Über die Herausbildung einer eigenständigen Filmkunst auf Sardinien und ihre Entwicklung über hundert Jahre informiert Sie meine Seite Sardische Filmkunst aus hundert Jahren. Hier finden Sie nun eine sehr persönliche Auswahl bedeutender Filme aus einem Jahrhundert sardischer Filmkultur mit mehr oder weniger ausführlichen Besprechungen. Ich habe alle rezensierten Filme auf unsere eigene YouTube-Playlist hochgeladen, und Sie finden unter jedem Artikel den entsprechenden Link. Bitte kontaktieren Sie uns, wenn es dabei ein Problem gibt.
Interessant ist, wie in diesen Filmen Themen aufkeimen und ernsthaft verarbeitet werden, ehe sie in den Händen anderer Regisseure weitergeführt, vertieft, modernisiert oder persifliert werden, und wie Modernität und Archaik oft sehr nahe beieinander liegen.
Die besten sardischen Filme aus hundert Jahren in chronologischer Abfolge
Febo Mari
(1916)
Cenere
Mütterliche Großmut Rezension vom 09.10.2015
Anania ist der uneheliche Sohn von Rosalìa Derios. Wegen seiner illegitimen Herkunft wird er gehänselt, beleidigt und diskriminiert. Da beschließt seine Mutter, ihn zu seinem Vater zu bringen, der sie, nachdem er sie verführt hatte, sich selbst überließ. Sie hofft, der Junge werde dort bessere Lebensbedingungen finden und eine ehrbare Existenz aufbauen kö... weiter lesen
Gennaro Righelli
(1922)
Cainà – L’isola e il continente
Weg von hier Rezension vom 21.04.2016
Der jungen Schäferin Cainà ist ihr Dorf zu eng. Sehnsüchtig schaut sie auf die Weite des Meeres hinaus. Jenseits – auf dem »continente« – muss doch ein freies, unabhängiges, glückliches Leben warten. Als ein Segelschiff anlegt und die Mannschaft im Dorf ausgelassen feiert, ist sie voller Bewunderung für die weltoffen und a... weiter lesen
Aldo De Benedetti
(1929)
La grazia
Wahre Liebe Rezension vom 26.04.2016
Der junge Elias Desole reitet aus seiner Heimat am Meer hinauf in die unwegsamen Berge, wo er Ländereien geerbt hat. Dort begegnet er der ernsten Hirtin Simona und macht ihr schöne Augen, doch sie bleibt unnahbar. Aus der Tändelei wird aufrichtige Liebe; Simona gibt sich ihm am Weihnachtsabend hin, und Elias verspricht ihr die Ehe. Auf seinem Weg zurück erfa... weiter lesen
Giorgio Pàstina
(1946)
Le vie del peccato
Gefangene ihrer Gefühle Rezension vom 07.05.2016
Eine dramatische und tragische Liebesgeschichte vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts; der Schauplatz ist Nuoro. Ilaria ist die Ehefrau eines jungen Arbeiters. Als einer der Männer aus den besseren Kreisen der Stadt ihr nachstellt, wird ihr Mann von Eifersucht und Hass ergriffen und tötet ihn. Dafür muss er für z... weiter lesen
Montero Roberto
(1949)
Faddija – La legge della vendetta
Die Überwindung des Hasses Rezension vom 19.05.2016
Der Konflikt zwischen Landbesitzern und Hirten in der sumpfigen Ebene am Golf von Oristano nimmt seinen Lauf, als der junge Schafhirte Michele seine Herde auf dem Land des Grundbesitzers Pietro weiden lässt und die Tiere dort einige Weinstöcke beschädigen. Der hartherzige Eigentümer verlangt nach althergebrachtem Recht Schadener... weiter lesen
Augusto Genina
(1950)
L’edera – Delitto per amore
Opfer und Undank, Liebe und Mord Rezension vom 08.03.2016
Die Familie Decherchi, verarmte und hochverschuldete Landadlige aus Barunei (im Umland von Nuoro) adoptiert Ende des neunzehnten Jahrhunderts das Findelkind Annesa und zieht das Mädchen groß. Annesa weiß um die prekäre finanzielle Lage ihrer geliebten Pflegeeltern und opfert sich auf, um ihren Anteil zum Auskommen beizut... weiter lesen
Aldo Vergano
(1952)
Amore rosso
Erfolgloser Revoluzzer Rezension vom 31.07.2016
Wie seine literarische Vorlage erzählt der Film eine dramatische Liebesgeschichte vor spezifisch sardischem sozialen Hintergrund. Die beiden Liebenden stammen nicht einfach aus zwei verschiedenen Schichten, sondern eine weitere bedeutende Rolle spielt das Banditentum mit seinen eigentümlichen Rechts- und Ehrvorstellung... weiter lesen
