Meine Schwester, die Serienmörderin
von Oyinkan Braithwaite
Zwei sehr gegensätzliche Schwestern kämpfen in der nigerianischen Metropole Lagos um Männer, jede auf ihre Weise, miteinander und gegeneinander.
Nicht immer bekommt man, was man will
Das erste Kapitel (»Worte«) hat zweieinhalb Zeilen. Ayoola ruft ihre Schwester Korede an und sagt: »Ich habe ihn umgebracht.« Wie wir später erfahren, fühlt sich Korede seit Langem verpflichtet, die flatterhafte Jüngere zu behüten, und wird auch jetzt einspringen, als Ayoola ängstlich auf dem Klodeckel kauert und der wütenden Vorwürfe Koredes harrt, die immer alles im Griff hat und auch ausbügeln kann, was sie vermasselt.
Das zweite Kapitel (»Bleiche«) hat zweieinhalb Seiten. Es geschieht nicht nur mehr – Korede tut, was nach einem Mord eben getan werden muss –, sondern sie breitet bei der Gelegenheit auch aus, was sie über Bleiche weiß. Weit mehr als »ein Allzweckmittel«, eigne sie sich gut zur Desinfektion, beseitige aber längst nicht alle Spuren. Solches Expertenwissen hat sie nicht nur als angesehene, zupackende Pflegerin im Krankenhaus erworben, sondern auch im Einsatz für die Schwester.
Denn um es gleich vorwegzunehmen (in der Tat dämmert es bereits nach den einundzwanzig Wörtern des ersten Kapitels): Ayoola hat Erfahrung im Morden. Das aktuelle Opfer ist mindestens ihr drittes, und möglicherweise musste schon der Vater der beiden Schwestern sein Leben unter Ayoolas Einwirkung lassen.
Die beiden Schwestern wuchsen in einer Upperclass-Familie der Millionenstadt Lagos auf. Die Ehe ihrer Eltern war keine Frucht der Liebe, sondern »Mittel zum Zweck« – mit der Braut verschaffte sich der einheiratende Ehemann lukrativen Zugang zum Schwiegervater, einem Politiker, und entwickelte sich später zu einem despotischen, prügelnden Patriarchen mit unzähligen Frauengeschichten. Nach seinem Tod musste bis auf ein Hausmädchen alles Personal entlassen werden, und Korede übernahm alle Verantwortung für den Haushalt und für Ayoola.
Dass die beiden jungen Frauen überhaupt verwandt sind, sieht man ihnen kaum an. Ayoola ist formvollendet »wie eine Bratz-Puppe« und tanzt leichtfüßig wie ein schöner Schmetterling und leichtherzig wie ein Engelchen, das gar nicht weiß, was ein Gewissen ist, durchs Leben. Jedes männliche Wesen, das ihrer gewahr wird, fällt ihr verzückt zu Füßen, und huldvoll streckt sie ihm ihre Hand entgegen wie eine Königin dem Untertanen. Ihr Wesen ist Korede, die sich selbst als Männerschreck und »Voodoo-Puppe« mit den Lippen eines »Gorillas« sieht, »rätselhaft«.
Ayoola ist der Mutter Ein und Alles. Beständig kreisen ihre Gedanken um die glückliche Vermählung ihrer phänomenalen Anmut mit Vermögen und Einfluss eines adäquaten Mannes. Die tüchtige ältere Tochter soll dabei helfen. Doch Korede weiß, dass jegliches Engagement in dieser Richtung vergebens ist. Sie ist überzeugt, dass die Schwester niemals etwas »hinbekommt, das anstrengender ist, als eine Scheibe Brot in den Toaster zu stecken«, und niemals einen Ehemann finden werde, »wenn sie nicht kochen kann«.
