Rezension zu »... con amore, Fabia | ... in Liebe, Fabia« von Maria Teresa Camoglio

... con amore, Fabia | ... in Liebe, Fabia

von Maria Teresa Camoglio


Fabia wächst in einer traditionellen sardischen Kleinstadtfamilie auf und entwickelt in deren Enge ein rebellisches Wesen. Trotz aller Probleme und des Unverständnisses um sie herum setzt sie gegen Widerstände ihre Unabhängigkeit und ihren Freiheitswillen durch.
Film · · 98 Min.
Sprache: it · Herkunft: de · Region: Sardinien

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Die Unverstandenen

Rezension vom 20.07.2019 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Der Film thematisiert den Konflikt zwischen Tradition und Moderne, wie er sich v.a. in der Rolle der Frauen manifes­tiert. Das alte patriarcha­lische System ist schon brüchig geworden, doch seine Tragsäulen – die Traditionen, die Kirche, auf ihre Weise auch die Unter­haltungs­medien – stützen es noch, so dass selbst die Generation der in den Sieb­ziger­jahren Geborenen, zu der auch die Protago­nistin Fabia gehört, sich bruchlos in die Ordnung einfügt. Doch nicht nur Fabia, sondern auch ihr Bruder und ihre jüngere Schwester können sich nicht mehr einfach still­schwei­gend unterordnen.

Die Anfangsszenen stimmen auf Fabias spätere Haltung ein. Wir sehen das kleine Mädchen, wie sich der Vater von ihr ver­abschie­det, um zum Jagen zu gehen, wie es den Frauen in der Küche zusieht, wie es sich miss­trau­isch den Floskeln und Gesten des Pastors entzieht, wie es sich auf dem Dachboden ein Refugium einrichtet, wo es seinen eigenen Wahr­nehmun­gen nachgehen kann.

Ein Zeitsprung führt zur jungen Erwachsenen, die an der Hoch­zeits­feier ihrer älteren Schwester im Kreis ihrer gut situierten Bauern­familie teilnimmt. Sie beobachtet all die Gäste wie eine Außenste­hende, hört befremdet dem teils vergifteten Tratsch der Alters­genossin­nen zu und erkennt, dass deren Konven­tionen nicht ihre Welt sind noch jemals sein werden. Sie sieht auch, wie die Männer – darunter der älteste Bruder, der nach dem Tod des Vaters traditions­gemäß Familien­vor­stand ist –, in einer eigenen, freieren Welt zu agieren scheinen. Während sie die Aufgaben, die ihr die strengen älteren Frauen, meist ganz in Schwarz gekleidet, fast wortlos im Haushalt zuweisen (kochen, servieren, waschen, die Männer bedienen), immer offener zurückweist, findet sie Gefallen an hand­werkli­chen und kreativen Tätigkeiten im Freien, wie dem Umgang mit Maschinen, dem bildneri­schen Gestalten mit einfachen Mitteln, dem Sammeln interessant geformter oder gefärbter Steine.

Fabias etwa vier oder fünf Jahre jüngere Schwester Antonia, die mit ihr das Zimmer teilt, ist eine intelli­gente, fleißige Schülerin und wirkt erheblich selbst­siche­rer, unvor­eingenom­mener als Fabia mit ihrem oft sperrigen, herben, burschi­kosen Wesen (»Sempre quella faccia«, tadelt die Mutter ihre Mimik). Antonia steht wohl schon für eine neue, moderne Generation, der Fabia den Weg bereitet. Mit der Zeit widersetzt sich Fabia offen und höhnisch in der Familie – sie weigert sich, den großen Bruder zu bedienen, stachelt Antonia auf, provoziert in deren Kom­munions­gruppe, verweigert bei der Messe die Hostie –, doch kommt es bei aller Zuspitzung nicht zum Bruch. Stattdessen erobert sie sich Freiräume, auch im wörtlichen Sinne: Mit dem Moped erkundet sie immer weitere Kreise ihrer Umgebung (Täler, Hügel, die Küste).

