Rezension zu »L’uomo che comprò la Luna« von Paolo Zucca

L’uomo che comprò la Luna

von Paolo Zucca


Was zunächst daherkommt wie eine kurzweilige, verschmitzte Persiflage auf all das, was seit Jahrzehnten als „typisch sardisches Kulturgut" hochgehalten, überhöht, stilisiert, dramatisiert, auch kritisiert wurde, erweist sich schließlich als tiefgründige Liebeserklärung an Sardinien.
Film · · 103 Min.
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Sardinien

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Per aspera ad lunam

Rezension vom 20.05.2022 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Dass Paolo Zucca einen eigenwilligen, kräftigen Humor hat, hat er schon mit seinem ersten Film hinrei­chend bewiesen (»L’arbitro«, 2013, › Rezension). Im Jahr 2018 hat er mit »L’uomo che comprò la Luna« noch eins draufge­setzt und sein Thema vom Fußball in den Weltraum erweitert, ohne Sardinien zu verlassen. Es ist ein Film, dessen Handlung von einer großen Aufgabe erzählt und einen neuen Blick auf alte Welten wirft.

Die Aufregung unter den internationalen Regierungs­chefs ist groß, als bekannt wird, dass der Mond – unzwei­felhaft Gemein­schafts­gut der Mensch­heit – zu Privat­eigen­tum geworden sei. Zwei italieni­sche Geheim­dienstler haben Wind davon bekommen, dass ein Bürger Sardi­niens unseren Trabanten erworben habe. Vor allem die Ameri­kaner können solch einen dreisten Anspruch auf ihre »Ent­deckung«, noch dazu aus provin­zieller Ecke, natürlich keines­falls durch­gehen lassen. Die beiden Agenten sollen also einen Experten anheuern, um die Ange­legen­heit aufzu­klären, und es gelingt ihnen, Gavino Zoccheddu anzu­werben, einen jungen Mann mit sardi­schen Wurzeln, die er sich jedoch brutal amputiert hat. Er ist nach Mailand gezogen, hat sich den dortigen Akzent, die Alltags­kleidung und einen blonden Haar­schopf überge­stülpt, und indem er sich Kevin Pirelli nennt, verrät außerhalb seiner Seele nichts mehr seine insulare Herkunft.

Um ihn für seinen großen Auftrag fit zu machen, muss seine wahre Natur der sardità wieder freige­legt werden, und das soll ein Lehrer bewerk­stelligen, wie man auf der Leinwand noch keinen gesehen hat. Badore ist ein Typ wie ein uralter Ziegen­bock, Sarde (was sonst?), ein vier­schröti­gerSturkopf, ein stämmiger Grobian mit herme­tischer Mimik, dessen unortho­doxe Lehr­metho­den inklusive scharfem Ton und Schlag­kraft uns erheitern, verblüf­fen und aufklären, bei Kevin/Gavino aber verschüt­tete Wahr­heiten freilegen. Auf die harte Tour lernt der, (wieder) zu sprechen, zu handeln und zu denken wie ein unver­fälsch­ter Sarde. Für korrekten Auftritt sorgen hohe Leder­stiefel, Bundhosen, Schläger­mütze coppola, für maskuline Akzeptanz mini­malis­tische Aus­drucks­weise, Wild­schwein­schießen, Billiard, Tisch­fußball und das atem­berau­bend schnelle Morra-Spiel (ähnlich »Schere, Stein, Papier«), bis er (nachge­wiesen durch eine tücki­sche Prüfung) fit ist für seine Mission.

Indem sich Kevin/Gavino nun mit den unter­schiedlich­sten Fort­bewe­gungs­arten (darunter »la corsa del latitante«) über seine Heimat­insel bewegt und die merkwür­digsten Abenteuer bestehen muss, wird der pikareske Held mit einigem von dem konfron­tiert, was seit einem Jahr­hundert litera­risch beschrie­ben und nach dem Krieg anthro­polo­gisch und sozio­logisch erforscht wurde, ehe es vielfach zu Stereo­typen und Klischees erstarrte und auch persi­fliert wurde, von der Eng­stirnig­keit der Hirten und ihrer Ehr­pusselig­keit, von ihrer monate­langen Einsam­keit und den gemun­kelten Funk­tionen der Schafe dabei, von der eigen­tümli­chen Tracht, dem durch­dringend-kehli­gen Cantu a tenore, den eng­schritti­gen Rund­tänzen und umso küh­neren Pferde­rennen, schließ­lich von der unver­muteten Stärke der Frauen, die hier Köni­ginnen sind.

Eine rasante, bunte Mischung aus Elementen diverser Genres und Stile verleiht dem Film die Leichtig­keit, mit der er spielend die Sympathie der Zuschauer gewann (und über­raschen­de Ein­nahmen erzielte). Cineas­tisch schöpft er aus Western, Roadmovie, Science-Fiction und Slapstick, litera­risch aus Komödie, Satire und Märchen, stilis­tisch kann man Lyrisches ebenso wie Surrea­lismus, Anarchie und Nonsense entdecken. Wie schon in »L’arbitro« fallen ballett­ähnliche Passagen auf, worunter man auch die markante Emble­matik rechnen darf, die eine Ape Piaggio mit einem (eher stoischen statt störri­schen) Esel konfron­tiert.

Die Handlungsführung lässt keinen Zweifel daran, dass es mit der lustigen, bisweilen albern anmu­tenden Ober­fläche von Gags keines­wegs getan ist. Die Reifung von Kevin zu Gavino, vom heimat- und gesichts­losen Emigran­ten zum Sarden ist eine Reise nach Innen unter Anleitung. Es geht dabei um die Wieder­entde­ckung und Wieder­aneig­nung der Jahr­tausende alten Kultur und Ge­schichte und des Werte­systems, das der junge Mann zwar noch von seinem Großvater kennt, aber ablegte – wodurch er sich verloren hat. Je sicherer er sich auf sardi­schem Terrain (wieder) fühlt, desto weniger braucht er sich durch Über­treibung des Macho­tums zu beweisen, desto überzeu­gender wird er zum wahren Sarden, wie ihn Bardone definiert (und selbst reprä­sentiert): »un uomo che mantiene le promesse e capisce la diffe­renza fra le persone e le cose«. Was da zählt, sind altbe­währte mensch­liche Tugenden wie Respekt, Loyalität, Teilen, Dank­barkeit, und eigen­artiger­weise empfindet man hinter allem (einschließ­lich der hohlen Groß­mäulig­keit) eine verhüllte Schwermut.

Im zweiten Teil verdichtet Zucca die psycho­sozialen und philo­sophi­schen Aspekte, und der Film gewinnt durch eine poetisch-meta­physi­sche Ader eine tiefere Dimension. Schon in seinen Anfangs­lektionen wird Kevin/Gavino daran erinnert, dass die Sarden nach dem Tod nicht ins Jenseits, sondern auf den Mond ziehen, und eine traum­ähnliche Szene bringt ihm jetzt vor Augen, wie bedeu­tende Frauen und Männer aus der langen sardi­schen Geschichte (Ampsi­cora, Eleonora d’Arborea, Giovanni Maria Angioj, Grazia Deledda, Antonio Gramsci …) dort würdevoll mit gewöhn­lichen Hirten, Bäue­rinnen, Berg­arbeitern, Alten weiter­leben.

Was es mit der verwunder­lichen Besitz­ergrei­fung unseres nächsten Himmels­körpers durch einen Sarden auf sich hat, soll hier nicht verraten werden – nur so viel: Es hat mit Raumfahrt nichts zu tun, aber viel mit tiefer Mensch­lichkeit.


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