Mario Monicelli
(1954)
Proibito
Keine Chance auf Versöhnung Rezension vom 29.02.2016
Die Familien Barras und Corraine liegen seit langem in tödlicher Fehde miteinander. Althergebrachte Ehrbegriffe und Rachevorstellungen lassen keinen Frieden zu; die allgemeine Verachtung für das staatliche Rechtssystem und das traditionelle Schweigegebot (Omertà) decken alle Taten zu. Als der junge Priester Paolo Solinas (Mel Fer... weiter lesen
Mario Landi
(1958)
Canne al vento
»Die Deledda hat alles von uns Sarden begriffen« Rezension vom 03.01.2013
Was Mintonia, die Protagonistin aus Salvatore Niffois großartigem Roman »Die barfüßige Witwe«, von ihrem Mentor Tziu Imbece hört, wird 1926 auch das Stockholmer Komitee gewusst haben, das der Autorin Grazia Deledda (1871-1936) den Nobelpreis für Literatur zusprach, »für ihre von Idealismus getragenen Werke, die mit Anschaulichkeit un... weiter lesen
Vittorio De Seta
(1961)
Banditi a Orgosolo (»Die Banditen von Orgosolo«)
Mitgefangen, mitgehangen Rezension vom 08.08.2016
Der Schafhirte Michele, ehrlich, aber überschuldet und glücklos, wird beschuldigt, an einem Schweinediebstahl beteiligt gewesen zu sein. In Wirklichkeit wollte er mit den fünf Banditen, als diese ihn aufsuchten, ausdrücklich nichts zu tun haben. Doch da man die Tiere bei ihm findet und er nichts über die banditi zu verraten bereit is... weiter lesen
Gianfranco Mingozzi
(1968)
Sequestro di persona (»Die Mafia-Story«)
Der Gewinner will alles Rezension vom 01.09.2016
Sardische banditi entführen den jungen Francesco. Es geht nicht um Ehre und Gerechtigkeit, sondern um schlichte Lösegelderpressung. Beteiligt ist auch eine Freundin des Opfers, Cristina. Obwohl Gavino, ein Bekannter der beiden, sie eindringlich warnt, die Polizei einzuschalten, meldet sie die Tat. Auf den Spuren der Entführer kommt... weiter lesen
Marcello Fondato
(1968)
I protagonisti (»Bandit zu besichtigen«)
Extremtourismus Rezension vom 05.09.2016
Marcello Fondato greift die blutige und todernste Problematik der Entführungen auf makabre Weise auf. Der sardische Bandit Taddeu ist ein besonders abgebrühter Typ mit einer aberwitzigen Geschäftsidee: Gegen entsprechende Gebühr inszeniert er für abenteuerlustige Touristen, die so etwas mögen, Entführungs-Events. Freilich zieht die Polizei da nicht mi... weiter lesen
Piero Livi
(1969)
Pelle di bandito
Eskalation Rezension vom 19.06.2016
Piero Livis pessimistischer Schwarz-Weiß-Film erzählt von der Eskalation der Gewalt in den Sechzigerjahren auf Sardinien: Während der banditismo zu reiner Kriminalität ausartet und immer brutaler wütet, rüstet der Staat Waffen und Truppen auf, um ihn auszumerzen. An der Einstellung der sardischen Bevölkerung ändert das nic... weiter lesen
Paolo und Vittorio Taviani
(1977)
Padre padrone
Emanzipation aus der Steinzeit Rezension vom 04.02.2010
Kongeniale Umsetzung des autobiografischen Romans über eine erschütternd harte Kindheit und Jugend in einem archaischen Sardinien der Hirten: Was anmutet wie Steinzeit, trug sich erst »kürzlich« zu – zwischen 1938 (Leddas Geburtsjahr) und ca. 1970. Schauplatz ist das Dorf Siligo im hügeligen Nordwesten Sardiniens (Provinz Sassari), vor allem aber die endlosen We... weiter lesen
Gavino Ledda
(1984)
Ybris
Zurück zu den Wurzeln Rezension vom 28.08.2016
Eine Art Fortsetzung von »Padre padrone«, doch ist dieser Film weniger autobiografisch-naturalistisch, als dass er den Spuren sardischer Mythen nachgeht und sie mit dem griechischen Altertum und der Psychologie verknüpft. Offenkundig wollte der für die authentisch-schlichte (deswegen nicht minder erschütternde) Geschichte seiner Hirtenkindheit gefeier... weiter lesen
Gianfranco Cabiddu
(1988)
Disamistade – Inimicizia (»Zur Rache verdammt«)
Im Umbruch Rezension vom 10.09.2016