Überdies ist Heiraten das Gegenteil von dem, was Ayoola im Sinn hat. Als sie vierzehn war – zehn Jahre ist das her –, wollte der Vater das hübsche kleine Mädchen an einen stinkreichen, aber widerwärtigen alten »Chief« verkaufen (im Gegenzug für lukrative Geschäftsbeziehungen) und drohte ihr Prügel an, falls sie sich weigern sollte. Seither sind Ayoola sämtliche Neigungen zu festen Bindungen vergangen. Wie ein Bienchen genießt sie die kurze Phase des Begehrt- und Verwöhntwerdens, um sich des Partners anschließend dauerhaft zu entledigen.
Obwohl Korede keinen Mann hinterm Ofen hervorlocken kann, sehnt sie sich doch nach Liebes-, Ehe- und Familienglück. Dem Mann ihrer Träume ist sie sogar täglich nahe. Wenn ihr der Stationsarzt Dr. Tade Otumu ein paar anerkennende Worte schenkt (»Für irgendeinen Mann wirst du einmal eine fantastische Ehefrau sein.«), blüht sie auf, und ihr Herz erglüht. Um ihn aber für sich zu erobern, muss sie weiter kämpfen, zum Beispiel indem sie ihm von zu Hause ein Mittagessen mitbringt. Und natürlich hat sie Ayoola rein prophylaktisch jeglichen Besuch im Krankenhaus strikt untersagt.
Ungeachtet des schwesterlichen Verbotes taucht das kecke Schwesterherz dennoch eines Tages im Krankenhaus auf, wie gewöhnlich aufgebrezelt, heute in einem leuchtend gelben Hemdblusenkleid, »das ihre großzügigen Brüste keineswegs versteckt«, und wie befürchtet sind alle Mitarbeiter augenblicklich hingerissen, Dr. Tade Otumu eingeschlossen.
In leicht verständlichem, lockerem Sprachstil, rasant kurzen Kapiteln mit markanten Ein-Wort-Überschriften und ordentlich gewürzt mit schwarzpfeffrigem Humor lässt Oyinkan Braithwaite ihre Protagonistin Korede aus der Ich-Perspektive von den ungleichen Schwestern erzählen, die ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit zusammenschweißt. Bis Sexbombe Ayoola und Dr. Tade Otumu einander begegnen, ist die Geschichte für den Leser amüsant, wenn auch recht vorhersehbar. Was dann folgt, ist allerdings eine höchst vergnügliche, turbulente Mord-/Opfergeschichte voller Überraschungen.
Einen Gutteil des Reizes dieses skurrilen Romans macht für uns natürlich der ungewohnte kulturelle Hintergrund aus. Einerseits bewegen sich beide junge Frauen in der globalisierten Multimedia-Welt der Smartphones und Social Media wie Fische im Wasser – Korede holt sich Schminkanleitungen auf bekannten Kanälen, Ayoola vermarktet ihren anziehenden Body erfolgreich als Influencerin auf Instagram, wo sie täglich in verlockenden Posen eigene Kleider und Accessoires zum Nachmachen und zum Kauf feilbietet. Andererseits sind die Männer im nigerianischen Kulturkreis der Yoruba ihrem traditionellen Macho-Verhalten verhaftet. Sie haben keine Probleme damit, ihre Frauen und Töchter herumzukommandieren, zu verprügeln, zu verkaufen oder zum Höchstpreis zu verheiraten. Im Alltagsleben geht nichts ohne Bestechung. Wo Polizisten durch willkürliche Verkehrskontrollen ihr mickriges Salär aufbessern, versickert jedes Engagement, Verbrechen aufzuklären und die hohe Kriminalitätsrate in den Griff zu bekommen, wie Regentropfen im heißen Sand. So geht das Morden weiter: »Der Mann lächelt. Ich lächle zurück.«
Oyinkan Braithwaite, 1988 in Lagos geboren, in Nigeria und in Großbritannien aufgewachsen, hat mit ihrem Debütroman »My Sister, the Serial Killer« Furore gemacht. Das Buch erhielt 2019 den LA Times Award for Best Crime Thriller und wurde für den Booker Prize und den Women’s Prize for Fiction nominiert. Die deutsche Übersetzung stammt von Yasemin Dinçer.
Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Frühjahr 2020 aufgenommen.