Rezension zu »Tea Time« von Ingrid Noll

Tea Time

von


Sechs neue Schwestern im Klub von Nolls skurrilen badischen Mörderinnen
Kriminalroman · Diogenes · · 320 S. · ISBN 9783257072143
Sprache: de · Herkunft: ch

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Gebundene Ausgabe E-Book Hörbuch CD

Alles in Ordnung in Weinheim

Rezension vom 15.03.2023 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Im schönen Weinheim an der Badischen Bergstraße führt ein roter Hahn als Weg­weiser über die dreizehn Stationen eines Spazier­wegs, den die Stadt ihrer Mit­bürgerin Ingrid Noll gewidmet hat. Das Symbol erinnert an den Debüt­roman, mit dem die Schrift­stellerin 1991 eine lange Serie von Best­sellern startete. Im Mittel­punkt der kurz­weiligen, amüsanten Krimis (alle bei Diogenes verlegt, in bis zu 27 Sprachen übersetzt) stehen origi­nelle Frauen aus der Rhein-Neckar-Region, die, ihren Ticks und Spleens folgend, ebenso origi­nelle Ver­brechen begehen und ihre Opfer (vorzugs­weise Männer) sogar ums Leben bringen. In Weinheim spielt auch »Tea Time«, der neueste Roman, und er ist nach dem gleichen Erfolgs­rezept zube­reitet. Der Titel könnte sugge­rieren, dass die 1935 in Shanghai geborene Autorin nach drei Jahr­zehnten genug von der badischen Provinz habe und womöglich in feinere britische Gefilde wechsle. Ganz undenkbar wäre das nicht, sind viele ihrer bishe­rigen Mord­kon­zepte doch keines­wegs unver­einbar mit der vornehmen Zurück­haltung, die dem klassi­schen Ritual eines kulti­vierten five o’clock tea zueigen ist.

Doch keine Sorge, es bleibt alles beim Alten und Bewährt-Deftigen. Statt bei fein­sinni­gen Ge­sprächs­runden heißen Earl Grey aus fragilen bone china-Tässchen zu nippen, treffen sich die sechs Prota­gonis­tinnen (Gibt es eigent­lich noch nicht-krimi­nelle Damen in und um Weinheim?) bei Gelagen, wo bevorzugt Alkohol »gebechert«, herum­geal­bert, gelästert und Unsinn veran­staltet wird. Was die Frauen zu­sammen­hält, sind nicht etwa grenzen­loses Vertrauen oder tiefe Freund­schaft, sondern dass sie alle knapp bei Kasse und reich an Marotten sind.

Die schrulligen Ladies werden uns von der Ich-Erzäh­lerin Nina vorge­stellt. Die allein­stehende Apo­theken­helferin schleppt dabei aller­dings auch ihr eigenes Trauma mit sich herum. Sie rechnet damit, dass eines Tages ein »rot geklei­deter Henkers­knecht« auf­tauchen werde, um mit einem Beil ihre Glied­maßen abzu­hacken. Dagegen wappnet sie sich seit Langem, indem sie sich in einen engen Kokon ver­schnürt wie ein russi­sches Wickel­kind. Darin fühlt sie sich halbwegs sicher aufge­hoben. Lockerung bringt ihr leider auch ihr Hobby nicht wirklich: Wo sie geht und steht, hält sie die Augen auf nach Grünzeug, das in Ritzen und Spalten gedeiht und gemeinhin je nach Einstel­lung als Kräuter oder als Unkraut firmiert. Nina recher­chiert, foto­grafiert und katalo­gisiert sie alle gleicher­maßen.

Franziska, von Beruf Schulsekretärin, wird schon ewig »Franzi« genannt, aber nicht aus Sprech­faul­heit, sondern wegen ihrer seltsamen Schrulle. Es ist ihr schier unmöglich, non­chalant über einen Teppich zu laufen, dessen Fransen nicht akkurat neben­einan­der liegen. Deswegen hat sie stets einen breit gezinkten Kamm dabei, um gege­benen­falls auf die Knie zu sinken und Ordnung zu schaffen. (Dass Nina, sobald Franzi einen Besuch ankündigt, in allen Zimmern für »verzot­telte Fransen« sorgt, lässt ahnen, welcher Natur das Ver­hältnis zwischen den »Freun­dinnen« in Wahrheit ist …)

