Rezension zu »Der Oligarch« von Daniel Silva

Der Oligarch

von


Thriller · Pendo · · Gebunden · 416 S. · ISBN 9783866122628
Sprache: de · Herkunft: us

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Wer nicht vor Angst umkommen will, muss sich wehren!

Rezension vom 03.01.2012 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Das Wort "Oligarch" kommt aus dem Griechischen und bezeichnet dem Wortsinn nach "einen von wenigen Herrschenden". Meistens meint man damit aber einen Wirtschaftsboss, der auf Grund seines Reichtums ein Land inoffiziell beherrscht – und denkt dabei an Russland. Dort spielt auch Daniel Silvas achter Spionagethriller, dessen Handlung die seines Bestsellers "Das Moskau-Komplott" von 2010 fortsetzt. Der titelgebende Oligarch heißt Iwan Charkow, ist einer der gefürchtetsten Männer Russlands, verehrt Stalin und verdankt sein Milliardenvermögen dem Waffenhandel mit terroristischen Regimes und menschenverachtenden Diktatoren, die durch internationalen Boykott geächtet werden. Mit dem Segen des korrupten russischen Ministerpräsidenten versehen, braucht er keine Strafverfolgung zu fürchten. Zu seiner persönlichen Sicherheit ist er von einer Gruppe ehemaliger KGB-Agenten umgeben, die auch die Drecksarbeit für ihn erledigen.

Gegner hat er jedoch sogar in seinem engsten Kreis: Seine Frau Elena agiert gegen ihn – und setzt damit ihr Leben aufs Spiel. Schwer geschwächt und persönlich getroffen wird Charkow durch Gabriel Allon, den Top-Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad. In Zusammenarbeit mit dem englischen und amerikanischen Geheimdienst verhilft er Elena und den beiden Kindern zur Flucht in den Westen. Dabei unterläuft Allon, dem sonst skrupellosen Killer, aber ein folgenschwerer Fehler: Er lässt Charkow am Leben, und nun muss er dessen Rache fürchten. Das wusste schon Niccolò Machiavelli vor fünfhundert Jahren: "Muss einem Mann eine Verletzung zugefügt werden, sollte sie so schwer sein, dass seine Rache nicht zu fürchten ist." Diese Weisheit hat Silva seinem Roman als Leitspruch nicht umsonst vorangestellt ...

Bevor Charkows Leute sich Allon vorknöpfen, müssen erst noch andere herhalten. Zunächst entführen sie mit einem ganz schäbigen Trick den Dissidenten und Ex-Agenten Bulganow. Der war früher Charkows Vertrauter gewesen, hatte ihn dann aber verraten und finanziell schwer geschädigt und fühlte sich jetzt in London allzu sicher, präsentierte sich der Öffentlichkeit, arbeitete an einem investigativen Buch gegen die Sowjets •einschließlich Charkow) mit – und war mit von der Partie, als Gabriel Allon Elena samt ihrer Kinder auf abenteuerliche Weise aus Russland herausschleuste. Verräter erwartet in diesen Kreisen die Höchststrafe: entsetzliche Folterungen, Genickschuss, anschließend Verscharren in einem namenlosen Erdloch. Dies trifft Gabriel Allon zutiefst, denn er hatte Bulganow versprochen, dass er niemals so enden würde.

Dann geht es Allon an den Kragen, und dabei setzt Charkow aufs Ganze. Als größtes Druckmittel lässt er Allons Frau Chiara entführen und hat damit ein Pfand, das er nur im Tauschhandel gegen seine beiden Kinder zurückgeben wird, wie er Allon durch seine Mittelsmänner wissen lässt.

