Die Kehrseite des amerikanischen Traums
Pittsburgh, Pennsylvania, war bis 1987 der wichtigste Stahlproduktionsort der ganzen Welt. Mit dem Ende der Ära verloren hundertfünfzigtausend Menschen ihre Arbeitsplätze. Vor diesem Hintergrund trägt sich die Handlung des Romans zu.
Der zwanzigjährige Isaac English pflegt seinen Vater, der nach einem Arbeitunfall im Stahlwerk an den Rollstuhl gefesselt ist. Seine Mutter hat sich umgebracht, und seine Schwester Lee lebt in Connecticut, wo sie mit Simon, dem Sohn wohlhabender Eltern, verheiratet ist. Soll sie sich doch um den herrischen Vater kümmern, denkt Isaac, bedient sich am Ersparten und macht sich davon. Kalifornien ist sein Ziel. Unterwegs hält er noch bei seinem Freund Billy Poe inne. Der hockt vor seinem Trailer, neben ihm stapeln sich Bierdosen, das Umfeld ist ebenso ungepflegt wie der Mann. Billy wird Isaac ein Stück des Wegs begleiten.
Ein heftiger Regenschauer zwingt sie, in einer ausgedienten Maschinenhalle Unterschlupf zu suchen. Dort erhalten sie nach kurzer Zeit Gesellschaft von drei Männern: "Dies ist unser Platz!" Es kommt zu einem Handgemenge, bei dem einer der Männer Billy packt, ihm ein Messer an den Hals drückt und ihm "an die Eier geht". Isaac will seinen Freund befreien, ergreift eine Kugel, wirft sie dem Typen an den Kopf und verletzt ihn dabei tödlich ...
Die beiden Jungen flüchten, lassen aber Billy Poes Footballjacke mit Namen und Spielernummer neben der Leiche liegen. Billy ist klar: Nach ihm, nicht nach Isaac English wird gesucht werden ...
Chief Bud Harris holt Billy Poe ab. Er hatte sich schon einmal für Billy eingesetzt, als dieser wegen Körperverletzung angeklagt war. Damals hatte er in Notwehr gehandelt und wurde auf Bewährung freigesprochen. Aber jetzt ist die Situation aussichtslos: Ein neuer Staatsanwalt will sich mit diesem Fall profilieren; das Gefängnis liegt außerhalb von Harris' Einflussbereich, und dann hat sich auch noch ein Zeuge gemeldet.
Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Während Billy Poe ins Gefängnis geht und dort im gesetzlosen Raum den Hierarchien und Intrigen ausgesetzt ist, hat Isaac sich wieder davon gemacht.
Der Autor zeichnet uns ein düsteres Bild von einem Landstrich, der durch seine abgestorbene Industrie geprägt ist. Die Blütezeit ist lange vorbei. Heute verschandeln gigantische Ruinenfelder der teilweise abgerissenen Stahlwerke und Hochöfen die Gegend.
Die Menschen, die noch geblieben sind, haben keine Perspektive. Die depressive Stimmung, die tragische, hoffnungslose Situation der beteiligten Protagonisten überträgt sich auf den Leser. Jedes Kapitel ist einer Person gewidmet, und darin schreitet die Handlung um bzw. mit der Person langsam, teils zäh, voran – auch Rost braucht seine Zeit. In Selbstgesprächen reflektiert der Betreffende seine Lage und und philosophiert über sein Leben. Alle Hauptpersonen verbindet mehr als Freundschaft. Billy Poe hatte eine Beziehung zu Isaacs Schwester Lee. Chief Bud Harris zieht es immer wieder zu Grace, Billy Poes liebender Mutter. Beeindruckend ist die Charakterstärke des von der Öffentlichkeit vorverurteilten Billy Poe (dessen Vater auch schon kriminell war). Er beweist Isaac gegenüber wahre Freundschaft, die "dicker als Blut" ist.
Philipp Meyer hat mit seinem Roman "Rost" ein gesellschaftskritisches Statement abgegeben. Zeiten industrieller Blüte folgt der wirtschaftliche Niedergang. Was übrig bleibt, sind geschundene, an ihrem Schicksal verzweifelnde Menschen. Arbeitslosigkeit, sozialer Abstieg und zerrüttete Familien sind kein guter Nährboden. Am Beispiel der beiden Freunde führt uns der Autor die Problematik des gesellschaftlichen Verfalls und seiner Folgen für das Individuum vor Augen: Isaac, ein kluger Schüler, hat zwar die Chance zu studieren, ergreift sie aber nicht. Billy Poe, der überragende Footballstar, schlägt das Angebot eines Stipendiums aus.
Ein aufwühlender Roman, der angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise kaum aktueller sein könnte.