Liebe, Triebe und Intrigen
Dass Edward Francis Averly, der 6. Earl Westlake, sein Amt als Vizegouverneur der britischen Kronkolonie in Ostindien niederlegen musste, war ein schwerer Schicksalsschlag für den kürzlich Verwitweten und seine beiden Töchter. Hinsichtlich der Gründe brodelt die Gerüchteküche: Von »Feigheit« und »Ehrlosigkeit« munkelt man. Nun müssen sie sich von einem Leben in Saus und Braus verabschieden. Mit einem Dampfer reisen sie im Spätsommer 1912 zurück nach England, um hinfort auf dem Familiensitz Somerton Court zu residieren.
Das Anwesen gehört den Westlakes schon seit fünfhundert Jahren. 1815 ließ ein Vorfahre das jetzige Herrenhaus mit neoklassizistischer Fassade und Ballsaal errichten. Doch jetzt erwarten die Heimkehrer auch zu Hause schlechte Nachrichten. Denn während der Abwesenheit des Familienoberhauptes hat sein Neffe William Averly die Verwaltung übernommen. Allerdings ist dem Lebemann, Spieler und Spekulant das Geld wie Sand durch die Finger geronnen. Welch gigantische Schulden auf Somerton Court lasten, ist noch gar nicht abzusehen. Folgt der Schande des Amtsverlustes nun womöglich noch die eines Bankrotts?
Unter solch prekären Umständen ist es schwierig, die Diskrepanz zwischen Schein und Sein, zwischen hohen Ansprüchen und reduzierten Möglichkeiten zu überbrücken. Der wirtschaftliche Niedergang des Landadels hat schon über ein Jahrhundert zuvor eingesetzt, und oft konnte seither die einträgliche Verheiratung einer Tochter mit einem bürgerlichen, aber zu Wohlstand gekommenen Bräutigam die feinen, aber armen Herrschaften vor einer unsanften Bruchlandung bewahren.
Wie günstig, dass Lady Ada, die Älteste, im heiratsfähigen Alter ist. Als sie in die Gesellschaft eingeführt werden soll, hat Vater Edward seine Wahl längst getroffen: Douglas Varley, ein Freund des Hauses soll eingefangen werden. Der einflussreiche Politiker ist wesentlich älter als Ada, aber eine gute Partie.
Niemand ahnt indes, dass Ada ihr Herz bereits während der Schiffspassage verloren hat – an den jungen Inder Ravi, der auf dem Weg zum Studium in Oxford war. Überhaupt ist die junge Lady zu aufgeweckt, um widerstandslos dirigiert zu werden. Mit großem Interesse studiert sie die Zeitungen, verfolgt darin zum Beispiel die heftigen Diskussionen über das Frauenwahlrecht. Doch sind die Zeiten noch nicht reif, die gesellschaftlichen Konventionen noch zu starr, um sie zu ignorieren.
Earl Westlakes jüngere Tochter Georgiana tut sich besonders schwer mit der Rückkehr nach Hause. Es bricht ihr das Herz, dass Somerton Court ohne ihre geliebte Mutter nie mehr sein wird, wie es einst war. Und nun muss sie sich gar noch damit arrangieren, dass ihr Vater wieder heiraten will! Mrs Templeton ist viel jünger als er, stammt aus Londoner Bürgerkreisen und wird neben ihrem Vermögen drei erwachsene Kinder in die Ehe einbringen. Georgianas vernünftige Schwester Ada sieht das ganz nüchtern: »Das Beste daraus machen … Vielleicht sind sie ja entzückend.«
Die Konflikte sind absehbar: Es wird heftige Querelen zwischen den Halbgeschwistern geben, Intrigen sind vorprogrammiert. Während Michael Templeton das Kindermädchen anhimmelt, schwärmt sein Bruder für den Kammerdiener, und beider Schwester entpuppt sich als biestige Rivalin für Lady Ada. Mrs Cliff, die langjährige, stets loyale Haushälterin, sucht zu besänftigen, wenn Spannungen zwischen Herrschaften und Bediensteten aufwallen. Doch statt ihre Verdienste zu erkennen und sie ihr zu danken, setzt man ihr zu. Vor allem schlägt ihr die Arroganz der eingebildeten reichen Familienneuzugänge entgegen.
Das Leben der Aristokratie, losgelöst von der banalen Realität, mit der sich die Dienerschaft herumschlagen möge, erweist sich als längst unzeitgemäß. Politische Umbrüche bahnen sich an – im Untergrund schwelen unliebsame Themen wie die Emanzipation der Frau, Homosexualität, mehr Rechte und größere Freiheiten für alle.
All dies erlesen wir auf angenehmste Art und Weise. Leila Rasheed pflegt einen leichten Sprachstil, der allein auf gute Unterhaltung zielt. Nett sind die Perspektivwechsel, besonders wenn aus Sicht der Dienerschaft geplaudert wird. Was die Handlungsführung angeht, bedient die Autorin sämtliche Klischees zu den Themen Liebe, Eifersucht, Intrigen, Ehre, Standesdünkel, Geschlechterrollen und so fort. So gestaltet sie ein zwar etwas schlichtes, vordergründiges Bild der historischen Epoche zwischen der Jahrhundertwende und der tiefen Zäsur, die der Erste Weltkrieg schlägt, aber es ist hübsch anzuschauen und in seinem Detailreichtum kurzweilig.
Vielleicht kommt es Ihnen auch bekannt vor. Dieses Konzept feierte bereits im Fernsehen große Erfolge in Gestalt der von der Kritik hoch gelobten britischen Fernsehserie »Downton Abbey«. Seit 2010 wurden bereits vier Staffeln produziert; die ersten beiden wurden auch auf ZDF bzw. ZDF_neo ausgestrahlt, die dritte im Juli 2013 bei Sky Cinema. Der Hyperion-Verlag aus dem Disney-Imperium mag von diesem Hit inspiriert worden sein, als er Leila Rasheeds Roman Anfang 2013 auflegte. Auch daraus ist inzwischen eine Serie geworden: »Secrets & Sapphires (At Somerton)« (3. Januar 2013), »Cinders & Sapphires (At Somerton)« (10. Dezember 2013), »Diamonds & Deceit (At Somerton)« (7. Januar 2014).
Den ersten Band »Rückkehr nach Somerton Court« hat Maria Andreas-Hoole für den Fischer-Verlag ins Deutsche übersetzt; die anderen beiden werden sicher in Kürze folgen.