Das sardische Wort »disamistade« bedeutet Feindschaft (»inimicizia«), Fehde (»faida«). Sein Wortstamm bezeichnet das Gegenteil von Freundschaft, also »disamicizia«. Das sind die Themen dieses Films, der 1958 in Nuoro angesiedelt ist. Er konfrontiert die Tradition der vendetta mit modernen Auffassungen von Gerechtigkeit. In der Fig... weiter lesen
Maria Teresa Camoglio
(1993)
... con amore Fabia (... in Liebe Fabia)
Die Unverstandenen Rezension vom 20.07.2019
Fabia wächst in einer traditionellen sardischen Kleinstadtfamilie auf und entwickelt in deren Enge ein rebellisches Wesen. Trotz aller Probleme und des Unverständnisses um sie herum setzt sie gegen Widerstände ihre Unabhängigkeit und ihren Freiheitswi.... weiter lesen
Gianfranco Cabiddu
(1997)
Il figlio di Bakunin
Eine schillernde Persönlichkeit Rezension vom 21.09.2016
Ein Film aus dem Sardinien der Arbeiter und Bürger – ohne Trachten, ohne launeddas, ohne vendetta. »Bakunin« – das ist der Spitzname, unter dem Antoni Saba allgemein geführt wird. Er betreibt eine angesehene Schusterwerkstatt in einem sardischen Bergarbeiterdorf der Dreißiger Jahre. Nach dem russischen Anarchisten und Revolutio... weiter lesen
Antonello Grimaldi
(2000)
Un delitto impossibile
Die dunkle Vergangenheit des Staatsanwalts Rezension vom 12.07.2016
Nachdem er mit seiner Geliebten Lauretta einen cafè getrunken hat, bricht der allseits geschätzte und beliebte Staatsanwalt Valerio Garau im Gerichtsgebäude in Sassari zusammen. Kein Zweifel: Er wurde vergiftet. commissario Pani will den Fall zusammen mit dem Staatsanwalt Piero D’Onofrio aus Palermo aufklären. Die beiden kennen eina... weiter lesen
Giovanni Colombu
(2001)
Arcipelaghi
Sühne eines Kindesmordes Rezension vom 25.09.2016
Der elfjährige Giosuè wird von seiner Mutter auf dem Bauernhof einer befreundeten Familie in der Nähe von Nuoro zurückgelassen. In der Nacht wird er dort unfreiwillig Zeuge, wie drei Männer aus dem Dorf fünf Pferde aus dem Stall stehlen. Der Eigentümer der Tiere bedrängt das Kind unter Androhung grausamster Strafen, immer bei der Wahrhei... weiter lesen
Enrico Pau
(2002)
Pesi leggeri
Rivalen Rezension vom 20.07.2016
Ein Film aus dem Boxer-Milieu im öden Vorstadtgürtel von Cagliari. Nino ist ein hoffnungsvolles Talent. Sein ehrgeiziger, aufbrausender Trainer Melis, früher selbst Europameister, sieht ihn schon als italienischen Champion. Eines Tages stellt sich der düstere, wortkarge Giuseppe vor und möchte in den Trainingskader aufgen... weiter lesen
Salvatore Mereu
(2003)
Ballo a tre passi
Eigentümlicher Mix Rezension vom 26.06.2016
Der erste Spielfilm des Regisseurs Salvatore Mereu aus Dorgali lässt in seiner Filmsprache zwar neorealistische Wurzeln erkennen und spielt etliche traditionelle Stereotypen aus (vom archaischen Lebensstil, dem Hirtenidyll über die absonderliche Sexualität bis zum gehüpften Rundtanz und dem vielstimmigen Männergesang), bindet sie aber in ein symbolbefrachtet... weiter lesen
Piero Sanna
(2003)
La destinazione
Vom Scheitern zwischen Gestern und Heute Rezension vom 03.06.2016
Der neunzehnjährige Emilio aus Rimini, noch sorglos und etwas naiv, absolviert seine einjährige Ausbildung bei den Carabinieri in Rom. Sie ist von militärischer Strenge und zielt auf Disziplin und Verantwortungsbewusstsein. Emilio freundet sich mit dem Sarden Costantino an, einem ernsten, schweigsamen jungen M... weiter lesen
Gianfranco Cabiddu
(2004)
Sonos ‘e memoria
Sardinien in alten Filmbildern, moderner Musik und aktuellen Geschichten Rezension vom 11.2.2023
Was hier rezensiert wird, ist ein Multimedia-Kunstwerk. Die Grundlage bilden nie veröffentlichte Dokumentaraufnahmen aus den Dreißiger- bis Fünfzigerjahren, die den Alltag einfacher Menschen auf Sardinien zeigen. Der sardische Filmregisseur und Musikethnologe Gianfranco Cabiddu war fasziniert davon, wie ungekünstelt und ohne Scheu die Menschen jener Jahre vor der Kamera agierten, von ihren offenen Gesichtern, die eine anrührende, unbewusste Reinheit erkennen ließen, und von der verschwundenen Welt, aus der sie zu uns herüberschauten. Er stellte daraus den Kurzfilm »Sonos ‘e memoria« zusammen, der schon für sich betrachtet ein sehenswertes Erei... weiter lesen