Aus dem Schulbetrieb gesellt sich weiteres Personal zu den »Klub­schwes­tern«. Die Lehrerin Corinna wird von ihrer brennen­den Neugier zum Voyeu­rismus befeuert. Nein nein, es geht ihr nicht um Sex, sondern ganz harmlos um das normale Alltags­leben wild­fremder Familien, das sie aus sicherem Versteck heraus beob­achtet. Das »Fernsehen live« faszi­niert sie so sehr, dass sie auch ihre Freun­dinnen dazu einlädt, sie ins Buschwerk von Ein­fami­lien­haus­gärten zu begleiten.

Ihre Kollegin Eva unterrichtet Sport und Ethik und verfügt über einen außer­gewöhn­lich gelen­kigen Körper. Mit ihrem Gag, die Füße hinter dem Kopf zu ver­schrän­ken, könnte sie im Zirkus glänzen. Die Schlangen­frau verfügt auch über einen Ehemann, der aller­dings außer­gewöhn­lich eifer­süchtig ist.

Schließlich gehören noch Jelena und Heide, zwei Ange­stellte im Super­markt, zum harten Kern der »Spinne­rinnen«. Doch der formlose Verein könnte sich problem­los ver­größern, denn im Städtchen wimmelt es nur so von völlig ver­dötsch­ten Zwei­beinern, die sich locker für eine Mit­glied­schaft qualifi­zieren würden.

Das Böse keimt und gedeiht in der Frauen­runde erst mit der Zeit und den Gelegen­heiten. Bei einer Exkursion im Zuge von Corinnas Vorliebe wagt sich die Truppe in ein Haus vor, in dem zwar leider gerade keine Bewohner auszu­spionie­ren, aber Kostbar­keiten zu entdecken sind. Denen kann die eine oder andere nicht wider­stehen: Nina steckt eine Kleinig­keit für ihre Netsuke-Sammlung ein, Franzi lässt eine silberne Votivgabe mitgehen. Corinna ist empört – so war das schließ­lich nicht geplant –, aber das ist erst der Anfang. Über Andreas Haase erklimmen sie spielend ein höheres Level. Bereits mit seiner dumm­dreisten Anmache löst der Mann bei Nina Ekelge­fühle aus, und sich anbie­tende sprach­liche Blöde­leien über den Namens­vetter, der von nichts weiß oder auch »im Pfeffer« liegt, ebnen den Weg zu Taten: »Viele Hündinnen sind des Hasen Tod.«

Ingrid Nolls Kriminalromane sind wohl­tuend frei von Themen, die vielen von uns schon beim Frühstück bitter aufstoßen, und schon gleich von Ambitio­nen, uns zu besseren Menschen zu erziehen. Sie schocken uns müde Leser zum Feier­abend weder mit brutalem Gemetzel noch rand­ständi­gen Perver­sitäten noch zwängen sie uns (und die Autorin sich selbst) zwischen die morali­sieren­den Leit­planken politi­scher Korrekt­heit. Nolls Bücher sind einfach nur entspan­nendes, leicht makabres Amüsement und zweck­freier Eskapis­mus. Aber im Gegen­satz zu einigen Vor­gänger­roma­nen kommt »Tea Time« leider kaum über einen moderaten Unter­haltungs­wert hinaus. Noll-Kenner haben schon origi­nellere Charak­tere kennen­gelernt, die differen­zierter konzi­piert wurden, die kauzig, aber auch liebens­wert sind, so dass man ihnen das Morden gewisser­maßen durch­gehen lässt. So bewun­derns­wert es ist, dass Ingrid Noll ihre unver­kenn­bare Inspira­tion niemals auszu­gehen scheint, so haben ihre Figuren und Plots mittler­weile doch nicht viel mehr zu bieten als ihre Skurri­lität und geraten bald in Ver­gessen­heit.


Weitere Artikel zu Büchern von Ingrid Noll bei Bücher Rezensionen:

Rezension zu »Über Bord«

go

Rezension zu »Hab und Gier«

go

War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Tea Time« von Ingrid Noll
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon als
Gebundene Ausgabe E-Book Hörbuch CD


Kommentare

Zu »Tea Time« von Ingrid Noll wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top