Rezension zu »Schöne Ruinen« von Jess Walter

Schöne Ruinen

von


Belletristik · Blessing · · Gebunden · 448 S. · ISBN 9783896674999
Sprache: de · Herkunft: us · Region: Ligurien

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Cinque Terre meet Hollywood

Rezension vom 29.06.2013 · 4 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Die Cinque Terre sind fünf malerisch am Felsen klebende Küstendörfer nord­west­lich von La Spezia an der italienischen Riviera. Heute sind sie Na­tio­nal­park, UNESCO-Weltkulturerbe und von Touristen überflutet, darunter zahllosen jungen Amerikanern auf der Suche nach romantic Italy. Bis 1874 waren die Orte nur übers Wasser oder steinige, steile Wege durch die Macchia zu erreichen; dann baute man eine abenteuer­liche Eisen­bahn­strecke von Genua nach La Spezia, die jedem Ort einen winzigen Bahnhof schenkte, einge­zwängt zwi­schen Tunneln, Treppen, Galerien, Mee­res­brandung – der Boom konnte beginnen. Aber bis in die Sech­zi­ger, Siebziger Jahre blieb die Gegend noch ein Geheimtipp für die Fans von schlichter, spröder Ursprüng­lich­keit, frischem Fisch und waghalsigem Wandern.

Da beginnt der Plot des Romans »Schöne Ruinen« (»Beautiful Ruins« Jess Walter: »Beautiful Ruins« bei Amazon), den der amerikanische Autor und Pulitzerpreisträger Jess Walter verfasst und Friedrich Mader übersetzt hat. Walter hängt aber den fünf verschlafenen terre noch ein fiktionales sechstes Örtchen an, das er etwas platt »Porto Vergogna« (Hafen der Schande) nennt und zwischen Riomaggiore und Porto Venere an die Felsen klebt.

Hier kaufte Carlo Tursi nach dem Krieg eine heruntergekommene, verrufene Trattoria mit sechs Zimmern, um sie zu einer Pension auszubauen. Als er 1962 stirbt, hinterlässt er seinem Sohn Pasquale, 21, neben dem schlichten Gebäude samt Visionen zwei launische bis verrückte alte Frauen: seine halbseitig gelähmte Witwe Antonia sowie Zia Valeria. Pasquale wäre kein waschechter Italiener, wenn er nicht alles für die Familie täte; er gibt Studium und Geliebte (Amadea) in Florenz auf, um liebevolle Verantwortung für die »due streghe« (die beiden Hexen) und das Erbe des Vaters zu übernehmen.

Bald träumt Pasquale einen avantgardistischen American Dream. Wenngleich großartige Renovierungen am Haus bislang noch ausgeblieben sind, muss ein Strand her und ein Tennisplatz – für die demnächst zu erwartenden zahlungskräftigen Amerikaner.

Während Pasquale wieder einmal in der Brandung Steinbrocken für seine Infrastruktur auftürmt und das Gespött der Dörfler ertragen muss, landet – oh Wunder! – ein Fischerboot an, darin eine atemberaubende blonde Schönheit. Freund Orenzio hilft ihr an Land, holt ihr Gepäck heraus und stellt sie Pasquale vor: »La bella« ist »schöne Amerika«, radebrecht er.

Mit Dee Moray, 22, bricht nicht etwa der erhoffte Übersee-Tourismus los, sondern Hollywood-Chaos herein.

Dee hat eine kleine Rolle im Monumentalfilm »Cleopatra«, den die 20th Century Fox gerade in Rom dreht. Die Medien lassen Superstars Richard Burton und Liz Taylor nicht aus den Augen – ein Hype, der der Pro­duktionsgesellschaft nur recht ist, denn der teuerste Spielfilm aller Zeiten treibt sie an den Rand des Ruins. Da kommt es sehr ungelegen, dass Burton die kleine Dee vernascht hat, und das nicht folgenlos.

