Darktown
von Thomas Mullen
1948 dürfen erstmals acht farbige Männer als Polizisten Streifendienst in Atlanta versehen. Niemand schätzt ihre Arbeit: Den Farbigen bringt sie nur Verdruss, die Weißen verachten sie maßlos. Thomas Mullen erzählt von dunkelsten rassistischen und moralischen Abgründen, von Korruption, Prostitution, krassen Verbrechen und ihrer Vertuschung.
Zwischen den Stühlen
Sie waren Pioniere der Gleichberechtigung der Rassen. Sie genossen ein Privileg, das ihren schwarzen Mitbürgern bisher verwehrt war. Sie waren Vorboten einer neuen, besseren Zeit. Aber sie mussten ihre Rolle erst noch finden, sich Akzeptanz und Anerkennung erarbeiten. Vorerst wurden sie noch benachteiligt, verachtet, gehasst, selbst von ihresgleichen, und sie waren Spielfiguren in einem politischen Handel.
Im Frühjahr 1948 richtete William Berry Hartsfield, Bürgermeister von Atlanta, Georgia, zum ersten Mal in der Geschichte der Südstaaten-Stadt eine Polizeitruppe aus acht farbigen Männern ein. Hartsfield, der sich während seiner 24-jährigen Amtzeit vor allem um die Wirtschaft seiner Stadt (Hauptsitz der Coca-Cola-Company) und um ihren Flughafen (der heute seinen Namen und den eines Amtsnachfolgers trägt) verdient machte, stand damals unter Druck. Die farbige Bevölkerung hatte ihre Proteste und Forderungen seit einigen Jahren gut organisiert öffentlich gemacht, und Hartsfield sicherte sich, indem er ihr die Tür zum Polizeiberuf öffnete, Zuspruch und Stimmen für seine Wiederwahl.
Von den schwierigen Anfängen der ersten kleinen Gruppe farbiger Polizisten erzählt Thomas Mullens Kriminalroman »Darktown« , den Berni Mayer übersetzt hat. Handlung und Protagonisten sind fiktiv.
1948 gelten in Atlanta selbstverständlich noch die Segregationsgesetze. Die Farbigen leben in abgegrenzten Stadtvierteln, und dort sollen die neuen Cops für Ordnung sorgen, insbesondere Alkoholmissbrauch nachgehen, Familienstreitereien schlichten und dergleichen. Nur zu solch einfachen Befugnissen sind sie berechtigt. Uniform tragen sie nur während ihres Streifendienstes, manche sogar eine Waffe. Ein Streifenwagen steht ihnen nicht zur Verfügung. Bei ernsthaften Delikten und Festnahmen müssen sie weiße Kollegen hinzuziehen. Auch ihr Vorgesetzter ist ein Weißer. Der hat sich nicht um dieses Amt gerissen, steht aber fest zu seiner Truppe. Ihre provisorische Wache hat man im Untergeschoss des YMCA-Gebäudes eingerichtet, das die Männer möglichst unauffällig in Alltagskleidung durch einen Nebeneingang betreten dürfen.
Mit diesen Beschränkungen sitzen die acht Männer zwischen allen Stühlen. Bei ihren eigenen Leuten sind sie nicht sonderlich beliebt, bringen sie doch nichts als Scherereien bei Angelegenheiten, die man bisher unter sich geregelt hat. Die weißen Kollegen – darunter mancher Ku-Klux-Klan-Sympathisant – beargwöhnen die Negro-Cops, die sie für unfähig und überflüssig halten, voller Misstrauen und lassen ihren rassistischen Demütigungen und Drohungen freien Lauf. Wenn sie den Vorschriften gemäß gerufen werden, um z.B. wegen eines Tötungsdelikts im schwarzen Milieu (das sie »Darktown« nennen) zu ermitteln, betrachten sie das nur als lästige Mühe. Gerne setzen sie dann auf die Devise, dass ein Farbiger weniger doch eine gute Sache sei, und warten ab, bis sich die Probleme von selbst erledigen.
Der Kriminalfall nimmt seinen Lauf, während Lucius Boggs und Tommy Smith eines Nachts durch »Sweet Auburn«, ein wohlhabendes Schwarzen-Wohnviertel, auf Streife gehen. Da rammt ein Weißer – ungewöhnlicher Besuch in dieser Gegend – im feinen Buick einen der neuen Laternenpfähle und fährt einfach weiter. Die Negro-Cops wagen es, den Mann wenige Straßen weiter zur Rede zu stellen, doch der denkt nicht daran, ihren Aufforderungen Folge zu leisten. Neben ihm bemerken sie eine junge Farbige mit Verletzungen im Gesicht, dann zieht der alkoholisierte Fahrer unbeeindruckt davon.
