Tea Time
von Ingrid Noll
Sechs neue Schwestern im Klub von Nolls skurrilen badischen Mörderinnen
Alles in Ordnung in Weinheim
Im schönen Weinheim an der Badischen Bergstraße führt ein roter Hahn als Wegweiser über die dreizehn Stationen eines Spazierwegs, den die Stadt ihrer Mitbürgerin Ingrid Noll gewidmet hat. Das Symbol erinnert an den Debütroman, mit dem die Schriftstellerin 1991 eine lange Serie von Bestsellern startete. Im Mittelpunkt der kurzweiligen, amüsanten Krimis (alle bei Diogenes verlegt, in bis zu 27 Sprachen übersetzt) stehen originelle Frauen aus der Rhein-Neckar-Region, die, ihren Ticks und Spleens folgend, ebenso originelle Verbrechen begehen und ihre Opfer (vorzugsweise Männer) sogar ums Leben bringen. In Weinheim spielt auch »Tea Time«, der neueste Roman, und er ist nach dem gleichen Erfolgsrezept zubereitet. Der Titel könnte suggerieren, dass die 1935 in Shanghai geborene Autorin nach drei Jahrzehnten genug von der badischen Provinz habe und womöglich in feinere britische Gefilde wechsle. Ganz undenkbar wäre das nicht, sind viele ihrer bisherigen Mordkonzepte doch keineswegs unvereinbar mit der vornehmen Zurückhaltung, die dem klassischen Ritual eines kultivierten five o’clock tea zueigen ist.
Doch keine Sorge, es bleibt alles beim Alten und Bewährt-Deftigen. Statt bei feinsinnigen Gesprächsrunden heißen Earl Grey aus fragilen bone china-Tässchen zu nippen, treffen sich die sechs Protagonistinnen (Gibt es eigentlich noch nicht-kriminelle Damen in und um Weinheim?) bei Gelagen, wo bevorzugt Alkohol »gebechert«, herumgealbert, gelästert und Unsinn veranstaltet wird. Was die Frauen zusammenhält, sind nicht etwa grenzenloses Vertrauen oder tiefe Freundschaft, sondern dass sie alle knapp bei Kasse und reich an Marotten sind.
Die schrulligen Ladies werden uns von der Ich-Erzählerin Nina vorgestellt. Die alleinstehende Apothekenhelferin schleppt dabei allerdings auch ihr eigenes Trauma mit sich herum. Sie rechnet damit, dass eines Tages ein »rot gekleideter Henkersknecht« auftauchen werde, um mit einem Beil ihre Gliedmaßen abzuhacken. Dagegen wappnet sie sich seit Langem, indem sie sich in einen engen Kokon verschnürt wie ein russisches Wickelkind. Darin fühlt sie sich halbwegs sicher aufgehoben. Lockerung bringt ihr leider auch ihr Hobby nicht wirklich: Wo sie geht und steht, hält sie die Augen auf nach Grünzeug, das in Ritzen und Spalten gedeiht und gemeinhin je nach Einstellung als Kräuter oder als Unkraut firmiert. Nina recherchiert, fotografiert und katalogisiert sie alle gleichermaßen.
Franziska, von Beruf Schulsekretärin, wird schon ewig »Franzi« genannt, aber nicht aus Sprechfaulheit, sondern wegen ihrer seltsamen Schrulle. Es ist ihr schier unmöglich, nonchalant über einen Teppich zu laufen, dessen Fransen nicht akkurat nebeneinander liegen. Deswegen hat sie stets einen breit gezinkten Kamm dabei, um gegebenenfalls auf die Knie zu sinken und Ordnung zu schaffen. (Dass Nina, sobald Franzi einen Besuch ankündigt, in allen Zimmern für »verzottelte Fransen« sorgt, lässt ahnen, welcher Natur das Verhältnis zwischen den »Freundinnen« in Wahrheit ist …)
Aus dem Schulbetrieb gesellt sich weiteres Personal zu den »Klubschwestern«. Die Lehrerin Corinna wird von ihrer brennenden Neugier zum Voyeurismus befeuert. Nein nein, es geht ihr nicht um Sex, sondern ganz harmlos um das normale Alltagsleben wildfremder Familien, das sie aus sicherem Versteck heraus beobachtet. Das »Fernsehen live« fasziniert sie so sehr, dass sie auch ihre Freundinnen dazu einlädt, sie ins Buschwerk von Einfamilienhausgärten zu begleiten.
Ihre Kollegin Eva unterrichtet Sport und Ethik und verfügt über einen außergewöhnlich gelenkigen Körper. Mit ihrem Gag, die Füße hinter dem Kopf zu verschränken, könnte sie im Zirkus glänzen. Die Schlangenfrau verfügt auch über einen Ehemann, der allerdings außergewöhnlich eifersüchtig ist.
Schließlich gehören noch Jelena und Heide, zwei Angestellte im Supermarkt, zum harten Kern der »Spinnerinnen«. Doch der formlose Verein könnte sich problemlos vergrößern, denn im Städtchen wimmelt es nur so von völlig verdötschten Zweibeinern, die sich locker für eine Mitgliedschaft qualifizieren würden.
Das Böse keimt und gedeiht in der Frauenrunde erst mit der Zeit und den Gelegenheiten. Bei einer Exkursion im Zuge von Corinnas Vorliebe wagt sich die Truppe in ein Haus vor, in dem zwar leider gerade keine Bewohner auszuspionieren, aber Kostbarkeiten zu entdecken sind. Denen kann die eine oder andere nicht widerstehen: Nina steckt eine Kleinigkeit für ihre Netsuke-Sammlung ein, Franzi lässt eine silberne Votivgabe mitgehen. Corinna ist empört – so war das schließlich nicht geplant –, aber das ist erst der Anfang. Über Andreas Haase erklimmen sie spielend ein höheres Level. Bereits mit seiner dummdreisten Anmache löst der Mann bei Nina Ekelgefühle aus, und sich anbietende sprachliche Blödeleien über den Namensvetter, der von nichts weiß oder auch »im Pfeffer« liegt, ebnen den Weg zu Taten: »Viele Hündinnen sind des Hasen Tod.«
Ingrid Nolls Kriminalromane sind wohltuend frei von Themen, die vielen von uns schon beim Frühstück bitter aufstoßen, und schon gleich von Ambitionen, uns zu besseren Menschen zu erziehen. Sie schocken uns müde Leser zum Feierabend weder mit brutalem Gemetzel noch randständigen Perversitäten noch zwängen sie uns (und die Autorin sich selbst) zwischen die moralisierenden Leitplanken politischer Korrektheit. Nolls Bücher sind einfach nur entspannendes, leicht makabres Amüsement und zweckfreier Eskapismus. Aber im Gegensatz zu einigen Vorgängerromanen kommt »Tea Time« leider kaum über einen moderaten Unterhaltungswert hinaus. Noll-Kenner haben schon originellere Charaktere kennengelernt, die differenzierter konzipiert wurden, die kauzig, aber auch liebenswert sind, so dass man ihnen das Morden gewissermaßen durchgehen lässt. So bewundernswert es ist, dass Ingrid Noll ihre unverkennbare Inspiration niemals auszugehen scheint, so haben ihre Figuren und Plots mittlerweile doch nicht viel mehr zu bieten als ihre Skurrilität und geraten bald in Vergessenheit.