Aber PR-Manager Michael Deane deichselt das Ding schon auf seine Weise. Dees Symptome werden als Magenkrebs deklariert, der in der Schweiz entfernt werden soll, nachdem Dee ein paar Tage in einem Luxus­hotel in Porto Venere entspannt hat. Aus Versehen aber landet sie in Porto Vergogna in Pasquales »Hotel zur ausreichenden Aussicht« und durchlebt dort drei ereignisreiche Tage. Pasquale verliebt sich in Dee; die perfide Fehldiagnose fliegt auf; Richard Burton reist samt Michael Deane an, um die Wogen zu glätten; Zia Valeria jagt die beiden mit einem Fluch aus dem Hause – Ende des ersten Teils.

Fünfzig Jahre später (2008) macht sich Pasquale auf die weite Reise nach Kalifornien, um seiner nie in Er­füllung gegangenen Liebe nachzuforschen. Alles was er hat, ist Michael Deanes Visitenkarte. Nun wird es erst richtig turbulent. Deane scheut weder Kosten noch Mühen, heuert einen Detektiv an, macht Dee schließlich ausfindig.

Neben dieser Prozedur arbeitet Walter auch auf, was sich im Laufe der fünfzig Jahre seit 1962 alles getan hat:
Pasquale kehrt reumütig zu Amadea zurück; sie heiraten und bekommen vier Kinder.
Ein alljährlich anreisender amerikanischer WW-II-Veteran schafft es nicht, seine Kriegserinnerungen zu Papier zu bringen; über das Kapitel »Das Lächeln des Himmels« kommt er nicht hinaus.
Michael Deane schließt vier Ehen, lässt wiederholt sein Gesicht liften, bis es nicht mehr zu seinem abge­wrackten Unterteil passt, hat im Filmgeschäft längst Anschluss und Überblick verpasst und schlägt sich durch, indem er Trends hinterherjagt, die er nicht versteht.
Dee Moray heißt nun Debra Moore und betreibt ein kleines Laientheater in Seattle.
Dees (und Richard Burtons) Sohn Pat war kein sonderlich guter Schüler, nahm Drogen, verursachte einen Autounfall, tingelt durch Europa, um sein Leben in den Griff zu bekommen.
Die Filmbranche hat ihren Glamour verloren und verflacht in Serienproduktionen und Oberflächlichkeit.

Walters Anliegen ist sichtlich auch das Spiel mit verschiedenen Medien und Darstellungsformen. Neben diversen literarischen Stilmitteln integriert er solche des Films, des Theaters, der Musik. Er führt uns mit­ten hinein in die Arbeit an »Cleopatra«, beleuchtet aber auch den Starrummel und seine Hintergründe.

So interessant und farbig das alles ist, hat Jess Walter nach meinem Gusto doch viel zu viel in seinen Schmöker gepackt. Zwar behält er alle Fäden in der Hand, führt alle irgendwie zusammen, spinnt am Ende gar kurz weiter, was aus den Figuren so wird.

Doch manches scheint mir schlicht überflüssig, wie der gesamte melodramatische Handlungsstrang um Pat, der dem Leser obendrein in doppelter Ausführung zugemutet wird (in erzählter Form und als Bühnen­stück »Frontman«, reduziert auf eine Bettszene, in der Pat fremdgeht, erwischt wird und dabei erfährt, dass seine Mutter krebskrank ist und bald sterben wird …).

Zielt das ganze bunt und lebhaft gestaltete Tohuwabohu womöglich seinerseits auf eine unterhaltsame Hollywood-Verfilmung?

Gelungene Sätze wie »Das Leben entsteht erst aus der Kraft der Fantasie.« oder »Manche Leute warten ewig, und erst am Ende ihres Lebens merken sie, dass es vorbeigegangen ist, während sie darauf gewartet haben, dass es anfängt.« erlangen in konzentrierteren Romanen Aussagekraft; hier aber flutschen sie im Strudel der Ereignisse durch. Wer sich daran nicht stört und auf gelegentliche Ausflüge in inhaltliche Nie­derungen, Kitsch, Schmalz und Boulevard einstellt, wird mit »Schöne Ruinen« ungetrübte, lauschige Muße­stun­den verbringen können. Aber bitte nicht in Porto Vergogna, denn »nur der Tod ist ruhiger« als la sesta terra


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