Rezension zu »So, und jetzt kommst du« von Arno Frank

So, und jetzt kommst du

von


Belletristik · Tropen · · Gebunden · 352 S. · ISBN 9783608503692
Sprache: de · Herkunft: de

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Lauter Seifenblasen

Rezension vom 22.07.2017 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Am Ende ist doch etwas Vernünftiges aus dem Kind geworden. Wenn man liest, was für einen Vater der Junge hatte und was für frag­würdige Aben­teuer er mit ihm durch­leben musste, muss man befürch­ten, der Apfel werde nicht weit vom Stamm auf­schlagen. Aber Arno Frank muss zumin­dest einige der besten Talente seines Vaters geerbt haben: Wort­gewandt­heit, Fabu­lieren, Wage­mut. So kann er als freier Jour­nalist, der für Spiegel Online und Die Zeit schreibt, seinen Lebens­unter­halt ver­dienen. Jetzt hat er seinen auto­biografi­schen Debüt­roman vorgelegt, und das ist eine der amüsan­testen Ganoven­geschich­ten, die ich je gelesen habe.

Vom heiter-harmlosen Anfang bis zum bitteren Ende dominiert der willens­starke Vater die Entwick­lung der Familie. Dass er die Realität nur selektiv ernst nimmt und Fakten eigen­willig auslegt, bringt den dreisten Charmeur, ambitio­nierten Blender und fantasie­vollen Träumer auf eine schiefe Bahn. Trotz Anfangs- und Zwischen­hochs beschleu­nigt sich sein Abstieg, doch die ringsum klaffenden Abgründe ängsti­gen ihn nicht und können ihn nicht veran­lassen, nach anderen Wegen zu suchen. Wider­stände findet er offenbar nicht; jeden­falls reißt er seine Frau und seine Kinder mit, ohne dass sie sich wehren. Schließ­lich ist der Mann nichts als ein mehr­fach geschei­terter Unter­nehmer, ein Hoch­stapler, ein inter­natio­nal gesuch­ter Krimi­neller.

In den Sechzigerjahren lernt Jutta vor ihrem Büro bei den US-Streit­kräften in Kaisers­lautern ihren Jürgen kennen. Da trifft eine, deren Träume immer »an der Ober­fläche der Möglich­keiten« haf­teten, auf »ein tiefes Gewässer, gespeist aus dem Selbst­bewusst­sein des Vaters und dem Scharf­blick der Mutter. Ein Geschöpf aus eige­nem Recht [...]. Er war seine eigene Auto­rität.«

Jürgen Frank hat gerade seine Ver­waltungs­lehre absol­viert und will sich bei seiner ersten Dienst­stelle vor­stellen. Er fährt im bild­schönen Alfa Romeo Giulia Super vor, parkt das vier­rädrige Faszino­sum, ein Geschenk seines Vaters, dreist auf dem für Offiziere reser­vierten Platz und zündet sich erst einmal genuss­voll eine Gitane an. Der An­mache des Drauf­gängers – Typ Alain Delon oder Hardy Krüger – erliegt Jutta sogleich. Bald läuten die Hoch­zeits­glocken, und Jutta ist schwanger.

1971 wird Sohn Arno geboren. Die kleine Familie bezieht ein Häuschen in einem Kaisers­laute­rer Vorort, und Jutta schwebt, tagein, tagaus Schlager­ohr­würmer sum­mend, »im lufti­gen Ketten­hemd des Wohl­befin­dens«, in einer »Gloriole der Heiter­keit«. Jürgen dagegen orientiert sich neu. Seine sichere, aber fade Anstel­lung im US-Depot kündigt er. Jetzt sucht er den »Königs­weg zum Glück«, und Glück ist für ihn nichts anderes als eine »Ablei­tung von Geld«. »Er würde reich sein«, glaubt er, und denkt dabei nicht an solide Arbeit, sondern vertraut auf sein Genie, seinen Charme und die Gunst der Stunde.

Das ist das Wirtschaftswunder. Alles, was die heran­rollen­de Über­fluss­gesell­schaft hervor­bringt, sammelt Jürgen (mög­lichst ohne zu bezahlen) und stapelt den Keller damit voll. Ein Heim­trainer, noch in Einzel­teile zerlegt, soll zum Verkaufs­renner werden. »Einen Arsch voll Geld« werde er verdienen, denn »es steht jeden Tag ein Dummer auf«, dem man »etwas Dummes verkaufen kann«.

Dies ist eine der Weisheiten, die der Vater dem mittler­weile Sechsjährigen auf den Lebens­weg mitgibt. »Du musst dir aus­suchen, was du sein willst. Angreifer oder Verteidiger ... Niemand schenkt dir was. Du frisst oder wirst gefressen.« Aber Arno versteht nicht so recht, was der Vater ihm ver­mitteln will. »So, und jetzt kommst du! Nimm dir, was du willst« – dabei denkt der Junge an all die Dinge, die ihm der Vater seit Langem versprochen, aber nie geliefert hat: ein Baum­haus, einen Platten­spieler, eine bezau­bernde Jeannie wie aus dem Fern­sehen«.

