Eine Überfliegerin
Charles Lindbergh kennt jeder. Im Mai 1927 gelang ihm ein Doppelcoup: der erste Nonstop-Flug von New York nach Paris, und das auch noch im Alleingang. Im September 1936 schaffte Beryl Markham Vergleichbares in der Gegenrichtung: den ersten Nonstop-Flug von England nach Nordamerika und den ersten Alleinflug einer Frau über den Atlantik von Ost nach West. Zu jener Zeit waren allerdings schon so viele Piloten auf der nördlichen und südlichen Atlantik-Route unterwegs, dass Beryl Markhams Wagemut keine Sensation von Dauer war. Sie geriet in Vergessenheit.
Auf Grund ganz anderer Qualitäten wurde sie 1982 wiederentdeckt. In einem Brief von Ernest Hemingway an seinen Lektor aus den Vierzigern stieß man auf eine Passage, in der er Beryl Markhams 1942 veröffentlichte Memoiren in bemerkenswerten Tönen lobt: »Sie schreibt so gut, so erstaunlich gut, dass es mich als Schriftsteller beschämt hat ... Sie steckt uns alle locker in die Tasche ... Das ist wirklich ein verdammt gutes Buch.« Auf diesen Zufallsfund hin wurde »West with the Night« 1983 wieder aufgelegt (die deutsche Ausgabe »Westwärts mit der Nacht« ist allenfalls noch antiquarisch aufzutreiben), verkaufte sich viel besser als die Erstausgabe, verschaffte der verarmten Beryl Markham, 81, willkommene Einnahmen – und inspirierte Paula McLain zu ihrem Roman »Circling the Sun« (Yasemin Dinçer hat ihn übersetzt).
Die Fliegerei spielt darin allerdings so gut wie keine Rolle. Vielmehr erzählt diese starke, abenteuerlustige, unkonventionelle Frau aus der Ich-Perspektive die Geschichte ihrer außergewöhnlichen frühen Jahre in Afrika, von ihrer Kindheit, ihrer Jugend und ihren ersten komplizierten Liebschaften. Der Roman endet, als Beryl mit 26 Jahren ihre Begeisterung für die Fliegerei entdeckt und beschließt, als erste Frau überhaupt die B-Lizenz zu erwerben, um die einzige Berufspilotin in Afrika zu werden.
Beryl Clutterbuck kommt 1902 in Leicestershire zur Welt (im selben Jahr wie Charles Lindbergh). Bereits 1904 ziehen ihre Eltern Charles und Clara mit ihr und dem älteren Bruder Dickie in das Protektorat Britisch-Ostafrika. Nachdem die Imperial British East Africa Company das Gebiet des heutigen Kenia seit 1888 erkundet hatte, übernahm die britische Krone 1895 dessen Verwaltung und Erschließung. 1896 begann man mit dem Bau einer Eisenbahn vom Hafen Mombasa über 900 Kilometer zum Victoriasee. Etwa auf halber Strecke entwickelt sich aus einer Hüttensiedlung die spätere Hauptstadt Nairobi. Um die Wirtschaft voranzutreiben, lockte man Siedler mit niedrigen Bodenpreisen in den öden, trockenen Busch.
Charles Clutterbuck ist so ein Pionier. Er investiert sein ganzes Hab und Gut in 600 Hektar in Njoro, noch einmal fast 200 Kilometer nordöstlich von Nairobi. Seine Vorstellung, ohne landwirtschaftliche Vorkenntnisse eine Farm aufbauen zu können, erfordert unsägliche Plackerei unter primitivsten Umständen. Zwei Jahre später wirft seine Frau das Handtuch und kehrt mit dem kränklichen Dickie nach England zurück.
Für Beryl ist der Verlust der Mutter die erste prägende Erfahrung. Dass schmerzliche Abschiede auch miwanzo (Suaheli für ›Anfänge‹) bedeuten und man etwas Neues beginnen kann, durchzieht Beryls gesamtes Leben. Sie wird noch oft bei Null anfangen müssen.
Unverdrossen verfolgt Vater Charles sein Konzept weiter. Die ersten Einnahmen aus Mais und Weizen steckt er in zwei alte Dampfmaschinen, baut daraus eine Getreidemühle, die Tag und Nacht rattert und viel Geld einbringt. Damit kann er Arbeiter anheuern und schließlich seinen wahren Traum verwirklichen, nämlich Pferde zu züchten. Bald stehen in seinen Stallungen die besten Vollblüter Afrikas. Beryl, nicht weniger pferdenärrisch, arbeitet als Stallbursche mit den Tieren, fiebert den Geburten der jungen Fohlen entgegen.
In diesen harten Jahren überlässt Charles seine Tochter weitgehend sich selber. Als Kind der Wildnis und der Freiheit verwildert sie selbst. Etwas wie eine Ersatzfamilie findet sie im Lehmhüttendorf des benachbarten Kipsigis-Stammes. Dort lernt Lakwet (»sehr kleines Mädchen«) mit dem gleichalten Kibii, wie man mit Speer, Pfeil und Bogen umgeht, Natur- und Tiergeräusche auswertet, Warzenschweine jagt, Messerattacken abwehrt und ein furchtloser, starker Krieger wird. Von ihren Kämpfen mit Jungs und wilden Tieren zeugen Narben am ganzen Körper.
