Rezension zu »Entsorgt« von Sara Paretsky

Entsorgt

von


Privatdetektivin V.I. Warshawski entdeckt ein schwerverletztes, hilfloses Mädchen und gerät unversehens in einen vielschichtigen Fall, der sie mit organisierter Kriminalität, Korruption und sozialen Missständen konfrontiert. Authentisch und realistisch zeigt Sara Paretskys Roman das Krisenmilieu einer Metropole.
Kriminalroman · Argument · · 472 S. · ISBN 9783867542760
Sprache: de · Herkunft: us

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Im Einsatz auf den Schattenseiten der Millionenstadt

Rezension vom 24.02.2025 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Sara Paretsky, 1947 geboren, ist eine US-amerikanische Schriftstellerin, die nach einem Studium der Politik­wissen­schaft ihrer Leiden­schaft fürs Schreiben folgte. Gemein­sam mit anderen Krimi­nal- und Thriller­auto­rinnen gründete sie 1986 die Organi­sation »Sisters in Crime«. Bekannt wurde Paretsky mit ihren inzwi­schen 22 Kriminalromanen um die Privat­detektivin V. I. Warshawski. Als neuester Titel in deutscher Über­setzung ist jetzt der 21. Teil der Reihe (»Overboard«) erschie­nen: Else Laudan hat ihn über­setzt und unter dem Titel »Entsorgt« in ihrem Argu­ment-Verlag heraus­gegeben.

Die Protagonistin und Ich-Erzählerin V. I. Warshawski (das »V« steht für »Victoria« oder »Vic«) beherrscht neben dem Schießen auch Karate. Den Umgang mit Schuss­waffen hat ihr ihr verstor­bener Vater Tony, ein Polizist, beige­bracht. Sie betreibt eine kleine Detektei in Chicago. Obwohl sie, wenn es sein muss, zur furcht­losen Kampf­maschine werden kann, hat ihre Schöp­ferin sie als freund­liche, sympa­thische Person gezeich­net. Zwei kleine Hunde begleiten die allein­stehende Frau, wenn sie am Ufer des Lake Michigan joggt. Ihr Nachbar, Mr. Sal Contreras, steht ihr gern mit Rat und Tat zur Seite – in der Not auch mit kräftigen Box­hieben, trotz seines Alters (92).

Vics wichtigste Bezugsperson ist ihr Lebens­abschnitts­gefährte Peter. Leider ist er zurzeit vier­tausend Meilen weit weg in Spanien, wo er als Archäo­loge an Aus­grabun­gen teilnimmt. Wenn Vic spät in der Nacht völlig erschöpft von ihren Einsätzen heimkommt, telefo­niert sie mit ihm. Was Peter da erfährt, macht ihm durchaus Sorgen: »Ich weiß doch, wie du aus Fenstern springst … als Obdach­lose verklei­det im Park nächtigst … dich in den Pigeon River stürzt, während das Eis bricht.« Peter kennt auch Vics großes Herz für die sozial Abge­hängten. Gesell­schaft­liche Probleme nimmt sie so ernst, dass oft wenig Zeit bleibt für die Jobs, mit denen sie ihr Geld verdient.

So behält sie in ihrem Viertel unent­gelt­lich ein verwahr­lostes Ruinen­grund­stück im Blick, wo sich neben vielen Ratten auch Vandalen aufhalten und allerlei Drogen gekocht werden. Die Gemeinde der kleinen Synagoge daneben ist ver­ängs­tigt, als ihr Gebäude mit Graffiti be­schmiert wird und ein Projektil eine Fenster­scheibe durch­schlägt, die Polizei jedoch mangels »Res­sourcen« gar nicht erst ermittelt.

Der zentrale Plot des Romans setzt ein, als Vic beim Joggen eine hilflose Fünf­zehn­jährige entdeckt. Mehr tot als lebendig, verdreckt und mit Ver­brennun­gen an den Beinen liegt das Mädchen einge­klemmt zwischen Felsen. Da sie nichts bei sich hat, wodurch man ihre Identität fest­stellen könnte, nimmt sich Vic ihrer an, lässt sie ins Kranken­haus bringen und besucht sie später dort. Das einzige Wort, das die Unbe­kannte gespro­chen hat, hört sich ungarisch an, so dass man einen Dol­met­scher um Hilfe bittet.