Immer neue Veränderungen bahnen sich an. Schwesterchen Jeany ist gerade angekommen. Mit der Geschäfts­idee, eine ganze Flotte zerlegter Wehr­machts-Kübel­wagen zu vertickern (Ziel­gruppe sind »gealterte Feldherren«), verhebt sich Vater. Die Banken schicken Männer in schwarzen Anzügen mit Akten­taschen. Immer öfter sprechen die Eltern von einer »Hütte« – bekommt Arno jetzt endlich sein Baum­haus? Nein, die »Hütte« ist ein Wohn­karton noch weiter weg von Kaisers­lautern. Die unver­schämten Banken haben der Familie alles Geld und das Haus weg­ge­nom­men.

Umziehen wird man noch öfter. Jürgen Frank glaubt noch immer, eines Tages einfach reich zu »sein«, nicht etwa auf steinigen Wegen zu »werden«. Zwie­lich­tige Geschäfts­partner kommen und gehen, man spricht von »Devisen«, »Sicher­heiten«, »Über­weisun­gen«, »Provisio­nen«, »das große Geschäft«. Briefe vom Amts­gericht bleiben unge­öffnet, und wenn die Polizei (»die Raub­tiere persön­lich«) anrückt, sind alle mucks­mäuschen­still, bis sie wieder abzieht.

Aber Tatsachen kann man nicht verdrängen. Um den Häschern zu entgehen, beschließt der Vater die Flucht ins Ausland. »Das wird ein Abenteuer«, verspricht er Arno – und aus­nahms­weise erfüllt sich sein Ver­sprechen. Bei Nacht und Nebel besteigen Eltern, Arno, Jeany, Neu­ankömm­ling Fabian und zwei Hunde ihren Benz und brausen wie »glück­liche Schiff­brüchige« im »Rettungs­boot« gen Süden.

Um Teile der nun folgenden Tour de Force möchte man den Jungen geradezu beneiden. Am schönsten Fleck der Côte d'Azur bezieht man eine Villa mit Pool. Sohne­mann besucht eine inter­natio­nale Privat­schule, wo die Kinder von »Leuten mit Geld« unter sich sind. Im Gegen­satz zu den rundum wohl­informier­ten Mit­schülern weiß er von seinem Vater nur Vages (»lässt das Geld für uns arbeiten«) und wenig Sach­kundiges (»Computer sind nur teures Spielzeug ... Wird sich nicht durch­setzen, sagt mein Papa.«) zu berich­ten. Nicht nur mancher Klassen­kamerad (»Viel­leicht ist dein Vater beides ... Bandit und Idiot«), auch der heran­wach­sende Arno beginnt an der Serio­sität des Monsieur Frank zu zweifeln. Doch noch gehen Papa die guten Ideen nicht aus, holt er das Blaueste vom Himmel herunter, so dass Arno auf seiner schwarz-roten Piaggio die Sonne genießen kann.

Am Ende empfindet man statt insgeheimem Neid eher Mitleid und Sorge um den Jungen. Als die Polizei Jürgen Frank fest­nimmt, erlöst sie seinen Sohn gewisser­maßen aus der irrealen Welt, in der der Vater ihn täuschte und gefangen hielt. Er schwebte jahre­lang in einer bunten Seifen­blase, nicht anders als sein Vater, bis sie in luftiger Höhe platzte. Und Mutter Jutta? Gleich im Prolog zeigt eine makabre Episode, dass sie kein Kor­rektiv setzte, sondern Mitge­stalte­rin des Irr­sinns im Leben des Ich-Erzäh­lers war. Als der Vier­jährige ihr stolz ein selbst­gemal­tes Bild zeigen will, liegt sie regungs­los mit geschlos­senen Augen im Flur. Das Kind verzwei­felt, hält der Mutter Nase und Mund zu, legt sein Blatt auf ihr Gesicht, doch sie rührt sich nicht. Da schlägt er auf sie ein, heult, macht sich dabei in die Hose, und jetzt kichert Mama, nimmt ihn in die offenen Arme. »Mir war, als hätte ich gerade eine Prüfung bestanden ... eine Lehre, deren Sinn ich damals noch nicht verstehen konnte.«

Haben die Kinder dieser merkwürdigen Familie Schaden genommen? Zwischen den Zeilen finden sich eher harmlose Symptome: Schwester Jeany vergnügt sich gern mit ekligen, ver­wesen­den Mate­rialien, Fabian wird die Schwimm­flügel­chen, die ihm die Eltern am Pool ange­legt haben, nie mehr aus­ziehen, selbst als die Luft längst raus ist. Und Arno erzählt seine Geschichte nicht mit Schmerz oder Groll, sondern mit unter­halt­samer Leichtig­keit und Ironie. Seinem Debüt hat er ein Zitat von Heimito von Doderer voran­gestellt: »Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln, wie er will.« Seine Bio­grafie zeigt, dass der Eimer­inhalt nicht unbedingt unter die Haut dringt. Dort gelten offen­sichtlich noch andere Regeln.

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Sommer 2017 aufgenommen.


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