Rezension zu »Die Sisters Brothers« von Patrick deWitt

Die Sisters Brothers

von


Belletristik · Manhattan · · Gebunden · 352 S. · ISBN 9783442547005
Sprache: de · Herkunft: us

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Killer mit Stil, Verstand und Witz

Rezension vom 09.08.2012 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Sie fragen nicht viel und fackeln nicht lange. Es ist halt ein ganz normaler Job. Die Brüder Eli und Charlie Sisters haben ihr Lebtag lang ihre Brötchen damit verdient, anderen das Gehirn wegzupusten. Und weil sie dabei gute Arbeit leisten, sind sie als Auftragskiller berühmt, berüchtigt und gesucht.

Es ist das Jahr 1851, und der amerikanische Westen ist noch weitgehend wild und unerschlossen. Wer dorthin will, um sein Glück zu suchen oder sich ein Stück Farmland zu nehmen, schließt sich einem der von erfahrenen scouts angeführten Planwagentrecks auf dem Oregon Trail an – ein lebensgefährliches Abenteuer über 3.500 km.

Auch die Sisters Brothers starten von Oregon City gen San Francisco, wo Arbeit auf sie wartet. Deren Objekt ist der skurrile, einzelgängerische Wissenschaftler Herman Kermit Warm. Der ungepflegte, unförmige, kahlköpfige Goldsucher mit rotem Vollbart haust in einem Hotelzimmer. Wenn er mit seinen Büchern unterm Arm in den Saloons hockt, erntet er nur Hohn und Spott. Aber er hütet ein Geheimnis.

Auftraggeber der Aktion ist der mächtige Kommodore, der ganz große Stücke auf sich hält. Am Schluss des Romans wird er, splitterfasernackt in einer Badewanne sitzend, der Welt »das Geheimnis wahrer Größe« verkünden: »Ein großer Mann ist derjenige, der eine Leerstelle in der materiellen Welt mit der Essenz seiner eigenen Person zu füllen vermag.«

Die beiden Brüder sind unterschiedliche Charaktere und doch ähnliche Typen. Eli, der Erzähler, hat das Herz am rechten Fleck, gibt sich sensibel und pflegt auch in brenzligen Lagen gern einen höflichen Umgangston (»Ich wäre Ihnen sehr verbunden ...«). Er fügt sich in sein Schicksal, dass sein Bruder bei diesem Auftrag die Rolle des Anführers innehat, und neidet ihm weder den gerechten Mehrlohn noch das bessere Pferd. Leider waren ihre bewährten und zuverlässigen Tiere im Zuge der letzten Aktion in einer Scheune verbrannt; daher muss Eli nun mit Tub vorlieb nehmen, der nicht mehr als fünfzig Meilen pro Tag schafft. Gelegentlich braucht er sogar die Peitsche, doch Eli setzt sie ungern ein, denn er möchte seinem Gaul nicht die Lebensfreude vermiesen.

Charlie, ein Geizkragen und Säufer, ist direkter, härter und pragmatischer. Er hasst es, lange um etwas zu bitten. Ein Zögern genügt, und schon findet sich sein Gegenüber in den ewigen Jagdgründen. Sein Verständnis für andere hat enge Grenzen. Der Doktor zum Beispiel ist selber Schuld, dass er als eine der vielen Leichen endete, die den steinigen, staubigen Sisters-Brothers-Weg gen Westen pflastern. Schließlich wollte Charlie ihm doch einen fairen Preis machen für die betäubende Medizin, die er Eli gespritzt hatte, um ihm die Zähne zu »reißen« und das fiebrige, aufgedunsene Gesicht zu punktieren. Aber er wollte ja nicht zustimmen, und so wird dies wohl sein letztes schlechtes Geschäft gewesen sein – ein weiteres in seinem Leben der vielen Schiffbrüche, die er als Gauner, in der Liebe, als Farmer, als Anteilseigner bei einem Raddampfer erlitt ...

Und doch hat dieser Pionier der Zahnheilkunde den beiden ein Präsent hinterlassen, das Eli von nun an täglich und exakt nach Gebrauchsanweisung benutzen wird: eine Zahnbürste!

