Rezension zu »Die Nacht des Zorns« von Fred Vargas

Die Nacht des Zorns

von


Kriminalroman · Aufbau · · Gebunden · 454 S. · ISBN 9783351033804
Sprache: de · Herkunft: fr

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Warte, warte nur ein Weilchen, bald trifft auch dich das Hackebeilchen ...

Rezension vom 14.04.2012 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Eines Tages musste Tuilot, der Meister der Kreuzworträtsel, eine Entscheidung treffen, und da überwog das Mitleid mit seiner Frau Lucette. Also erstickte er sie, aus reiner Barmherzigkeit. Um genau zu sein: Der Ruheständler stopfte sie mit Brotkrumen voll. Sie liebte Zwieback mit Rosinen am Morgen. Anschließend pflegte sie inbrünstig all die Bröckelchen und Bröselchen, die sich weiträumig um sie herum verstreut hatten, wegzuputzen. Der Grund für Tuilots Mitleid war die tägliche Auseinandersetzung des alten Paares um die putzigen Untermieter Toni und Marie, die Lucette nicht tolerieren wollte. Allabendlich, wenn sie schon schlief, besuchten ihn die schlauen, feinfühligen kleinen Wesen, und er plauderte mit ihnen, bis sie durch ein Loch hinter dem Fallrohr wieder in den Keller verschwanden. Nun hatte Lucette, die die ihren Ekel erregenden Tierchen nicht mehr ertragen konnte, das Loch zuzementiert, und Tuilot trug das Seine dazu bei, dass sie nicht länger zu leiden brauchte ...

So makaber-skurril beginnt Fred Vargas' Kriminalfall "Die Nacht des Zorns", der in der Übersetzung von Waltraud Schwarze jetzt erschienen ist, und wir fühlen uns an den Stil von Ferdinand von Schirachs Sammlung "Verbrechen" (2009) erinnert.

Doch dann erzählt uns Fred Vargas eine mystisch-gruselige Legende aus dem Mittelalter, und die wird den kriminalistischen Hauptplot bestimmen.

In der Normandie quert der Pfad Bonneval den Wald von Alance. Am Ende des 11. Jahrhunderts, noch vor dem 1. Kreuzzug, reitet ein Trupp bewaffneter Männer mit viel Getöse durch den Ort Ordebec. Es sind die "Mesnie Hellequin". Alle paar Jahrzehnte kehren sie unvermittelt zurück, um sich Menschen zu greifen, die eines ungesühnten Verbrechens schuldig sind. Aber nur Menschen mit visionären Fähigkeiten können die Grauen erregenden Rächer – Untote mit fehlenden Körperteilen auf dreibeinigen Pferden – erkennen. Die seherische Gabe wurde seit Urzeiten von Generation zu Generation weitergegeben, und zwar immer nur an eine auserwählte Person. Lina erhielt ihre Bestimmung von Gilbert, als er bei ihrer Taufe seine Hand über ihren Kopf hielt.

Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg von der Pariser Polizei war diese ungeheuerliche Legende unbekannt, bis ihn eine alte, verängstigte Dame in seinem Kommissariat besucht. Die Witwe Valentine Vendermot ist extra aus Ordebec angereist, um ihm anzukündigen, dass Leute sterben werden. Sie windet sich, sie traut sich nicht, das auszusprechen, was zu eröffnen ihr untersagt ist. Es geht um Michel Herbier, einen im Dorf verhassten Jäger, der verschwunden ist, und um ihre Tochter Lina. Die hat des Nachts das "wütende Heer" vorbeiziehen sehen: in dessen Mitte der schreiende Herbier, Jean Glayeux, Michel Mortembot und ein vierter, Lina unbekannter Mann – allesamt Leute aus Ordebec. Linas Vorahnung ist das sicherere Todesurteil für die vier Männer.

Eigentlich muss Adamsberg zwei andere Fälle bearbeiten: 1.: Jemand hat Autos abgefackelt, wodurch ein bekannter Großunternehmer ums Leben gekommen ist. – 2.: Da quält doch tatsächlich jemand Tauben, indem er ihnen die Beine zusammenbindet! Doch auf Drängen der Gendarmerie Ordebec begibt er sich in die Normandie.

Leider versagt er als Polizist auf ganzer Linie, denn die vier Morde geschehen tatsächlich, ohne dass er sie verhindern könnte. Wer steckt dahinter? An den mythischen Humbug glaubt Adamsberg nicht – er ist vielmehr überzeugt, dass da jemand ganz bewusst die Angst der Menschen vor dem "Mesnie Hellequin" nutzt, um als selbsternannter Richter zu morden, die Schuld aber auf andere zu lenken.

Ordebecs Realität ist weitab von jeder Normalität. Um fast jeden Bewohner rankt sich eine skurrile Geschichte. Die hellseherische Lina und ihre körperlich und geistig versehrten Brüder könnten einer Anstalt entlaufen sein. Welch ein Schauermärchen tischt uns die Autorin mit allen leckeren Ingredienzien wie Mordwerkzeugen, Teufelsmalen usw. dazu auf! Vargas ist hier Spitze: Mit phantasievollen, originellen und grotesk-abstrusen Einfällen erhebt sie sich weit über den Abgrund des Mystery-/Fantasy-Genres, ohne je abzustürzen. Dazwischen mühen sich Adamsberg und seine wohl einzigartige Pariser Brigade redlich, ihre Arbeit zu tun – auf ihre ganz spezielle Weise. Mit von der Partie sind Adamsbergs "Göttin" (ein Mannweib), ein Wissenschaftsass, der keinem leckeren Tröpfchen widerstehen kann, ein Fischfreak, ein Schlafgestörter, ein poetischer Kollege, der gern mal in Reimen spricht ...

Am Ende zaubert Vargas einen Täter aus dem Hut und gestaltet einen überzuckerten Schluss, süß wie ein Baiser. Oh Schreck, der ganze Boden voller Brösel, excuséz-moi, jetzt muss ich erst mal feucht feudeln ... Au revoir.


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