Rezension zu »Menschenfischer« von Jan Seghers

Menschenfischer

von


Ein dreizehnjähriger Junge wird grausam ermordet. Eine umfangreiche Sonderkommission ermittelt intensiv, aber ohne Erfolg. Erst Jahrzehnte später bringt Robert Martha­ler Licht in das finstere Geflecht, das er hinter der Tat aufdeckt.
Thriller · Kindler · · 432 S. · ISBN 9783463406701
Sprache: de · Herkunft: de

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Eine ungesühnte Schandtat

Rezension vom 01.12.2017 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Ein gestandener Erwachsener hat schwer zu tragen, wenn er den Leichnam eines Kindes anschauen muss. Was für ein sprach­loses Entset­zen muss im April 1998 die Mädchen und Jungen ergriffen haben, die beim Spielen in einem Fuß­gänger­tunnel unter den Gleisen des Bahn­hofs Frankfurt-Höchst unvorbe­reitet auf den leblosen Körper des dreizehn­jährigen Tobias Brüning stießen. Er war halb­nackt dort abge­legt worden, nachdem der Täter den Jungen geschlagen und gewürgt, seine Kehle durch­schnitten, seinen Unterleib bestia­lisch verstüm­melt hatte.

Der abscheuliche Mord setzt ganz Deutsch­land unter Schock. In Frankfurt wird die Sonder­kommis­sion »Tunnel« gebildet, in der einhundert­fünfzig Spezialisten unter der Leitung des Kommis­sars Rudi Ferres zusam­menarbei­ten. Sie rekonstru­ieren Minute für Minute des letzten Tages im Leben des Jungen. Viele Zeugen­aussa­gen gibt es nicht, aber sie reichen aus, um ein Phantom­bild zu erstellen. Man wendet sich an die große Öffent­lich­keit, das ZDF berich­tet, und dennoch bleiben Hinweise aus, die zur Identi­fizierung des Täters führen könnten.

Nach und nach werden SoKo-Mitarbeiter für aktuelle Aufgaben abge­zogen. Aber das Engage­ment des Chef­ermitt­lers scheint unermüd­lich. Rudi Ferres lässt dieses Verbre­chen nicht mehr los, bis ihn der eine oder andere für »verrückt« hält, er seine Familie und fast auch noch sich selbst verliert. Gut ein Jahr­zehnt später wird er ohne großes Auf­hebens pensio­niert und setzt sich nach Südfrank­reich ab, ohne eine Adresse zu hinter­lassen.

Bis hierher entspricht der trostlose Verlauf der Handlung weit­gehend einem erschüt­ternden realen Kriminal­fall und den vergeb­lichen Anstren­gungen, ihn aufzu­klären. Das reale Opfer hieß Tristan Brübach, der Haupt­kommis­sar Rudolf Thomas. Immer wieder gab es bis in die aller­jüngste Zeit Versuche, neue Einblicke in das finstere Geschehen herbei­zuzwin­gen – ohne Erfolg.

Nun hat der Frankfurter Journalist und Autor Jan Seghers den Fall als Vorlage zu seinem sechs­ten Kriminal­roman um den Protago­nisten Robert Martha­ler gewählt. Nach sorgfäl­tigem Studium der verfüg­baren Unter­lagen hat er zahlreiche fiktionale Ergän­zungen hinzuge­fügt und daraus ein umfäng­liches Handlungs­geflecht konstru­iert, das aus den Anfängen bis in unsere Gegen­wart reicht und schließ­lich zur Ergreifung des Kinds­mörders führt.

Mitten in einer Nacht des Jahres 2013 klingelt Robert Marthalers Telefon. Am anderen Ende der Leitung hört er die verzwei­felte Stimme von Rudi Ferres. Er bittet ihn, umgehend zu ihm nach Frank­reich zu kommen, da werde er ihn auf den neuesten Stand seiner Erkennt­nisse bringen. Seit Robert Mar­thaler selbst kurz­zeitig Mitglied der SoKo »Tunnel« war, schätzt er deren unkon­ventio­nellen Chef, und deswegen macht er sich auf den Weg, obwohl gerade ein Terroran­schlag die Frank­furter Innen­stadt erschüt­tert hat und seine Mitwir­kung vor Ort erwünscht wäre.

Rudi Ferres hat die Akten des Falles Tobias Brüning niemals geschlos­sen, sondern im Ruhe­stand sämtli­che Unter­lagen gründ­lich aufgear­beitet, pingelig geordnet und systema­tisch ausge­wertet. Jetzt will er auf der Basis seiner neuen Einsich­ten einen letzten Versuch starten, den Mörder ausfindig zu machen. Eine Fernseh­repor­tage soll erneut ausge­strahlt werden, und im Anschluss soll Haupt­kommis­sar Mar­thaler Zu­schauer­anrufe entgegen­nehmen.

Tatsächlich geht ein ernstzunehmender Hinweis ein. Eine Anrufe­rin behauptet, sie habe ein Schäfer­häus­chen an einen Fotografen vermietet, der dem im Fernsehen gezeig­ten Phantom­bild ähnle. Während Robert Mar­thaler die Zeugin befragt, werden in einem alten Berg­werks­stollen unter­halb der Loreley die Leichen zweier Roma-Jungen entdeckt. Die Art, wie sie getötet und bestia­lisch verstüm­melt wurden, ähnelt der des Falls Tobias Brüning.

Wendungsreich entwickelt sich die fiktionale Hand­lung, der Personen­kreis weitet sich (bei­spielswei­se erledigt ein eiskalter Killer für Geld jeden Drecks­job), und selbst der Terror­an­schlag bleibt nicht außen vor. Der ange­nehm dahin­flie­ßende Sprach­stil des Autors gibt dem Roman Tempo. Man fliegt förmlich über die Seiten, saugt dabei die detail­liert beschrie­benen Methoden der Spuren­siche­rung auf und folgt den Über­legun­gen der Ermittler.

Atem holen kann man, wenn zwischendurch das zwischen­mensch­liche Feld beackert wird. Da geht es um alltäg­liche Mäke­leien und das übliche Kompetenz­geran­gel der Polizeiabtei­lungen, aber auch um die kompli­zierte Bezie­hung des Protago­nisten zu der Tschechin Tereza. Bei seinen Recher­chen zu den beiden Kinder­leichen an der Loreley lernt Robert Mar­thaler die lokal zustän­dige Kommis­sarin Kizzy Winter­stein kennen. Schnell entde­cken die beiden Kollegen Verbindun­gen zwischen ihren beiden Fällen – und auch zwischen ihren privaten Empfin­dungen. So dringen sie dann gemein­sam ermit­telnd immer tiefer in einen Sumpf ein, dessen Existenz Rudi Ferres noch nicht einmal ahnen konnte.

Wie die vorausgegangenen fünf Marthaler-Krimis wird gewiss auch »Menschen­fischer« bald fürs ZDF verfilmt. Seine Handlung ist voller Über­raschun­gen, die Spannung setzt gleich am Anfang ein und trägt bis zum Schluss. Doch was ihn um so viel ergrei­fen­der macht als die meisten anderen Krimis ist das Wissen um die Wahr­heit seines Anfangs­falles. Die erzähl­ten Bilder des Marty­riums, das ein unschul­diger kleiner Junge durch­leiden musste, lassen einen nicht mehr los, ebenso wie die Fragen, was der Täter für ein Mensch sein muss, was ihn eine solche Tat begehen ließ, wie er danach mög­licher­weise Jahr­zehnte mit seinem Gewissen weiter­leben konnte.


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