Bei Vics nächstem Besuch im Kranken­haus wird deutlich, dass es um einen Fall von erheblich größeren Dimen­sionen als erwartet gehen muss: Das Mädchen ist spurlos ver­schwun­den, und dem Dol­met­scher hat man die Kehle durch­schnitten. Offenbar war das Mädchen in die Klauen irgend­welcher Krimi­neller geraten, die jetzt vor nichts zurück­schreck­ten, um ihrer wieder habhaft zu werden.

Damit ist Vic allein durch ihre Hilfs­bereit­schaft und Selbst­losig­keit in eine brisante, un­durch­sich­tige An­gele­gen­heit hinein­ge­schlit­tert. Ihre nach­fol­gen­den Recher­chen nehmen drama­tische Züge an, und sie verfängt sich immer tiefer im Mahlwerk der Behörden. Die Polizei sucht nach etwas, was die Unbe­kannte mög­licher­weise bei sich trug, und nimmt auch Vics Büro und Wohnung ins Visier. Schließ­lich unter­zieht man sie sogar einer demüti­genden Leibes­visita­tion und heftet einen Beob­achter an ihre Fersen.

Die mediale Berichterstattung über Vics beherzte Aktion zur Rettung des Mäd­chens bringt auch einen alten Bekannten auf ihre Spur. Brad Litvak junior wohnte einst auf der selben Straße wie Vic in South Chicago, und seine viel­köpfige Familie war berüch­tigt für ihre all­abend­lich aus­ufern­den Pöbel-, Brüll-, Sauf- und Prügel­gelage. Vics Vater, damals der zustän­dige Cop im Revier, unter­sagte seiner jugend­lichen Tochter jeden Umgang mit der Problem-Familie, und wenn er sie dabei als »Victoria« apos­tro­phier­te, war klar, dass er es bitter­ernst meinte. Nun taucht Brad im Büro der Privat­detek­tivin auf und hat etwas »sehr Privates« auf dem Herzen: Er macht sich Sorgen um seine Eltern, die ständig streiten, speziell um seine Mom, die auf­fällig viel unter­wegs ist.

Damit sind die wichtigsten Fäden ausge­legt, und von Seite zu Seite werden die Inhalte ausge­weitet. Nicht nur die Litvaks haben viel zu bieten, auch die Mafia mischt überall mit, so dass Vics Recher­chen rasch in dieses und jenes Wespen­nest stoßen. Viele, viele Seiten später findet sie auch das ver­schwun­dene Mädchen wieder, und mit ihr kommt eine demente Groß­mutter, ein Wohn­haus in attrak­tiver See­ufer­lage und Poten­zial für Erb­streitig­keiten ins Spiel.

Das alles breitet Sara Paretsky in ihrem frischen, un­präten­tiös saloppen Sprach­stil aus, der gern mit ironi­schen Unter­tönen hinter­legt und in ent­spre­chenden Situa­tionen mit defti­gem Voka­bular ange­rei­chert ist. Gesell­schafts­kritische Themen behan­delt die Autorin mit viel En­gage­ment und gestal­teri­schem Aufwand, so etwa die Schere zwischen Arm und Reich, die all­gegen­wärtige Ob­dach­losig­keit, die vielen einsamen, verarmten Alten und die ent­würdi­gende Behand­lung der Aller­schwächs­ten, der Demenz­kranken. Zu den ange­pranger­ten Miss­ständen gehören auch die Struk­turen organi­sierter Krimi­nalität, durch Korrup­tion gefes­tigt, und die Speku­lation mit Wohn­immo­bilien.

So komplex wie der Plot und das Personal des Romans angelegt sind, empfiehlt es sich, in einem Schwung durch die rasende Handlung zu stürmen, um den Überblick nicht zu verlieren. Immerhin driften die zu verfol­gen­den Spuren nicht aus­ein­ander, sondern auf­ein­ander zu.

Etwas aufdringlich zieht sich durch die Seiten, wie die an­sonsten doch so eigen­verant­wort­lich und kritisch agie­rende Vic ständig darum besorgt ist, alle Corona-Maß­nahmen streng nach Vor­schrift einzu­halten – Maske, Des­infek­tion, Ab­stände … In der Dank­sagung am Ende des Werkes erfahren wir, dass es nicht nur während der Covid-Pan­demie spielt, sondern auch ent­stand, und zu allem Über­fluss holt ein aus­führ­licher Exkurs über »Corona in den USA« dieses unselige Thema noch einmal aus der dunklen Ver­gangen­heit hervor in einen Roman, der doch nicht mehr tun kann und sollte, als uns gut und spannend zu unter­halten.


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