Disamistade | Zur Rache verdammt
von Gianfranco Cabiddu
Im Umbruch
Das sardische Wort »disamistade« bedeutet Feindschaft (»inimicizia«), Fehde (»faida«). Sein Wortstamm bezeichnet das Gegenteil von Freundschaft, also »disamicizia«. Das sind die Themen dieses Films, der 1958 in Nuoro angesiedelt ist. Er konfrontiert die Tradition der vendetta mit modernen Auffassungen von Gerechtigkeit. In der Figur des Hirtensohnes Sebastiano Catte, der durch Bildung seiner Heimatkultur entfremdet wird, prallen die beiden Welten aufeinander.
Sebastianos Mutter sorgt dafür, dass der Junge fleißig lernt, damit er Medizin oder Juristerei studieren, etwas Besseres werden und aus dem rückständigen Dorf entkommen kann. Aber als sein Vater ermordet wird, soll er dessen Platz einnehmen; er verlässt die Schule in der Stadt wieder und kehrt in sein Dorf zurück. Dort weiß jeder, wer der Mörder ist, und erwartet, dass der Sohn jetzt seine Pflicht tut und vendetta übt.
Doch der inneren Stimme, die ihm von Anfang an einflüsterte, dass er den Mann umbringen müsse, um die Ehre der Familie wiederherzustellen, folgt Sebastiano nicht – er hat bereits zu viele Bücher gelesen, als dass er den dumpfen, irrationalen Regeln seines Dorfes noch blind gehorchen würde. Er weicht dem Konflikt aus, indem er als einsamer Hirte in den Bergen lebt. Erst nach acht Jahren findet er zurück zu seiner inzwischen verarmten und verachteten Mutter, um die Aufgaben seines Vaters zu übernehmen. Bald lernt er die Studentin Domenicangela kennen, eine Gleichgesinnte, und die beiden verlieben sich ineinander.
Noch immer läuft der Mörder frei herum, ohne dass Sebastiano tätig wird. Das Unverständnis über ihn nimmt noch zu, als er, nachdem einige Tiere aus der Herde seiner Familie gestohlen werden, nicht auf die Diebe schießt, sondern die allseits verhasste staatliche Gerichtsbarkeit (die Carabinieri) einschaltet.
Über einen Cousin findet Sebastiano Anschluss bei einer Bande von Viehdieben und Banditen, deren wohlhabender Anführer, Barone Piana, seine Qualitäten zu schätzen weiß. Damit wendet sich sein Schicksal. Er wird in immer dreistere Verbrechen verwickelt. Als er aussteigen will, löst das eine Kette blutiger Anschläge aus, die Gewalt eskaliert, die disamistade zwischen den Lagern im Dorf verhärtet ausweglos. Die Carabinieri greifen durch und fassen Sebastiano schließlich in Domenicangelas Haus.
Sebastiano lässt sich nicht nur widerstandslos festnehmen, sondern erklärt auch vor Gericht, dass er in allen Anklagepunkten unschuldig und im Übrigen nur seinem Gewissen verantwortlich sei; er verteidigt sich nicht weiter. Es bleibt offen, wer ihn verpfiffen oder ob er sich gar selbst ausgeliefert hat, um seiner Mutter die hohe Belohnung zukommen zu lassen. Domenicangela verlässt die hoffnungslose Gegend.
Gianfranco Cabiddus erster Spielfilm stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse der Anthropologen Antonio Pigliaru und Giulio Angioni, die über die sich wandelnde Bedeutung der vendetta geforscht hatten. Neben der spannenden, glaubhaften Handlung faszinieren die Berglandschaft mit fantastischen Höhlen und großartige Folkloreszenen (Pferderennen, eine Hochzeit, Trauerriten), die sehr authentisch gehalten sind.
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