Kann man sich vorstellen, dass Eli und Charlie, diese hartgesottenen Killer, tatsächlich Angst vor Spinnen haben? Noch gruseliger ist ihnen ein altes, in Lumpen gehülltes Weiblein mit schwarzen »Zahnklüften« – wahrlich eine Hexe, deren Fluch samt Perlenkette am Türstock sie so sehr fürchten, dass Charlie es vorzieht, die verrußte Hütte per »Räuberleiter« durchs Fenster zu verlassen ...

Apropos Frauen: Die sind im rauen Westen Mangelware. Charlie treibt’s mit Huren, doch Eli hat dieses »traurige Schauspiel von menschlicher Nähe« schon seit einem Jahr nicht mehr ertragen können. Er sehnt sich nach echter Liebe, zweifelt jedoch, sie je zu finden, so übergewichtig wie er ist. Kurzfristig lässt er sich darauf ein, »im Namen der Liebe« zu fasten und nur noch leichte Kost auf Gemüsebasis aufzunehmen, was in den Lokalitäten der Region, wo ja noch heute Sattwerden alles ist, für fassungsloses Unverständnis sorgt.

»Nicht jede Attraktion am Wegesrand verdient Zeit und Aufmerksamkeit,« gibt Charlie zu bedenken. Sie haben schon genügend Zeit verloren mit diversen Figuren und Exzentrikern wie beispielsweise Big Boss Mayfield, der eine Sammlung ausgestopfter Tiere im eigenen Hotel in der eigenen Stadt hütet. Der bot den beiden Jungs eine beträchtliche Summe, damit sie ihm das Bärenfell wieder beschaffen, welches Trapper des Nachts gestohlen hatten. Wie üblich, beenden die Sisters den Stress um Geld oder Fell in einer »makellosen Aktion« voller Eleganz und anmutiger Dialoge sowie unter Nutzung eines ihrer beruflichen Tricks. Nun soll es aber voran gehen ...

San Francisco, ihr Reiseziel, ist eine wuselnde, sündhaft teure Stadt. Im Hafen liegen jede Menge Segelschiffe, deren Ladung nicht gelöscht werden kann, weil die Schauerleute lieber im Hinterland nach Gold suchen: 1848 war bei Sacramento Gold gefunden worden, was den gold rush ausgelöst hatte.

Im Hotel treffen die Brüder Herman Kermit Warm und lernen in dem Wissenschaftler einen einzigartigen Menschen kennen. Eli ist so beeindruckt, dass er Stolz empfindet, Mensch zu sein – etwas, worüber er noch nie nachgedacht hatte. Mit Warm und seiner Erfindung reiten sie zu seinem Claim. Dort nimmt der Roman ein melodramatisches Ende: Im Augenblick höchsten Glücks, als der Fluss leuchtet und das Gold strahlt, wendet sich das Schicksal auf entsetzliche Weise, drohen unabwendbar Untergang und Tod.

Patrick DeWitts Roman »The Sisters Brothers«, in den USA für den »Man Booker Prize« nominiert, ist kein traditioneller Western, sondern spielt souverän mit den Klischees des Genres, um große Fragen zu erörtern. In einer Zeit des Umbruchs zwischen gesetzlosem Niemandsland und moderner Zivilisation erleben wir hemmungslose Gier, eiskalte Menschenverachtung, aber auch aufkommendes Unbehagen und menschliche Größe.

Viele amüsante, ja wahnwitzige Episoden bereichern den abenteuerlichen Ritt der Brüder entlang dem Oregon Trail. Erstklassige sprachliche Unterhaltung bieten ihre gern aufgestelzten Dialoge (»Löst deine Liebe bei ihr reziproke Gefühle aus?«) mit altväterlich vorgebrachten Lebensweisheiten (»Der Lauscher an der Wand ... hört seine eig’ne Schand«) und witzigen Ausdrücken (»Verein zum Schutz der debilen Klepper«) – ein Kompliment an den Übersetzer Marcus Ingendaay! Die Erzählung, gespickt mit Komik, Ironie und Absurditäten, schafft eine raue Oberfläche, ebenso gebrochen wie die beiden Protagonisten: Zwei Antihelden, psychopathisch-altmodischer Killer der eine, sentimentaler Grübler der andere, sehen ihr blutiges Geschäft und sich selbst in Frage gestellt, als sie auf einen Geistesmenschen treffen. Materiell verlieren sie, ideell gewinnen sie.

Ein geniales Werk, durchaus anspruchsvoll, dabei flott und locker geschrieben – ein echter literarischer gold nugget!

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher aufgenommen.


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