Rezension zu »Tod sei Dank« von Helen FitzGerald

Tod sei Dank

von


Belletristik · Galiani · · Gebunden · 263 S. · ISBN 9783869710501
Sprache: de · Herkunft: gb

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Wills Liebe zu den Mädels mit den gelben Gesichtern

Rezension vom 20.04.2012 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Will Marion kann man nicht unbedingt als Glückspilz bezeichnen. Hätte er auf den weisen Ratschlag seiner Eltern gehört, vielleicht hätte sein Leben einen ganz anderen Verlauf nehmen können. War es tatsächlich Liebe, die ihn zu Cynthia hingezogen hatte – oder unstillbare Begierde? Cynthia – eine junge Frau mit viel Erfahrung, die, ehe sie sich mit Will vermählte, lange mit Heath Jones zusammen gewesen war, einem Mann mit sehr lockerer, brutaler Hand, der Cynthia sogar anschaffen ließ, damit genügend Geld für ihren täglichen Drogenbedarf vorhanden war. Dummerweise brachte er dann einen Kriminellen um, wofür er nun im Knast sitzt. Aber er wird durchhalten, immer wieder den Bewährungsausschuss anschreiben und um seine Entlassung bitten – und Cynthia wird immer auf ihn warten. Wie kann sie es überhaupt mit so einer "Schwuchtel" von Mann wie Will aushalten? Was sie selbst betrifft, so bildet sie sich ein, eines Tages als Sängerin entdeckt zu werden.

Cynthia schenkt Will ein weibliches Zwillingspärchen: Georgie und Kay. Ihr selbst geht auf ihrem Egotrip alles, was mit Küche, Kinder und Kacke zu tun hat, am Allerwertesten vorbei, und als Junkie sieht sie sowieso alles rosarot ...

So übernimmt Will die volle Verantwortung und die Erziehung der beiden Mädchen. Leider ist er arbeitslos. Seine Filmprojekte sind nie über das Entwicklungsstadium hinausgekommen. Seine Eltern, die als glückliche Erben ohne Mühe zu großem Reichtum gelangt sind und in Immobilien an Spaniens Küste investiert haben, haben Will gegen ein kleines Salär mit deren Verwaltung beauftragt. Doch das Geschäft läuft nur noch mau, und so muss Will schauen, wie er über die Runden kommt.

Als die Mädels drei Jahre alt sind, begibt sich Cynthia eines Tages zum Einkaufen, findet aber nicht mehr den Weg nach Hause. Für die nächsten Jahre schlägt sie ihre Zelte in Indien und Ägypten auf.

Während Kay immer schon ein glückliches, lebensbejahendes Kind war, ist Georgie nicht nur stinkesauer auf ihren Vater Will, sondern hasst ihn abgrundtief. Wäre er nicht so ein Versager, wäre Cynthia ja vielleicht geblieben. Eine schwierige Dreierbeziehung ...

Obwohl die vermögenden Großeltern vor ihren Freunden nur so schwärmen von ihren großartigen Enkelinnen, für die sie alles tun würden ("solange 'alles' darin bestand, überhaupt nichts zu tun"), kann ihr Sohn Will von ihnen weder eine milde monetäre Gabe noch kleine Babysitter-Hilfen erwarten. Nolens volens findet er sich also als einziger Vater unter lauter Müttern: beim Ballett, im Eltern-Kind-Kreis und beim Kaffeeklatsch, wo er weder über Crèmes noch Vorhänge etwas Eigenes beitragen kann. Und dann noch die Anmache von Teilzeitwitwen oder Bürohengstgattinnen, die ihn gleichzeitig bewundern und nicht für voll nehmen: "Ist er nicht süß?" Da sehnt er lieber Cynthias Rückkehr herbei – doch vergebens.

Mehr als zehn Jahre später – die beiden Mädels können sich kaum noch an sie erinnern – muss er ihre Mutter unbedingt finden. Die Zwillinge sind schwer krank – immer so gelb im Gesicht, und sie können nicht mehr urinieren. Ihre Nieren versagen, die Dialyse verschafft nur einen kurzen Zeitaufschub, ohne neue Spenderorgane werden sie sterben ... Um etwas über Cynthias Aufenthaltsort zu erfahren, begibt sich Will zu Heath ins Gefängnis, beauftragt sogar einen Detektiv. All das tut er nur seinen Töchtern zu Liebe; dass er Cynthia suchen lässt, erfahren sie erst sehr viel später.

Helen FitzGeralds Roman "Tod sei Dank", aus dem Englischen übersetzt von Steffen Jacobs, thematisiert die Probleme um Sterben oder Leben mit einer Spenderniere auf außergewöhnliche und faszinierende Weise. Viele Textpassagen gestaltet die Autorin inhaltlich, aber auch sprachlich überraschend anders – mal berichtend, mal beschreibend, mal erzählend, voller Tempo- und Perspektivwechsel; dazwischen Tabellen, Briefe, Tagebucheinträge oder alphabetisch sortierte Aktenablagen ... Der Ton ist überzeugend pfiffig, oft humorvoll (Die Mädels benötigen eine "limitierte Gucci -Taschen-Niere"), immer passend zu Milieu und Personal – Heath: ordinär und aggressionsgeladen; Cynthia: fordernd und verlogen; Georgie und Kay: spritzig, dreist und frisch; Will: beschreibend, analysierend, tabellarisch ordnend.

All das steht im Dienst der Charakterzeichnung. In einer peinlich blamablen Szene entlarvt sich Cynthia als verlogen und egozentrisch, als sie beklagt, dass dieses "scheußliche Gruftie-Mädchen im Krankenhaus" (und damit meint sie ihre Tochter ...) sich doch tatsächlich geweigert hat, ihr Geld für den nächsten Schuss zu geben.

Rührseligkeit stellt sich niemals ein. Das Tempo des Romans lässt kaum Zeit, um sich in Emotionen zu vertiefen. Da gibt es schockierende Szenen bei Heath im Knast oder bei Mutter Cynthia, da ist der Apparate-Alltag, den die Mädels nehmen, wie's halt kommt – realistisch, cool, manchmal makaber.

Die Charaktere überzeugen durch ihre Tiefe und beeindrucken bisweilen durch ihre Widersprüchlichkeit. Heath und Georgie zum Beispiel geben sich nach außen hin ganz anders, als sie wirklich sind. Hört man sie selber sprechen, so bleibt einem die Spucke weg. Heath ist ein gewalttätiger Drecksack, der sich als tugendhafter Helfer geriert und doch nichts anderes will, als die Notlage der Mädchen für sich auszunutzen; Georgie, die immer unzufriedene, eifersüchtige Schwester, möchte am liebsten ihren Vater und sich selbst töten – und entpuppt sich als sensibler, sich nach Liebe sehnender Mensch.

Neben Georgie und Kay ist Vater Will die herausragende und tragischste Figur. Ohne zu zögern würde er seinen Kindern sein eigenes Leben schenken, damit mit seinen Organe beide leben können; er googelt schon nach geeigneten Tötungsmethoden. Aber er erwägt noch weitere Möglichkeiten, und ihm wird noch viel einfallen, ehe es um Leben oder Tod geht ...


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