Rezension zu »Danach« von Koethi Zan

Danach

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Thriller · Scherz · · Taschenbuch · 448 S. · ISBN 9783651000452
Sprache: de · Herkunft: us

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Sarah wächst über sich hinaus

Rezension vom 01.10.2013 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Zurückgezogen aus der Welt wie eine Karthäuserin lebt Caroline Morrow. Ihre Arbeit für eine Versiche­rungsgesellschaft erledigt sie am Computer im häus­lichen home office. Ihr Appartement in einem Hoch­haus an der Upper West Side von Manhattan braucht sie nie zu verlassen, denn Pförtner Bob liefert ihr auf Wunsch alles nach oben. Andere Menschen erträgt sie nicht in ihrer Umgebung. Sie schafft es nicht ein­mal, jemandem die Hand zu reichen. Ihr Studium in über­füllten Hörsälen hat sie nur mit äußerster An­strengung und gestützt durch viele Therapiesitzungen mit ihrer Psychologin Dr. Simmons beenden können. Der Grund für ihre panische Scheu vor Menschen: Zehn Jahre zuvor hatte sie ein Mann jahrelang in einem Kellerverlies gefangen gehalten.

Sarah Farber – ihr richtiger Name, ehe sie eine neue Identität erhielt – war zwanzig Jahre alt, als sie ihre beste Freundin Jennifer überredete, mit ihr auf eine Party zu gehen. Danach sollte sie ein Taxi nach Hause bringen. Die beiden jungen Frauen nickten im Auto ein und kamen in einem dunklen, muffigen, feuchten Kellerloch wieder zu sich. Damit begann eine furchtbare Zeit psychischer und körperlicher Foltern, deren Nachwirkungen sie für immer belasten sollten.

Der Entführer steckt Jennifer in eine enge Kiste, während er Sarah an die Wand kettet, von wo aus sie dem Leiden ihrer Freundin hilflos zusehen muss – ein perfides Druckmittel, um die Gefangenen gefügig zu ma­chen. Doch der Entführer zieht die Schraube des Horrors immer strammer …

Gibt es irgend etwas, das Sarah tun könnte, um die unvorstellbar schreckliche Pein ständig neuer Quäle­reien abzuwenden? Ihr bleibt letztlich nichts als sich zu fügen. Sie frisst ihrem Schinder im wahrsten Sinne des Wortes aus der Hand, wenn er ihr etwas zu essen oder zu trinken bringt oder ihr gestattet, sich zu wa­schen. Dann kehrt Sarah das Böse in seinem Wesen um, stilisiert ihn zum Retter.

Der Sadist hält noch zwei weitere Mädchen gefangen. Tracy und Christine sind schon länger in seiner Hand. Keine der vier Frauen ist in der Lage zu sprechen. Sie scheuen sich, etwas von sich preiszugeben – es könnte zum Bumerang werden.

Eine seltene Abwechslung in ihrem zermürbenden, elenden Dasein tritt ein, wenn der Entführer die Mäd­chen in eine feine, makellos saubere Wohnung bringt. Sie ist nobel und geschmackvoll eingerichtet, das Mobiliar klassisch. In der Bibliothek stehen Werke bedeutender Literaten, aber auch eine Folterbank. Was hier geschieht, bevor die schlaffen, wunden Körper der Bewusstlosen wieder im Keller abgelegt werden, überlässt die Autorin weitestgehend unserem Kopfkino.

Als der Widerling Sarah einmal nach oben holt, in eine Kiste sperrt und tagelang alleine lässt, unternimmt sie einen gefährlichen Ausbruchsversuch – und ihr gelingt die Flucht. Wenig später kann die Polizei den Mann festnehmen. Es ist einer, von dem man so eine Tat nie erwartet hätte, und die doch zu ihm passt: Jack Derber ist einer der angesehensten Psychologieprofessoren an der Universität von Oregon …

Inzwischen ist ein Jahrzehnt vergangen. Sarah hat es mit ihren schweren Traumata, Neurosen und martern­den Schuldgefühlen verbracht, denn Jennifer war während ihrer gemeinsamen Gefangenschaft elendig zu Grunde gegangen und verstorben. Ihre Leiche hat man bis heute nicht gefunden. Aus diesem Grunde wurde gegen Jack Derber niemals Anklage wegen Mordes erhoben. Zwar hat er die Zeit in Haft verbüßt, aber in vier Monaten soll ein Bewährungsausschuss entscheiden, ob er nun vorzeitig in die Freiheit entlassen wer­den kann – für Sarah eine unerträgliche Perspektive.

