Blacktop Wasteland
von S. A. Cosby
Ein Farbiger aus der Unterschicht einer amerikanischen Kleinstadt lässt sich noch einmal darauf ein, bei einem Überfall den Fluchtwagen zu fahren. Er setzt damit alles aufs Spiel, was er mühsam aufgebaut hat.
Beau will ein Guter sein
Beauregard Montage – eine Klangfolge wie aus einem französischen Chanson, doch nichts könnte irreführender sein. Es ist der Name eines Mannes, in dessen Alltag er komplett fehl am Platz klingt: zu umständlich, zu poetisch, zu fremdartig, zu fragil. So nennen ihn alle einfach »Beau« oder »Bug«.
Der so heißt, lebt im deprimierendsten Milieu einer Kleinstadt in Virginia, aber man findet es überall im Süden der USA. Dort stecken Farbige wie Beau und ländlich-konservativ gestimmte Weiße aus der Arbeiterklasse (»Rednecks«) in der gleichen materiellen Notlage fest, ohne Kranken- und Sozialversicherung, arbeitslos oder mit Gelegenheitsjobs, in trostlosen trailer parks voller verrotteter mobile homes, ohne jede Perspektive auf Besserung. Manche subsumieren solche Menschen unter Bezeichnungen wie waste people oder white trash, also menschliche Ramschware oder Abfall.
Eine differenziertere Sicht auf die Bandbreite möglicher Charaktere und Schicksale im gemeinten Sozialmilieu liefert der Roman von S. (Shawn) A. Cosby. Der wuchs selber darin auf und kann ein authentisches Bild der schwierigen Bedingungen entwickeln, aus denen er sich dank eines beachtlichen literarischen Talents befreien konnte.
Beau hatte diese Chance nicht. Er war von Anfang an geprägt von seinem Vater Anthony, der krummen Geschäften nachging, keine Hemmungen vor Gewalt kannte und später seine Frau und seine Kinder verließ. So musste auch Beau schon mit neunzehn Jahren eine Haftstrafe verbüßen, nachdem er sich als Fluchtwagenfahrer bei bewaffneten Raubüberfällen (»heists«) bewährt hatte. Noch als Jugendlicher hatte er mit einer Weißen eine Beziehung, aus der das Mädchen Ariel hervorging. Das Kind wuchs bei der Mutter auf und schaffte es trotz deren Tablettenkonsums, ihre Schullaufbahn erfolgreich zu absolvieren.
Beaus Leben gewinnt an Stabilität, als er sich ernsthaft in eine andere Frau namens Kia verliebt. Die beiden heiraten, führen eine glückliche Ehe, bekommen zwei Kinder, beziehen ein gepflegtes »Double-wide-Mobilheim«. Vom väterlichen Vorbild will Beau sich endgültig abwenden, jetzt tatsächlich ein Guter sein. Mit seinem Cousin Kelvin betreibt er eine solide Autowerkstatt. Aber es ist für Beau unmöglich, »Heiliger und Sünder zugleich zu sein«, zumal Quer- und Tiefschläge nicht ausbleiben.
Gleich nach der Hochzeit mit Kia wollte er Ariel in seine neue Familie aufnehmen. Doch die Richter entschieden dagegen: kein Sorgerecht für einen Vorbestraften.
Neben seinem geordneten Alltag braucht Beau noch immer den Kick der Geschwindigkeit, den er sich bei Wettfahrten auf einsamen Pisten holt. Natürlich sind illegale Autorennen, wie er sie liebt, verboten, aber neben dem Adrenalin lockt die Gewinnprämie, mit der er seine Mietrückstände abbauen kann. Allerdings lösen bei der Rennszene, mit der der Roman beginnt, die angerückten Polizisten die Versammlung auf, und die soeben erkämpfte Prämie ist futsch.
Beaus finanzielle Gesamtsituation verschlechtert sich dramatisch, als sich eine Konkurrenzwerkstatt im Ort niederlässt, mit günstigen Preisen Kundschaft abzieht und an sich zu binden sucht. Dazu kommt, dass Beaus Mutter Ella Probleme mit der Krankenversicherung hat und womöglich ihr Pflegeheim verlassen muss. Und Tochter Ariel braucht seine Unterstützung für die Studiengebühren, damit sie ihr Wirtschaftsstudium am College abschließen kann.
Kia verfällt keinen Illusionen darüber, dass sich das Leben der Familie unter fragilen Konditionen entwickelt, aber sie und ihre Kinder möchten Beau nicht verlieren. Sie appelliert an die Stärke ihres gemeinsamen Zusammenhalts, an seinen Familiensinn.
Unerwartet bietet sich ein Gewinn versprechender Coup an, der Beau locken könnte, sich ein letztes Mal auf kriminelle Geschäfte einzulassen. Zwei Brüder – Rednecks mit nicht allzu viel Gehirn im Schädel – haben erfahren, dass in einem Juwelierladen eine Lieferung Diamanten gelagert werden soll, und die wollen sie sich holen. Beau soll den Fluchtwagen fahren und hätte, wenn alles gut läuft, für immer ausgesorgt.
Wie zu erwarten, geht der Überfall keineswegs glatt über die Bühne, und insbesondere hatten die Brüder keine Ahnung von den weitreichenden Hintergründen der Transaktion. Ihre vermeintlich gut durchgeplante Aktion ist ein Stich ins Wespennest, die Jagd ist eröffnet, eine Kettenreaktion setzt ein, die uns bis zum Schluss den Atem raubt. Bis dahin wird reichlich Blut fließen und mancher sein Leben lassen. Für Beau steht besonders viel auf dem Spiel: sein mühsam errungener Status, vor allem aber seine geliebte Familie. Um beides und sein eigenes Leben zu retten, muss er einen radikalen Weg gehen, auf dem ihn das »Geröchel von Sterbenden« begleiten wird.
»Blacktop Wasteland« , von Jürgen Bürger übersetzt, ist ein hoch spannender amerikanischer Krimi, der vor allem durch die fein differenzierte Charakterisierung seines Protagonisten aus dem Rahmen üblicher Heist-Romane und -Filme fällt. Anders als die oftmals eher schablonenhaft umrissenen, eindimensionalen Täterfiguren aus der schwarzen Unterschicht der Südstaaten weist Beauregard Montage in sich widerstrebende Tendenzen auf. Die Affinität zu Kriminalität und Gewalt ist in ihm tief verwurzelt, gleichzeitig will er sich davon lösen. Anfangs vom Rollenmodell eines starken Mannes geprägt, der stets seine Dominanz verteidigen muss, wenn er nicht als Loser enden will, erkennt er später, welche Verantwortung er für andere Menschen trägt, und stellt sich den daraus erwachsenen Verpflichtungen. Mit diesen Brüchen und Widersprüchen in seinem Wesen kann Beau trotz seiner Makel, Fehler und Taten für uns zu einer sympathischen Identifikationsfigur werden.