Salvatore Mereu
(2008)
Sonetàula
Der tönende Junge Rezension vom 30.09.2016
Zuanne Malune ist zwölf, als sein geliebter Vater 1938 das (fiktive) Heimatdorf Orgiadas verlassen muss. Er wurde für ein Verbrechen verurteilt, das er gar nicht begangen hat, und er wird in der Verbannung sterben. Seine Mutter zerbricht daran. Der Großvater erzieht den Jungen nach den uralten einfachen Gesetzen der Hirten, und immer behält er die Pflicht vor Augen, das Unre... weiter lesen
Salvatore Mereu
(2012)
Bellas mariposas (»Schöne Schmetterlinge«)
Die Stärke der Schmetterlinge Rezension vom 16.10.2016
Die zwölfjährige Caterina wächst in einem verwahrlosten, übervölkerten Wohnblock in Sant’Elia, einer Vorstadt von Cagliari auf. Trotz der deprimierenden Lebensbedingungen in ihrer chaotischen Patchwork-Familie bewahrt sie ihre Heiterkeit, Charakterstärke und ihre Träume (z.B. »cantante« werden). In jeder Lebenslage trällert sie den »Mambo italiano«, dessen Melodi... weiter lesen
Serafino Deriu
(2012)
Su ballu ‘e s’arza – Il ballo dell’argia
Magische Heilung Rezension vom 28.05.2016
Der interessante Versuch, ein uraltes Ritual des Volksglaubens anschaulich zu machen und zugleich in unsere Zeit zu transponieren. Ein Mann wird durch Tänze, Gesänge usw. von der unglücklichen Seele befreit, die sich seiner bemächtigt hatte. Mit Exorzismus, wie ihn törichte Hollywood-Horrorfilme ausmalen, hat das nichts zu tun. Vielmehr geht es um die Dokumen... weiter lesen
Paolo Zucca
(2013)
L’arbitro
Aberwitziges Fußball-Ballett Rezension vom 28.01.2018
Pabarile ist ein (fiktives) Kaff im Nordwesten Sardiniens. Nur Fußball peppt das Leben dort auf, auch das der schweigsamen Hirten und Käuze und der alten Frauen mit schwarzen Kopftüchern. Atletico, die Lokalmannschaft, hat den letzten Platz in der dritten sardischen Liga abonniert. Allwöchentlich erleiden sie eine neuerliche D... weiter lesen
Gianfranco Cabiddu
(2016)
La stoffa dei sogni
Shakespeare auf der Insel der Esel Rezension vom 24.08.2021
Die Insel Asinara ist eine Art Wurmfortsatz Sardiniens. Sie liegt nördlich des bedeutenden Fährhafens Porto Torres, und die Schiffe aus Genua, Marseille und Korsika gleiten in respektvollem Abstand vorbei. Seit 1997 ist sie Nationalpark, aber dünn besiedelt war sie schon immer – seit 1885 beherbergte sie lediglich ein Hochsicherheitsgefängnis. Seinetwe... weiter lesen
Enrico Pau
(2017)
L’accabadora
Düstere Rätsel Rezension vom 24.9.2022
Das Beste an Enrico Paus Werk ist seine Filmsprache. Er präsentiert wunderschöne Bilder, deren Aufbau, Ruhe, Licht- und Farbgestaltung geradezu an klassische Gemälde erinnern. Die Kamera ist weitgehend statisch, Stimmung und Atmosphäre verändern sich kaum, und es ist die Stille, die uns anspricht. Pau setzt mehr auf die geheimnisvollen, mysteriösen Aspekte seiner zentral... weiter lesen
Paolo Zucca
(2018)
L’uomo che comprò la Luna
Per aspera ad lunam Rezension vom 20.5.2022
Was zunächst daherkommt wie eine kurzweilige, verschmitzte Persiflage auf all das, was seit Jahrzehnten als „typisch sardisches Kulturgut" hochgehalten, überhöht, stilisiert, dramatisiert, auch kritisiert wurde, erweist sich schließlich als tiefgründige Liebeserkläru... weiter lesen
Verantwortung für das Erbe Rezension vom 28.2.2023
Costantino Saru hatte zugelassen, dass sein Sohn Mario mit seiner deutschen Frau sein altes Bauernhaus in einen Agriturismo umbaut. Die Gäste aus dem Norden sollten hier das traditionelle Leben der sardischen Hirten hautnah erleben können. So erfolgreich sich das Unternehmen entwickelt, so unwohl fühlt sich Costantino dab... weiter lesen