Rezension zu »Was man von hier aus sehen kann« von Mariana Leky

Was man von hier aus sehen kann

von


Belletristik · Dumont · · Gebunden · 320 S. · ISBN 9783832198398
Sprache: de · Herkunft: de

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Vom Leben, Lieben, Sterben

Rezension vom 22.08.2017 · 32 x als hilfreich bewertet mit 1 Kommentaren

Wer nach einem modernen, warmherzigen, lebens­klugen, tief­sinnigen Märchen sucht, ist bei Mariana Lekys Roman »Was man von hier aus sehen kann« richtig aufge­hoben. Die phäno­menale Erzählerin versetzt uns in ein ungewöhn­liches kleines Dorf im Westerwald der frühen Achtziger­jahre, wo lauter skurrile, liebens­werte Menschen wohnen. Was sie treiben und was sie umtreibt, beob­achtet und berichtet Luise, deren Kindheit, Jugend und frühes Erwach­senen­dasein wir auf wunder­bare Weise miter­leben dürfen.

Luises Eltern sind guten Mutes und Willens, sich um ihre Tochter zu kümmern, haben aber leider einfach keine Zeit für sie, so sehr sind sie mit sich selbst beschäftigt. Mutter Astrid betreibt mit viel Engage­ment einen Blumen­laden, blockiert ihr Hirn jedoch überdies seit fünf Jahren mit der all­gegen­wärtigen, nie ent­schiede­nen Frage, ob sie sich von ihrem Ehe­mann Peter trennen sollte.

Peter ist der örtliche Landarzt. Verzweifelt über den tristen Zustand seiner Bezie­hung vertraut er sich dem Psycho­analy­tiker Doktor Maschke an. Die Koryphäe rät ihm, seinen »einge­kapsel­ten Schmerz« zu »externa­lisieren«, worauf­hin Peter aus medizi­nischen Gründen umgehend einen Mischlings­hund kauft. Da er sich persönlich nicht um das Tier wird kümmern können, über­lässt er die »Metapher für den Schmerz« Groß­mutter Selma und dem beglück­ten Töchter­chen Luise. Er selbst will »mehr Welt« in sein Leben herein­lassen, soll alles – auch seine Lieben – an den Nagel hängen, auf Reisen gehen.

Der hagere Martin ist Luises bester Freund – ihn will sie später heiraten. Martin will einmal Gewicht­heber werden. Dazu trainiert er ab und an, wenn es gerade gelegen ist, mit einem leichten Ast, oder er hebt Luise hoch, die auch gleich das Beifall klat­schende Publi­kum gibt. Später, da ist Martin sicher, wird er »glatte 185 kg« reißen wie einst Blagoj Blagoew, der »Kran von Schachty«.

Luises wichtigste Bezugsperson ist ihre Großmutter Selma. Dass sie von allen Mit­bürgern respek­tiert wird, liegt nicht zuletzt an ihren merk­würdigen Träumen. Schon drei Mal in ihrem Leben ist ihr nämlich im Schlaf ein Okapi erschie­nen, und jedes Mal verstarb danach jemand. Während Ratio­nalist Peter dies für nichts als hane­büche­nen Unfug hält, glauben alle anderen im Dorf fest an den Zusammen­hang zwischen dem exotischen Paar­hufer und dem Tod.

Kein Wunder also, dass Selma alarmiert ist, als ihr die sanft­mütige Wald­giraffe erneut begegnet. Wen wird der Tod jetzt aus ihrer Mitte holen? Obwohl Selma sich alle Mühe gibt, durch auf­fallend fröh­liches Verhalten keinen Verdacht auf­kommen zu lassen, kann sie ihr Geheim­nis nicht bewahren. Luise erfährt es ebenso wie der Optiker, der Selma heim­lich liebt, aber nie weiß, wie er ihr das er­klären soll. Ein Lauf­feuer erfasst das Dorf.

Der Einzige, den die Schreckensnachricht erfreut, ist Bauer Häubel. Nach einem langen, erfüllten Leben wartet er aufge­regt wie ein Geburts­tags­kind darauf, dass der freund­liche Tod vor­sichtig an seine Tür klopfen, um Einlass bitten und ihm behut­sam das Leben aus der Hand nehmen wird. Alle anderen versuchen, jeder auf seine Weise, dem Tod ein Schnipp­chen zu schlagen.

Der kleinen dicken Elsbeth rennt man die Bude ein. Schließlich haben ihre Haus­mittel­chen gegen Gicht, aus­bleiben­de Liebe und der­gleichen immer geholfen. Als die Frau Bürger­meiste­rin einst von Kopf­schmerzen gequält wurde, riet sie ihr, die Stirn gegen einen Pferde­kopf zu lehnen. Aber gegen den Tod kann auch Elsbeth nichts an­bieten.

Mariana Leky hat in ihrem Roman einen ganzen Reigen wunder­samer Figuren erschaffen, die alle ein beschei­denes Glück leben, oft mit der Tragik verpass­ter Momente be­schwert und teils absurden Situa­tionen ausge­setzt. Alle vereint die Empathie und die Toleranz der Anders­artig­keit. Jeder nimmt auf seine Weise die Gefühle der anderen wahr, jeder nimmt aufrichtig Anteil an der Sehn­sucht nach Liebe, an erlitte­nem Schmerz, an un­tröst­licher Trauer.

Die Zeit vergeht, Selmas Traum scheint seine Zwangs­läufig­keit zu verlie­ren, die Dörfler beginnen sich in Sicherheit zu wiegen, da schlägt das Schick­sal doch noch zu. Wie lako­nisch, bild­stark und ergrei­fend die Autorin den Schmerz und die Trauer beschreibt, die nun das gesamte Dorf erschüttern, hat man selten gelesen. Luise fällt in eine Art Dorn­röschen­schlaf. Selma trägt ihre Enkelin drei Tage lang auf den Armen, auf den Schultern, ohne sie je abzu­legen. Elsbeth versucht mit dem Laub­bläser den Frühling in ihrem Garten in einen Herbst zu verwan­deln.

Doch das Leben geht weiter, Luise wird erwachsen, verliebt sich neu. Aber das ist eine weitere Geschichte dieses wunder­baren, epi­soden­reichen Romans, den ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Sommer 2017 aufge­nom­men habe.


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Kommentare

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Zu »Was man von hier aus sehen kann« von Mariana Leky wurden 1 Kommentare verfasst:

Bettina B. schrieb am 27.07.2022:

Spannend, dass es auch LeserInnen gibt, die das Buch langweilig fanden. Mich hat bisher kein Buch so gefesselt und mir so viel Freude bereitet wie dieses. Besonders gefallen hat mir die Schönheit der Sprache und dass die Menschen in dem unspektakulären Dorf, mit meist ganz unspektakulären, aber dennoch besonderen Lebensverläufen, einander auch wirklich zuhören. Eingelesen wird das Buch von Sandra Hüller, die sehr feinfühlig mitten ins Leben und Erleben der Protagonisten führt... und das ist halt manchmal auch monoton oder verstockt. Grandios gelesen.

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