Rezension zu »Darktown« von Thomas Mullen

Darktown

von


1948 dürfen erstmals acht farbige Männer als Polizisten Streifendienst in Atlanta versehen. Niemand schätzt ihre Arbeit: Den Farbigen bringt sie nur Verdruss, die Weißen verachten sie maßlos. Thomas Mullen erzählt von dunkelsten rassistischen und moralischen Abgründen, von Korruption, Prostitution, krassen Verbrechen und ihrer Vertuschung.
Historischer Kriminalroman · Dumont · · 480 S. · ISBN 9783832183530
Sprache: de · Herkunft: us

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Zwischen den Stühlen

Rezension vom 28.12.2018 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Sie waren Pioniere der Gleichberechtigung der Rassen. Sie genossen ein Privileg, das ihren schwarzen Mitbürgern bisher verwehrt war. Sie waren Vorboten einer neuen, besseren Zeit. Aber sie mussten ihre Rolle erst noch finden, sich Akzeptanz und Anerkennung erarbeiten. Vorerst wurden sie noch benach­teiligt, verachtet, gehasst, selbst von ihres­gleichen, und sie waren Spiel­figuren in einem politischen Handel.

Im Frühjahr 1948 richtete William Berry Hartsfield, Bürgermeister von Atlanta, Georgia, zum ersten Mal in der Geschichte der Südstaaten-Stadt eine Polizei­truppe aus acht farbigen Männern ein. Hartsfield, der sich während seiner 24-jährigen Amtzeit vor allem um die Wirtschaft seiner Stadt (Hauptsitz der Coca-Cola-Company) und um ihren Flughafen (der heute seinen Namen und den eines Amts­nach­folgers trägt) verdient machte, stand damals unter Druck. Die farbige Bevölkerung hatte ihre Proteste und Forderungen seit einigen Jahren gut organisiert öffentlich gemacht, und Hartsfield sicherte sich, indem er ihr die Tür zum Polizei­beruf öffnete, Zuspruch und Stimmen für seine Wiederwahl.

Von den schwierigen Anfängen der ersten kleinen Gruppe farbiger Polizisten erzählt Thomas Mullens Kriminal­roman »Darktown« Thomas Mullen: »Darktown« bei Amazon, den Berni Mayer übersetzt hat. Handlung und Protago­nisten sind fiktiv.

1948 gelten in Atlanta selbstverständlich noch die Segre­gations­gesetze. Die Farbigen leben in abge­grenz­ten Stadt­vierteln, und dort sollen die neuen Cops für Ordnung sorgen, ins­beson­dere Alkohol­miss­brauch nachgehen, Familien­streite­reien schlichten und dergleichen. Nur zu solch einfachen Befugnissen sind sie berechtigt. Uniform tragen sie nur während ihres Streifen­dienstes, manche sogar eine Waffe. Ein Streifen­wagen steht ihnen nicht zur Verfügung. Bei ernsthaften Delikten und Festnahmen müssen sie weiße Kollegen hinzuziehen. Auch ihr Vorge­setzter ist ein Weißer. Der hat sich nicht um dieses Amt gerissen, steht aber fest zu seiner Truppe. Ihre proviso­rische Wache hat man im Unterge­schoss des YMCA-Gebäudes einge­rich­tet, das die Männer möglichst unauffällig in All­tagsklei­dung durch einen Nebenein­gang betreten dürfen.

Mit diesen Beschränkungen sitzen die acht Männer zwischen allen Stühlen. Bei ihren eigenen Leuten sind sie nicht sonderlich beliebt, bringen sie doch nichts als Scherereien bei Ange­legen­heiten, die man bisher unter sich geregelt hat. Die weißen Kollegen – darunter mancher Ku-Klux-Klan-Sympathi­sant – beargwöhnen die Negro-Cops, die sie für unfähig und überflüssig halten, voller Misstrauen und lassen ihren rassisti­schen Demü­tigun­gen und Drohungen freien Lauf. Wenn sie den Vor­schrif­ten gemäß gerufen werden, um z.B. wegen eines Tötungs­delikts im schwarzen Milieu (das sie »Darktown« nennen) zu ermitteln, betrachten sie das nur als lästige Mühe. Gerne setzen sie dann auf die Devise, dass ein Farbiger weniger doch eine gute Sache sei, und warten ab, bis sich die Probleme von selbst erledigen.

Der Kriminalfall nimmt seinen Lauf, während Lucius Boggs und Tommy Smith eines Nachts durch »Sweet Auburn«, ein wohl­haben­des Schwarzen-Wohnviertel, auf Streife gehen. Da rammt ein Weißer – unge­wöhn­licher Besuch in dieser Gegend – im feinen Buick einen der neuen Laternen­pfähle und fährt einfach weiter. Die Negro-Cops wagen es, den Mann wenige Straßen weiter zur Rede zu stellen, doch der denkt nicht daran, ihren Auf­forde­rungen Folge zu leisten. Neben ihm bemerken sie eine junge Farbige mit Ver­letzun­gen im Gesicht, dann zieht der alko­holi­sierte Fahrer unbeein­druckt davon.

