: de · Herkunft: fi

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Lust und Leid der Pilzzucht

Rezension vom 02.04.2018 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Ein Hoch dem Kieferduftrittling! Der gesunde, nährstoff­reiche Pilz wächst und gedeiht einfach prächtig in den finnischen Wäldern. In den japani­schen allerdings nicht so gut. Dabei ist der Japaner gern bereit, für dieses Gewächs (das er Matsutake nennt) sein letztes Hemd hinzu­geben – konkret: gut und gerne tausend Euro fürs Kilo.

Was liegt also näher für einen ambitionierten, weitgehend unabhän­gigen jungen Finnen wie Jaakko Mikael Kaunismaa, 30, als Kiefer­duftritt­linge zu züchten, zu den fernen Feinschme­ckern zu export­ieren und reich zu werden? Mit seiner Frau Taina packt er die Gelegen­heit beim Schopfe, zieht von Helsinki fort nach Hamina und gründet da ein Start-up. Sieben Jahren später brummt der Laden, und er sollte sich einen glückli­chen Mann nennen dürfen.

Aber Jaakko ist nicht der einzige ambitionierte, weitgehend unabhän­gige junge Finne. Da wären zum Beispiel Asko (hat schon dies und das gemacht), Juhana (einst bester Werfer beim Päsaball, dem finni­schen Baseball) und Juhani (dem der ewige Herings­mief seiner Mutter derart zuwider war, dass er sie um die Ecke brachte). Auch diese drei sind, gelockt von prallen japani­schen Geld­säcken, in den boomenden Pilzhan­del eingestie­gen, aller­dings mit robus­teren Methoden als Jaakko und Taina.

Die fiese Konkurrenz ist freilich nicht Jaakkos einziges Problem. Weil ihm schon seit einer Weile eine Reihe körper­licher Beschwerden zu schaffen macht, erbat er sich vom Arzt ein paar Pillen – und wurde mit der nieder­schmettern­den Diagnose konfrontiert, dass er nicht mehr lange zu leben habe. Bereits seit geraumer Zeit muss ihm jemand heimtü­ckisch Giftstoffe verab­reicht haben.

Verständlicherweise ist Jaakko auf die vorzeitige Besiegelung seines Schicksals ewiger Bedeu­tungs­losig­keit ganz und gar nicht vorbereitet – »der Tod kommt ja nur einmal im Leben«. Als ordent­licher Mensch weiß er sich aber mit einer Art »To-do-Listen« zu organi­sieren. Klar: Wem er die regel­mäßigen Giftgaben zu verdanken hat, das muss er noch heraus­finden, bevor er ins Gras beißt. Und auch die Firma will er noch zukunfts­sicher aufstellen. So fährt Jaakko mit seiner tödlichen Diagnose nach Hause, um die nächsten Schritte, »die letzten Meter bis zum Friedhof«, mit seiner liebsten Taina zu erörtern, wie es sich zwischen ihnen bewährt hat.

Doch statt Trost, Rat und Beistand in der Not erwartet den Tod­geweih­ten der nächste Schock. Denn er findet Taina mit dem einzigen Mitar­beiter der gemein­samen Firma bei eindeu­tigen zwei­samen Aktivi­täten im trauten Heim beschäf­tigt. Zwischen Enttäu­schung und Wut hin und her geschleu­dert, laufen Jaakkos Emotionen ins Leere – wie auch jegliche spontan konzi­pierte To-do-Liste. Wie ist zu verfahren mit der untreuen Gefährtin samt Lover, die ja ganz offen­sicht­lich eine gemein­same Zukunft ohne ihn ins Auge gefasst haben? Soll er zur Eisen­stange an der Wand greifen? Oder die beiden bei der Polizei anzeigen? Beide Ideen über­zeugen nicht recht. Und auch die Absicht, die Pilzzucht auf sicheren Boden zu stellen, verliert ihren Sinn, wenn nach dem Ableben des Tüchti­gen die Verräterin nebst ihrem Stecher und am Ende womög­lich die dubiosen Konkur­renten davon profi­tieren.

Jaakko und seinem Dilemma nicht unähnlich, ließ Antti Tuomainens Krimi »Die letzten Meter bis zum Friedhof« auch mich ein wenig ratlos. (Wenigs­tens musste ich im Gegen­satz zu dem Armen keine deadline fürchten.) Natürlich fragt man sich ebenso gespannt wie der Pilz­händler, wer ihm an den Pelz will, und der Autor spielt hübsch mit unseren Erwar­tungen und gängigen Klischees. Dennoch ist der Plot recht einfach und über­schau­bar gestrickt. Amüsant, aber nicht umwer­fend originell sind seine Charaktere gezeich­net. Die drei hirnlosen Kraft­protze von der Pilz­züchter-Konkur­renz (»Typ Breit-wie-ein-Scheunentor«) haben erwartungs­gemäß keine Chance gegen unseren adipösen Anti­helden Jaakko mit seiner »Schwäche für fette Krapfen«. So lusch er ansonsten daherge­trabt kommt, wächst er in zwei rasanten Verfol­gungs­jagden über sich hinaus und erweist sich als eiskalt abge­brühter Trium­phator.

Als Pluspunkt des Romans schlagen die einfallsreichen Formulierungen und die vorwie­gend skurrile Atmosphäre zu Buche. Antti Tuomai­nens nüchter­ner bis knochen­trocke­ner Stil passt sehr gut zum un­senti­menta­len Charakter seines Ich-Erzählers, der trotz End­zeit­stim­mung seinen pragma­tischen Humor bewahrt (»Ich muss nur am Leben bleiben. Bis ich sterbe.«). Wer einen Sinn dafür hat, wird an Räsonne­ments wie den folgenden seine Freude haben: »Der Wind scheint vergessen zu haben, dass seine Aufgabe darin besteht zu wehen.« – »Menschen kommen, Menschen gehen. Fast jeder, der gegangen ist, war der Meinung, dass es zur falschen Zeit geschehe.« – »Die Straße ist nicht geschwätzig, erzählt nicht weit­schwei­fig, spinnt nicht rum. Sie bewegt sich auch nicht in falsche Richtun­gen, macht keine sinnlosen, fehler­haften Gedanken­sprünge … Sie irrt nie. Ist zuverläs­sig, chrono­logisch, logisch. Folge­richtig, von Punkt A nach B. Egal, wie schmerz­lich die Reise sein mag.« Dass das alles auch im Deutschen funktioniert, spricht für die Übersetzer, Niina und Jan Costin Wagner, selbst Autor von in Finnland angesie­delten Krimis [› Rezension].

Nach meinem Empfinden ist Antti Tuomainens Roman »Die letzten Meter bis zum Friedhof« gute, leicht verdau­liche Unter­haltung, aber nicht mehr. Manche Kritiker schließen aus der Grund­situa­tion der Todes­nähe, die dem Mori­bunden ein Memento mori vor Augen führt, auf einen philo­sophi­schen Überbau. Das halte ich für über­interpre­tiert. Nicht jeder makabre Gag muss mit einer existen­tiellen Erkenntnis verknüpft sein, nicht jede nach­denkli­che Sentenz ist gleich eine Exkur­sion ins Trans­zenden­tale.


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