Rezension zu »Die toten Frauen von Juárez« von Sam Hawken

Die toten Frauen von Juárez

von


Kriminalroman · Tropen · · Gebunden · 317 S. · ISBN 9783608502121
Sprache: de · Herkunft: gb

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Die Bestie Mensch

Rezension vom 04.06.2012 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Ciudad Juárez liegt in Mexiko, unmittelbar an der Grenze zu den USA. Der Weg hinüber nach Texas wird nicht nur durch den Rio Grande, sondern auch durch eine gigantische Zaunanlage versperrt. Aber das gesegnete Land of the Free lockt trotz aller abschreckenden Hindernisse viele hierher – es sind die ärmsten, mutigsten, kräftigsten, verzweifeltsten, skrupellosesten Menschen, die den unerwünschten heimlichen Grenzübertritt zu riskieren bereit sind und hier auf ihre Chance warten. Stadt der Angst, Stadt des Wahnsinns, Stadt der Toten sind Beinamen von Ciudad Juárez. Die Verbrechensrate ist die höchste des Landes. Täglich werden Menschen tot aufgefunden, vor allem in den Elendsvierteln der Colonias Populares. In den Bruchbuden, meist nur aus Abfallholz, Pappe und Müll zusammengehauen, leben viele, die als billigste Arbeitskräfte für die hierher outgesourcten amerikanischen Firmen gerade ihr Überleben finanzieren können.

Tag für Tag rollen Karawanen stinkender LKWs auf staubigen Straßen über die Grenze, hinterlassen Dreck und mit Abgasen verseuchte Luft. Von El Paso, gegenüber auf amerikanischer Seite, strömen wohlhabendere Menschen herüber, teils um hier billig einzukaufen, oft jedoch, um mal so richtig "die Sau rauszulassen". In den Bars und Bordellen in dreckigen Hinterhöfen gibt es nichts, was es nicht gibt; an Drogen zu gelangen ist kein Problem.

Ortíz lebt in diesem Milieu und verdient sein Geld mit Drogen und der Organisation übelster Kampfveranstaltungen – zwischen Hähnen und zwischen Männern. Da wird weder nach Regeln noch mit Handschuhen zugeschlagen. Je mehr Blut fließt, desto mehr Zuschauer strömen in die Halle, und die Wogen der Begeisterung schlagen am höchsten, wenn ein Farbiger einem weißen Gringo (also einem US-Amerikaner) so richtig die "Fresse poliert".

Kelly ist so ein Gringo. Weil er ein Verbrechen begangen hat, ist er nach Juárez geflüchtet. In die USA wird er nie mehr zurückkehren können, und auch seine Lizenz als Boxer hat er endgültig verloren. Aber in Ortíz' Boxstall findet er leicht einen neuen Job. Wohl wissend, dass er auf Ortíz angewiesen ist, muss Kelly ihm auch schon mal Gefälligkeitsdienste als Drogenkurier erweisen.

Ansonsten lebt Kelly ziemlich auf sich allein gestellt in einem einfachen Apartment. Freundschaft schließt er mit dem Mexikaner Estéban, dessen Schwester Paloma seine große Liebe wird. Doch sie zu heiraten, wagt er kaum zu hoffen. Paloma engagiert sich bei den Mujeres Sin Voces: Diese "Frauen ohne Stimmen" demonstrieren jeden Sonntag, schwarz gekleidet und mit Plakaten und Bildern, für ihre von heute auf morgen verschwundenen Schwestern, Töchter und Enkelinnen – las mujeres muertas de Juárez, die dem Roman den Titel geben.

Bald fällt auch Paloma der Gewalt zum Opfer. Bald fällt auch Paloma der Gewalt zum Opfer. Man findet sie brutal vergewaltigt und bei lebendigem Leib verbrannt. Die Polizei verhaftet sofort Bruder Estéban und Kelly.

An Kellys Unschuld glaubt allein Drogenfahnder Sevilla, der immer schon an dessen Fersen hing. Unter Einsatz seines Lebens wird Sevilla den Fall aufklären ...

Der Roman "Die toten Frauen von Juárez" entspringt leider nicht "einer morbiden Phantasie", wie Autor Sam Hawken im Nachwort betont, sondern verarbeitet eine traurige Realität. Seit 1993 wurden in Ciudad Juárez mehr als vierhundert Frauen getötet, vermisst oder vergewaltigt.

Des Autors Schilderungen der unsäglich tristen Lebensverhältnisse in einer von Drogenkartellen beherrschten Stadt sind schlichtweg erschütternd. Auch spart er keine Brutalität aus. Der inhaftierte Kelly wird bis ins Koma gefoltert; ein dummdreister Kommissar will sein Geständnis auf jede nur erdenkliche Weise auspressen.

Für manchen Leser mag solch schonungslose Kost schier unerträglich, ja abstoßend sein. Auch mir gehen zum Beispiel die Schmerzensschreie der Häftlinge, denen man mit dem Baseballschläger die Knochen zertrümmert, durch Mark und Bein. Während ich aber explizite Gewaltexzesse, wie man sie etwa in manchen amerikanischen oder Skandinavien-Krimis findet, für unnötig erachte, scheinen mir Sam Hawkens Beschreibungen legitim und erforderlich, damit sein Anliegen befördert wird.

Dieses Buch überzeugt auf vielfältige Weise. Hawken versetzt uns in eine andere Welt, gegensätzlich zu der unseren und voller Gegensätze in sich selbst. Und er ist in der Lage, das so zu tun, dass wir uns jeden Ort, jedes Viertel, jede Wohnung, das Verkehrschaos bestens vorstellen, die Hitze, Gerüche, Ausdünstungen, den Angstschweiß der In-die-Enge-Getriebenen wahrnehmen können; der Staub klebt auf unserer Haut. Dies verdanken wir auch Joachim Körber, der den Roman großartig übersetzt hat. Viele spanische Phrasen hat er im Original belassen, was der Authentizität dient, aber beim Leser ein Minimum an Spanischkenntnissen voraussetzt.

In quasi dokumentarischer Form hat Hawken den Menschen wieder einmal ungeschönt als Bestie dargestellt; just for fun ergötzt er sich am Leiden anderer, aus Eigennutz tut er für Geld alles. Der Autor will uns wachrütteln, gegen die feminicidios ankämpfen, doch seine Zustandsbeschreibung lässt wenig Raum für Hoffnung: Wird der Sumpf der Kriminalität, von korrupten Polizisten geschützt, je trockengelegt werden können? Wird das Sterben in Ciudad Juárez nicht auch in Zukunft weitergehen?

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner ganz privaten aktuellen Lesetipps aufgenommen.


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