Demgegenüber scheitert Fabias zweitältester Bruder zunächst daran, seinen eigenen Weg zu gestalten. Sein Studium hat ihn nicht weiterge­bracht, er ließ sich auf Drogen ein, wird dafür vom Ältesten brutal bestraft, verflucht und verstoßen. In Fabia hat er eine einfühlsame, starke und solidari­sche Partnerin, deren Züge sich bei ihm ebenso entspannen wie bei Antonia. Ihre Zuneigung manifes­tiert sich auch künstle­risch, als sie einen Gipsabdruck seines Gesichts fertigt. Erst bei der Arbeit im Weinberg des alten Barore scheint er einen gewissen Frieden mit sich selbst schließen zu können. Fabia besucht ihn dort, beide finden Gefallen an der Gemein­schaft mit den Landfrauen und der Arbeit in der Natur, und schließlich kehren beide in ihre Familie zurück.

Eine billig versöhnliche Lösung ist dies freilich keineswegs – die Konflikte schwelen unter der Oberfläche weiter. Nach wie vor sucht der Bruder seinen Weg, ohne eine Richtung konkreti­sieren zu können, verzweifelt daran, schon zuviel Zeit verloren zu haben und niemals die Unter­stüt­zung der Familie gewinnen zu können. Auch Fabia geht keiner geregelten Tätigkeit nach, expe­rimen­tiert nur ziellos wie spielerisch mit ver­schiede­nen Materialien und Techniken, wofür die Älteren keinerlei Verständnis aufbringen. Erst als sie zufällig von einem Wettbewerb für junge Künstler erfährt, ergreift sie tatkräftig die Gelegenheit und gewinnt wirklich den Platz an der Kunst­akade­mie in Rom – ihre Chance, am Ende den Ort und seine Enge zu verlassen: »Io me ne vado.«

Der Film ist der erste Spielfilm der Sardin Maria Teresa Camoglio (1961 in Sassari geboren), die nach Aus­bildungs­jahren in ihrer Heimat in den Acht­ziger­jahren nach Deutschland zog, wo sie sich besser ver­wirkli­chen zu können hoffte. In der Tat erhielt sie einen Studien­platz an der Deutschen Film- und Fern­sehaka­demie Berlin. Ihre Abschluss­arbeit dort wurde von Arte und ZDF (»Das kleine Fernsehspiel«) koprodu­ziert. Seither hat sie weitere Spiel- und Doku­mentar­filme – alle außerhalb Sardiniens – für Kino und Fernsehen gedreht, Drehbücher verfasst und inter­natio­nale Preise erhalten.

Frei nach dem Roman
»Cosima« (, postum)
Grazia Deledda: »Cosima« auf Bücher Rezensionen

von
(1871-1936)

Camoglios Vita erinnert nicht nur an die ihrer Protago­nistin Fabia, sondern auch entfernt an die Biografie von Grazia Deledda, der bedeu­tends­ten Schrift­stellerin Sardiniens und Nobel­preis­trägerin 1926, deren Werke zahlreichen sardischen Filmen zugrunde liegen. Erst nach ihrem Tod (1936) erschien »Cosima«, der am stärksten autobio­grafisch geprägte ihrer Romane (Grazia Maria Cosima Damiana Deledda lautete ihr voll­ständi­ger Name).

Die Filmsprache ist durch eine durchgehend ruhig-sinnliche, zurück­haltend beobach­tende Kamera­führung gekenn­zeich­net. An ent­scheiden­den Stellen fokussieren Groß­aufnah­men auf Mimik und Gesten, etwa auf Fabias bildne­risch-künstle­rische Versuche. Ein Symbol, das von der Eingangs­szene an bis zum Ende immer wieder ins Spiel kommt, ist die Jacke des Vaters; sie steht für seine Macht, für Schutz und Wärme, wie auch Fabia und ihr Bruder sie brauchen und suchen.

Einigen Szenen ist ein rätselhafter Soundtrack unterlegt, der aus polyphonen oder über­lager­ten Phrasen, sehn­suchts­vollen Gesängen oder Melodien besteht, die entfernt an sardische Folklore erinnern. Ansonsten verzichtet der Film, der bei Sassari (in Sennori und Marritza) mit ein­heimi­schen Darstellern gedreht wurde, komplett auf Zipfel­mützen, launeddas, Dialekt und ähnliche In­gredien­zien sardischer Film­tradition der früheren Jahr­zehnte.

Der Film kann bei der Deutschen Kinemathek ausgeliehen werden.


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