Agent McCordy ist der Ansicht, dass Jack wenigstens sein volles Strafmaß absitzen sollte, und will sich dafür einsetzen. Dazu bedarf es einer »Opfererklärung über die Folgen der Tat« vor dem Gremium. Doch Tracy und Christine haben ihm jede Unterstützung verweigert. Nun muss er Sarah überzeugen. Will sie trotz ihrer posttraumatischen Belastungssyndrome bei den Anhörungen aussagen – kann sie darüber über­haupt sprechen?

Erst jetzt erreichen wir den Schwerpunkt des Plots, und mit Sarah geht eine erstaunliche Wandlung vor. Denn obwohl für die Recherchearbeit Jahre nach der eigentlichen Entführung und in einem derart schockie­renden Fall schwerer Freiheitsberaubung natürlich eine ganze special force des FBI zuständig wäre, ergreift ausgerechnet Sarah das Ruder. Hatte sie nicht gerade noch mit elementarsten Lebensängsten zu kämp­fen? Die Frau, soeben noch unfähig, einen Supermarkt zu betreten, zieht jetzt los, um Jennifers Leiche zu finden und alles über Jack Derber zu erfahren, wozu Polizei und Gericht nicht in der Lage wa­ren.

Zunächst ermittelt Sarah allein. Später kann sie Tracy gewinnen, sich ihrer Verbrecherjagd anzuschließen. Trotz Flugangst besteigt Sarah einen Jet nach Portland, Oregon. Unter dem Vorwand, an ihrer Dissertation zu arbeiten, gewinnt sie das Vertrauen von Jack Derbers Kollegen an der psychologischen Fakultät der Uni und erfährt von dessen damaligem Forschungsgebiet: dem Verhalten von Menschen unter extremen Schmer­zen. Standen die Folterungen in seinem privaten Verlies also im Dienste der Wissenschaft?

Nachdem sie jahrelang unter ihren unerträglichen Erinnerungen gelitten hat, dringt Sarah nun mutig in das Haus ihres einstigen Peinigers ein, betritt erneut den schrecklichen Ort ihrer Gefangenschaft und Folter – ganz ohne Polizei und ohne Unterstützung ihrer Psychologin.

Erst einmal zur Thriller-Heldin mutiert, ermittelt Sarah entschieden weiter auf eigene Faust. Sie findet her­aus, dass der Prediger einer religiösen Sekte Menschenhandel betreibt. Mädchen und Jungen werden ent­führt, gefangen gehalten und im Internet wie Sklaven zum Kauf angeboten. Sie beobachtet den Geistlichen, wie er mit einem Lieferwagen eine einsame Scheune ansteuert – und furchtlos begibt sie sich in dunkler Nacht dorthin, um seinen Geheimnissen auf den Grund zu gehen …

Auch damit ist es noch nicht genug. Denn Psychopathen wie Jack suchen bekanntlich, indem sie anderen Schmerzen zufügen, den gesteigerten Kick in der Sexualität. So bleibt der geplagten Sarah auch der Weg in die Sado-Maso-Szene nicht erspart. Sie besucht einen privaten Club für Spezialisten, in dem auch Jack damals regelmäßig verkehrte. Glücklicherweise verschont uns Koethi Zan mit den letzten Details ultimati­ven Ekels; um sich vorzustellen (wenn man das denn möchte), was dort an perversen Befriedigungs­ver­gnü­gen abgeht, genügen bereits ihre Andeutungen: die eigenwillige Kostümierung, das Kettengerassel, das Winseln hinter ihrem Herrn kriechender Menschen und die von jedem Mitglied zu respektierenden Ver­hal­tens­regeln, wenn gewisse Grenzen an Schmerz und Erniedrigung erreicht sind …

Die amerikanische Bestseller-Autorin Koethi Zan spielt mit ihrem Thriller »The Never List« Koethi Zan: »The Never List« bei Amazon , den Verena Kilchling übersetzt hat, gekonnt auf der Klaviatur der Suggestionen und Erwartungen. Sie lässt kein Thema aus, um unsere Fantasie mit ein paar Fingerzeigen in die finstersten Regionen voranzutreiben, hält sich aber selbst wohltuend zurück und verzichtet darauf, all die traurigen, ekligen, perversen Einzelheiten explizit auszubreiten. Doch leider ist das Buch überladen mit allzu vielen Handlungssträngen, die obendrein recht grob gezimmert sind und arg konstruiert wirken. Mit Realismus, Logik und Konsistenz sollte es der kritische Leser besser nicht so genau nehmen.

»Danach« bietet ein paar Stunden gruseliger Ablenkung, die dank des auffällig leichtfüßigen Sprachstils so rasch vorübergehen, wie die Augen über den Text jagen, und am Ende überrascht den Leser noch eine gänzlich unerwartete Wendung.


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