Später findet man die Leiche der jungen Frau auf einer Müllhalde. Die nun zuständige weiße Ermittlertruppe interessiert herzlich wenig, was Boggs und Smith ausführlich zu Protokoll geben. Sie erstellen einen knappen Bericht, mit dem der Fall zu den Akten gelegt wird. Damit aber wollen sich die beiden Streifenpolizisten nicht zufrieden geben und recherchieren auf eigene Faust weiter. Allerdings müssen sie sich dabei unauffällig im Untergrund bewegen, denn schließlich verfügen sie weder über das Recht noch die Autorität noch die Kompetenz oder irgendwelche Erfahrung in solch einer Arbeit. Und sollte auffliegen, was sie treiben, sind sie ihren Job los, und das ohnehin umstrittene Experiment, Schwarze als Polizisten zuzulassen, ist gescheitert.
Dabei kommen sie einem üblen Strippenzieher im Polizeidienst gefährlich nahe. Officer Lionel Dunlow ist weiß, behäbig, korrupt und ein gefürchteter Schläger, und wenn er mit seinem jüngeren Partner, dem unerfahrenen, zurückhaltenden Denny Rakeshaw, durch die schwarzen Viertel kurvt, spielt er sein eigenes Spiel. So sehr er die »Nigger« hasst (und umgekehrt) und misshandelt, so finden sich doch auch Schwarze, die mit ihm kooperieren: Informanten, Denunzianten, falsche Zeugen, Glücksspieler und Alkoholschmuggler, die die Polizisten an ihren illegalen Geschäften beteiligen. In diesem Geflecht aus Weiß und Schwarz, Macht und Angst, Arm und Reich, Abhängigkeiten und Gefälligkeiten kann jeder irgendwie auf andere zählen, auch wenn mal einer auffliegt oder ein Negermädchen »verunglückt«. Solchen Leuten ist es nicht unmöglich, den unliebsamen schwarzen Cops einen Mord anzuhängen.
»Darktown« ist ein wendungsreicher und höchst spannender Roman. Damit die wahre Geschichte um Lily Ellsworth, das misshandelte Opfer aus dem Mordfall, nicht öffentlich wird, lassen sich die Verantwortlichen jede Menge Täuschungsmanöver einfallen, und etliche Bürger von Atlanta müssen ihr Leben lassen. Dabei sieht es zunächst so aus, als seien Gut und Böse gemäß der Hautfarbe verteilt: hier die korrupten, gesetzlosen, rassistischen, menschenverachtenden Weißen, dort die tapfer für Gerechtigkeit und ihre Rechte kämpfenden Unterdrückten im Ghetto. Doch je häufiger die Perspektive wechselt, je mehr Durchblick wir gewinnen, als desto moralisch durchwachsener erweisen sich beide Bevölkerungsgruppen.
Allerdings sind die vorgeblich »Besseren«, die weißen Polizisten, zynischerweise geschickter und hintertriebener darin, eben die Gesetze, deren »wahre« Hüter sie zu sein vorgeben, zum eigenen Vorteil zu brechen. Sie sind die schlimmeren Kriminellen in diesem Plot, die ihre Schuld unter anderem dadurch zu vertuschen wissen, dass sie sie anderen – vornehmlich Farbigen – aufbürden. Manchmal lässt sich in ihren Augen ein lästiges Problem leichter aus der Welt schaffen, indem sie Unschuldige erschießen und anschließend behaupten, sie hätten sich ihrer Verhaftung durch Flucht widersetzt.
»Darktown« ist eine differenzierte Gesellschaftsstudie aus dem schwierigen politischen Umbruch der damaligen Zeit. Einerseits gestehen die herrschenden weißen Konservativen des amerikanischen Südens unter dem Druck der Washingtoner Regierung und der wachsenden Unzufriedenheit der Farbigen, die im zweiten Weltkrieg einen hohen Blutzoll gezahlt haben, das Wahlrecht zu, gleichzeitig nutzen sie jedes nur mögliche Machtinstrument bis hin zur Waffengewalt, um ihre Mitbürger an der Ausübung ihrer Rechte zu hindern. Apartheid und Angst herrschen noch überall, denn für Farbige ist ja nahezu jede Kleinigkeit im Alltag vorgeschrieben, von Wohnvierteln, Schulen, Kinos, Bars, öffentlichen Toiletten bis hin zum Sitzplatz im Bus. Da kann man sich schnell Prügel einfangen.
Dass die eigenen Polizisten irgendeine Ungerechtigkeit beseitigen könnten, glauben die Farbigen nicht – im Gegenteil: Solange die weißen Cops das Sagen haben und ihre farbigen Kollegen für nichts als stinkenden Abschaum halten, wird es nur noch mehr Ärger geben. Sie machen ihnen die Arbeit, die ohnehin von niemandem anerkannt wird, so schwer, dass sie den Job am Ende hinschmeißen wollen.
Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Winter 2018 aufgenommen.