Später findet man die Leiche der jungen Frau auf einer Müllhalde. Die nun zuständige weiße Ermittler­truppe interes­siert herzlich wenig, was Boggs und Smith ausführlich zu Protokoll geben. Sie erstellen einen knappen Bericht, mit dem der Fall zu den Akten gelegt wird. Damit aber wollen sich die beiden Streifen­polizis­ten nicht zufrieden geben und recher­chieren auf eigene Faust weiter. Allerdings müssen sie sich dabei unauffällig im Untergrund bewegen, denn schließlich verfügen sie weder über das Recht noch die Autorität noch die Kompetenz oder irgend­welche Erfahrung in solch einer Arbeit. Und sollte auffliegen, was sie treiben, sind sie ihren Job los, und das ohnehin umstrittene Experiment, Schwarze als Polizisten zuzulassen, ist gescheitert.

Dabei kommen sie einem üblen Strippenzieher im Polizeidienst gefährlich nahe. Officer Lionel Dunlow ist weiß, behäbig, korrupt und ein gefürch­teter Schläger, und wenn er mit seinem jüngeren Partner, dem uner­fahre­nen, zurück­halten­den Denny Rakeshaw, durch die schwarzen Viertel kurvt, spielt er sein eigenes Spiel. So sehr er die »Nigger« hasst (und umgekehrt) und misshandelt, so finden sich doch auch Schwarze, die mit ihm kooperieren: Informanten, De­nunzian­ten, falsche Zeugen, Glücks­spieler und Alkohol­schmugg­ler, die die Polizisten an ihren illegalen Geschäften beteiligen. In diesem Geflecht aus Weiß und Schwarz, Macht und Angst, Arm und Reich, Abhängig­keiten und Gefällig­keiten kann jeder irgendwie auf andere zählen, auch wenn mal einer auffliegt oder ein Neger­mäd­chen »verunglückt«. Solchen Leuten ist es nicht unmöglich, den unliebsamen schwarzen Cops einen Mord anzuhängen.

»Darktown« ist ein wendungsreicher und höchst spannender Roman. Damit die wahre Geschichte um Lily Ellsworth, das miss­han­delte Opfer aus dem Mordfall, nicht öffentlich wird, lassen sich die Verant­wort­lichen jede Menge Täu­schungs­manö­ver einfallen, und etliche Bürger von Atlanta müssen ihr Leben lassen. Dabei sieht es zunächst so aus, als seien Gut und Böse gemäß der Hautfarbe verteilt: hier die korrupten, gesetzlosen, rassis­tischen, menschen­verachten­den Weißen, dort die tapfer für Ge­rechtig­keit und ihre Rechte kämpfenden Unter­drück­ten im Ghetto. Doch je häufiger die Perspektive wechselt, je mehr Durchblick wir gewinnen, als desto moralisch durchwach­sener erweisen sich beide Bevöl­kerungs­gruppen.

Allerdings sind die vorgeblich »Besseren«, die weißen Polizisten, zyni­scher­weise geschickter und hinter­trie­bener darin, eben die Gesetze, deren »wahre« Hüter sie zu sein vorgeben, zum eigenen Vorteil zu brechen. Sie sind die schlimmeren Kriminellen in diesem Plot, die ihre Schuld unter anderem dadurch zu vertuschen wissen, dass sie sie anderen – vornehmlich Farbigen – aufbürden. Manchmal lässt sich in ihren Augen ein lästiges Problem leichter aus der Welt schaffen, indem sie Unschuldige erschießen und anschlie­ßend behaupten, sie hätten sich ihrer Verhaftung durch Flucht widersetzt.

»Darktown« ist eine differenzierte Gesell­schafts­studie aus dem schwierigen politischen Umbruch der damaligen Zeit. Einerseits gestehen die herr­schen­den weißen Kon­servati­ven des ame­rikani­schen Südens unter dem Druck der Washing­toner Regierung und der wachsenden Unzu­frieden­heit der Farbigen, die im zweiten Weltkrieg einen hohen Blutzoll gezahlt haben, das Wahlrecht zu, gleich­zeitig nutzen sie jedes nur mögliche Macht­instru­ment bis hin zur Waffen­gewalt, um ihre Mitbürger an der Ausübung ihrer Rechte zu hindern. Apartheid und Angst herrschen noch überall, denn für Farbige ist ja nahezu jede Kleinigkeit im Alltag vorge­schrie­ben, von Wohn­vierteln, Schulen, Kinos, Bars, öffent­lichen Toiletten bis hin zum Sitzplatz im Bus. Da kann man sich schnell Prügel einfangen.

Dass die eigenen Polizisten irgendeine Ungerechtigkeit beseitigen könnten, glauben die Farbigen nicht – im Gegenteil: Solange die weißen Cops das Sagen haben und ihre farbigen Kollegen für nichts als stinkenden Abschaum halten, wird es nur noch mehr Ärger geben. Sie machen ihnen die Arbeit, die ohnehin von niemandem anerkannt wird, so schwer, dass sie den Job am Ende hin­schmeißen wollen.

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Winter 2018 aufgenommen.


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