Rezension zu »Meine Schwester, die Serienmörderin« von Oyinkan Braithwaite

Meine Schwester, die Serienmörderin

von


Zwei sehr gegensätzliche Schwestern kämpfen in der nigerianischen Metropole Lagos um Männer, jede auf ihre Weise, miteinander und gegeneinander.
Kriminalroman · Blumenbar · · 240 S. · ISBN 9783351050740
Sprache: de · Herkunft: us

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Nicht immer bekommt man, was man will

Rezension vom 01.06.2020 · 2 x als hilfreich bewertet mit 1 Kommentaren

Das erste Kapitel (»Worte«) hat zweieinhalb Zeilen. Ayoola ruft ihre Schwester Korede an und sagt: »Ich habe ihn umge­bracht.« Wie wir später erfahren, fühlt sich Korede seit Langem ver­pflichtet, die flatter­hafte Jüngere zu behüten, und wird auch jetzt ein­springen, als Ayoola ängstlich auf dem Klodeckel kauert und der wütenden Vorwürfe Koredes harrt, die immer alles im Griff hat und auch ausbügeln kann, was sie vermas­selt.

Das zweite Kapitel (»Bleiche«) hat zweieinhalb Seiten. Es geschieht nicht nur mehr – Korede tut, was nach einem Mord eben getan werden muss –, sondern sie breitet bei der Gelegen­heit auch aus, was sie über Bleiche weiß. Weit mehr als »ein Allzweck­mittel«, eigne sie sich gut zur Desin­fektion, beseitige aber längst nicht alle Spuren. Solches Experten­wissen hat sie nicht nur als ange­sehene, zupa­ckende Pflegerin im Kranken­haus erworben, sondern auch im Einsatz für die Schwester.

Denn um es gleich vorwegzunehmen (in der Tat dämmert es bereits nach den einund­zwanzig Wörtern des ersten Kapitels): Ayoola hat Erfahrung im Morden. Das aktuelle Opfer ist mindes­tens ihr drittes, und möglicher­weise musste schon der Vater der beiden Schwes­tern sein Leben unter Ayoolas Einwir­kung lassen.

Die beiden Schwestern wuchsen in einer Upperclass-Familie der Millionen­stadt Lagos auf. Die Ehe ihrer Eltern war keine Frucht der Liebe, sondern »Mittel zum Zweck« – mit der Braut ver­schaffte sich der einheira­tende Ehemann lukra­tiven Zugang zum Schwieger­vater, einem Politiker, und entwi­ckelte sich später zu einem despoti­schen, prügeln­den Patriar­chen mit unzäh­ligen Frauenge­schichten. Nach seinem Tod musste bis auf ein Haus­mädchen alles Personal entlassen werden, und Korede übernahm alle Verant­wor­tung für den Haushalt und für Ayoola.

Dass die beiden jungen Frauen überhaupt verwandt sind, sieht man ihnen kaum an. Ayoola ist form­voll­endet »wie eine Bratz-Puppe« und tanzt leicht­füßig wie ein schöner Schmetter­ling und leicht­herzig wie ein Engelchen, das gar nicht weiß, was ein Gewissen ist, durchs Leben. Jedes männliche Wesen, das ihrer gewahr wird, fällt ihr verzückt zu Füßen, und huldvoll streckt sie ihm ihre Hand entgegen wie eine Königin dem Unter­tanen. Ihr Wesen ist Korede, die sich selbst als Männer­schreck und »Voodoo-Puppe« mit den Lippen eines »Gorillas« sieht, »rätsel­haft«.

Ayoola ist der Mutter Ein und Alles. Beständig kreisen ihre Gedanken um die glück­liche Vermäh­lung ihrer phänome­nalen Anmut mit Vermögen und Einfluss eines adäquaten Mannes. Die tüchtige ältere Tochter soll dabei helfen. Doch Korede weiß, dass jegliches Engage­ment in dieser Richtung vergebens ist. Sie ist überzeugt, dass die Schwester niemals etwas »hinbe­kommt, das anstren­gender ist, als eine Scheibe Brot in den Toaster zu stecken«, und niemals einen Ehemann finden werde, »wenn sie nicht kochen kann«.

Überdies ist Heiraten das Gegenteil von dem, was Ayoola im Sinn hat. Als sie vierzehn war – zehn Jahre ist das her –, wollte der Vater das hübsche kleine Mädchen an einen stink­reichen, aber wider­wärtigen alten »Chief« verkaufen (im Gegenzug für lukrative Geschäfts­bezie­hungen) und drohte ihr Prügel an, falls sie sich weigern sollte. Seither sind Ayoola sämtliche Neigungen zu festen Bin­dungen vergangen. Wie ein Bienchen genießt sie die kurze Phase des Begehrt- und Ver­wöhnt­werdens, um sich des Partners anschlie­ßend dauerhaft zu entledi­gen.