Als Beryl zwölf ist, holt ihr Vater eine Haushälterin auf die Farm. Mrs Orchardson räumt gründlich auf. Weg mit dem Dreck, den Spinnweben und dem Chaos im Haus. Auch das unzivilisierte Kind will die fremde Frau zähmen, seine baren Füße in Schuhe zwängen, die wüsten Haare mit einer Schleife bändigen, ein Kleidchen tragen, damit es als weibliche Person wahrgenommen wird, bei Tisch Besteck statt ihrer ungewaschenen Finger benutzen, und gesprochen wird fortan ausschließlich herrschaftliches Oxford-Englisch. Am schlimmsten ist freilich, dass sie den Vater dahin bringt, sie für eine »ordentliche Bildung« nach Nairobi zur Schule zu schicken. Was er ihr als »wunderbares Geschenk«, »etwas, das du besitzen und für dich selbst behalten kannst«, schmackhaft macht, lässt das Mädchen rebellieren. Nach zweieinhalb Jahren wird Beryl der Schule verwiesen.
Vieles hat sich verändert, als Beryl auf die Farm zurückkehrt. Vater und Mrs Orchardson sind ein Paar. Der erste Weltkrieg ist ausgebrochen. Die Pferde werden für den Militärdienst eingezogen. Der Farm droht die Pleite. Charles möchte seine Tochter gut versorgt wissen. Eine gute Partie in Nairobis Gesellschaft muss eingefädelt werden. Das Erwachsenwerden holt Beryl schneller ein, als sie verstehen kann und reif dafür ist.
Die Siebzehnjährige wird mit dem wesentlich älteren Farmer Jock Purves verheiratet. Er ist reich, aber unfähig und dem Alkohol mehr zugetan als seiner jungen, attraktiven Frau. Die versteht noch gar nichts von Liebe und Ehe. Erst später wird sie einen Mann wirklich lieben, doch der gehört einer anderen. Denys Finch Hatton, adliger Aussteiger, Intellektueller und Großwildjäger, der Safaritouren für reiche Weiße organisiert, ist der Geliebte der Dänin Karen Blixen, die später unter den Pseudonymen Tania Blixen und Isak Dinesen als Schriftstellerin Weltruhm erlangt. Sie war 1914 ihrem Ehemann Bror nach Afrika gefolgt und baut auf ihrer Farm Mbagathi in den Ngong Hills Kaffee an. Beryl lernt Karen als vertrauensvolle Freundin und großzügige Gastgeberin schätzen.
»Lady Africa« ist das unterhaltsame Porträt einer äußerst ungewöhnlichen Frau. Ihre Vita bietet unendlich viel Stoff über ihre frühen Jahre hinaus, denn sie ist geprägt von unablässigen privaten Wechselfällen vor dem politischen und sozialen Hintergrund des Kolonialismus und dem ausgelassenen Treiben einer bunten Clique reicher Safari-Touristen in der Kronkolonie Kenia. Von früher Jugend an setzt sich Beryl Markham immer wieder gegen alle Widrigkeiten durch, verschafft sich Anerkennung als Trainerin von Rennpferden, als Dame der feinsten Gesellschaft, später als Buschpilotin, die aus der Luft Großwild und Herden für die Jagdpartys aufspürt, dann bis ins hohe Alter als Pferdezüchterin bei Nairobi (wo sie 1986 starb). Sie war drei Mal verheiratet und hatte, so heißt es, Affären mit Safari-VIPs wie dem Herzog von Gloucester (einem Sohn von König George V.), Denys Finch Hatton und Ernest Hemingway. Als Schriftstellerin trat sie nur ein einziges Mal in Erscheinung.
Natürlich evoziert dieses Buch Erinnerungen an Tania Blixens Bestseller »Out of Africa« von 1937 (»Jenseits von Afrika« ) und seine Verfilmung (1985). Afrika und seiner wilden Naturschönheit ist Beryl Markham ebenso leidenschaftlich verfallen wie Karen Blixen. Paula McLains Roman ist allerdings weniger sentimental. Dafür beschreibt die Autorin recht unverblümt die Dekadenz der britischen Upper Class, die sich regelmäßig in Nairobis Muthaiga-Club trifft, um rauschende Partys zu feiern. Wer zum innersten Zirkel gehört, wird zu edlen Jagdgesellschaften geladen. Selbst mitten in der Wildnis lässt es die weiße Herren-Klasse an nichts fehlen: Beim Picknick servieren farbige Butler Whisky on the rocks mit Eis aus der generatorbetriebenen Eismaschine, dazu röhrt ein Grammophon Jazz in die Nacht. Mit so einem gesellschaftlichen Höhepunkt endet der Roman im Jahr 1928. Der britische Thronfolger Edward, Prince of Wales, und sein Bruder Henry reisen zu einer Safari an, die Denys Finch Hatton organisiert. Beryl Markham ist auch dabei.