Obwohl Korede keinen Mann hinterm Ofen hervor­locken kann, sehnt sie sich doch nach Liebes-, Ehe- und Familien­glück. Dem Mann ihrer Träume ist sie sogar täglich nahe. Wenn ihr der Stations­arzt Dr. Tade Otumu ein paar anerken­nende Worte schenkt (»Für irgend­einen Mann wirst du einmal eine fantas­tische Ehefrau sein.«), blüht sie auf, und ihr Herz erglüht. Um ihn aber für sich zu erobern, muss sie weiter kämpfen, zum Beispiel indem sie ihm von zu Hause ein Mittag­essen mitbringt. Und natürlich hat sie Ayoola rein prophy­laktisch jeglichen Besuch im Kranken­haus strikt untersagt.

Ungeachtet des schwesterlichen Verbotes taucht das kecke Schwes­terherz dennoch eines Tages im Kranken­haus auf, wie gewöhn­lich aufge­brezelt, heute in einem leuchtend gelben Hemd­blusen­kleid, »das ihre groß­zügigen Brüste keines­wegs versteckt«, und wie befürch­tet sind alle Mitar­beiter augen­blicklich hinge­rissen, Dr. Tade Otumu einge­schlos­sen.

In leicht verständlichem, lockerem Sprachstil, rasant kurzen Kapiteln mit markanten Ein-Wort-Über­schriften und ordent­lich gewürzt mit schwarz­pfeff­rigem Humor lässt Oyinkan Braith­waite ihre Protago­nistin Korede aus der Ich-Per­spektive von den unglei­chen Schwes­tern erzählen, die ein dunkles Geheimnis aus der Vergan­genheit zusammen­schweißt. Bis Sexbombe Ayoola und Dr. Tade Otumu einander begegnen, ist die Ge­schichte für den Leser amüsant, wenn auch recht vorher­sehbar. Was dann folgt, ist aller­dings eine höchst vergnüg­liche, turbu­lente Mord-/Opferge­schichte voller Über­raschungen.

Einen Gutteil des Reizes dieses skurrilen Romans macht für uns natürlich der unge­wohnte kultu­relle Hinter­grund aus. Einer­seits bewegen sich beide junge Frauen in der globali­sierten Multi­media-Welt der Smart­phones und Social Media wie Fische im Wasser – Korede holt sich Schmink­anlei­tungen auf bekannten Kanälen, Ayoola ver­marktet ihren anzie­henden Body erfolg­reich als Influen­cerin auf Instagram, wo sie täglich in verlo­ckenden Posen eigene Kleider und Acces­soires zum Nach­machen und zum Kauf feil­bietet. Anderer­seits sind die Männer im nigeria­nischen Kultur­kreis der Yoruba ihrem traditio­nellen Macho-Verhalten verhaftet. Sie haben keine Probleme damit, ihre Frauen und Töchter herumzu­komman­dieren, zu verprü­geln, zu verkaufen oder zum Höchst­preis zu verhei­raten. Im Alltags­leben geht nichts ohne Beste­chung. Wo Poli­zisten durch willkür­liche Verkehrs­kontrol­len ihr mickriges Salär auf­bessern, versi­ckert jedes Engage­ment, Verbre­chen aufzu­klären und die hohe Krimi­nalitäts­rate in den Griff zu bekommen, wie Regen­tropfen im heißen Sand. So geht das Morden weiter: »Der Mann lächelt. Ich lächle zurück.«

Oyinkan Braithwaite, 1988 in Lagos geboren, in Nigeria und in Groß­britan­nien aufge­wachsen, hat mit ihrem Debüt­roman »My Sister, the Serial Killer« Oyinkan Braithwaite: »My Sister, the Serial Killer« bei Amazon Furore gemacht. Das Buch erhielt 2019 den LA Times Award for Best Crime Thriller und wurde für den Booker Prize und den Women’s Prize for Fiction nominiert. Die deutsche Über­setzung stammt von Yasemin Dinçer.

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Frühjahr 2020 aufgenommen.


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Kommentare

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Zu »Meine Schwester, die Serienmörderin« von Oyinkan Braithwaite wurden 1 Kommentare verfasst:

Sonja Liane Hiesberger schrieb am 01.11.2020:

Das Buch ist sehr empfehlenswert zu lesen. Ungewöhnlich, makaber. Doch in allem immer spannend und nicht vorhersehbar. Toll.

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