Was sich so als einfacher Plot liest, hat Daniel Silva in einen knallharten, höchst komplexen Spionagethriller mit vielen Schauplätzen und Aktionen verwoben. Der Autor lässt uns Leser in eine andere Welt eintauchen: die der schwer bewaffneten Sicherheitsdienste und der autonomen Geheimdienste – MI5, MI6, CIA, Mossad, KGB – mit ihren eigenen Regeln und Gesetzen. Egal, ob in Frankreich, der Schweiz, Großbritannien, Italien, Israel, der Sowjetunion, wir begegnen hier nur noch Menschen, die offenkundig völlig anders gepolt sind als all die Normalbürger um sie herum. Über viele Jahre dienen sie im Geheimen ihrem Land, verteidigen es, sichern Politiker und deren weltweite Gipfeltreffen, egal mit welcher Identität und nach welchen Methoden. Ihre Ausbildung hat sie zu funktionierenden Maschinen gemacht, die zu jeder Zeit einsatzbereit sind und, wenn es der Sache dient, unvorstellbar foltern und hemmungslos töten können. Dabei arbeiten die Agenten aller Länder je nach internationaler Lage mal miteinander, mal gegeneinander. Sie unterhalten Beziehungen bis in allerhöchste politische Ämter, sie lügen, betrügen, schmieren mit viel Geld, entwickeln raffinierteste Pläne.

In Silvas Roman richten sich alle Aktionen – unter Allons Leitung mit seinem israelischen Team – gegen Russen. Tief ist ihr Hass verwurzelt, seit Stalins Schergen Tausende von Juden in grausamsten Massakern hingemetzelt hatten. Heute bedrohen Russen Israels Existenz, indem sie ganz offensichtlich terroristische Gruppierungen gewähren lassen, decken oder unterstützen – so wie Charkows Machenschaften, die Brutalitäten wie die Gefangennahmen Chiaras und Bulganows einschließen. In der erbarmungslosen Gegenwehr reagieren Allon und seine Männer ebenfalls mit den äußersten Mitteln, foltern und töten sadistisch. Der Leser, im Bann äußerster Spannung, empfindet dies als richtig, gerechtfertigt und gerecht.

Doch hat mich der bis zur Perfektion konstruierte Agententhriller über den Oligarchen ins Grübeln gebracht, wie leicht man der einen Seite – der der "Guten" – die übelsten kriminellen Handlungen zugesteht und genau die gleichen Aktivitäten auf der gegnerischen Seite – der der "Bösen" – auf heftigste verurteilt. Nach Moral und Menschlichkeit darf man nicht fragen, wenn es um internationale Auseinandersetzungen geht ...

Was die literarische Gestaltung betrifft, wünschen wir Leser uns natürlich von einem Thriller, dass er uns thrillt, also emotional fesselt; dazu müssen wir uns identifizieren, mit den Protagonisten durch Gefühlstäler und -höhen fiebern können – und zu diesem Zweck muss ein Autor für eine Seite Partei nehmen, um uns dorthin zu ziehen. Mit Gerechtigkeit, Fairness und Moral hat das nichts zu tun.

Bestsellerautor Daniel Silva fesselt den Leser in der Tat von der ersten bis zur letzten Seite in gleichbleibend ruhigem, unaufgeregtem Sprachstil. Wer dieses Genre liebt, wird bestens unterhalten. Sein Hauptprotagonist, der Israeli Gabriel Allon, kann zur Tötungsmaschine werden, ist aber auch mit menschlichen Zügen ausgestattet. Mit Hingabe besucht er seine erste Frau, die seit der Ermordung ihres gemeinsamen Sohnes völlig apathisch in einer Psychiatrie lebt. Mit seiner zweiten Frau Chiara möchte er sich gern in eine Privatsphäre zurückziehen, ein Kind großziehen und sich nur seinem Hobby, dem Restaurieren alter Ölgemälde, widmen. Wenn aber sein Land nach ihm ruft, so steht er loyal bis zur Selbstaufgabe bereit. Wird es ein nächstes Mal geben?

"Der Oligarch" lässt an Themen und Motiven nichts zu wünschen übrig: Korruption, Mafia, Erpressung, Brutalität, Kaltblütigkeit, Verrat, Liebe, Treue ... Die Aktivitäten der Geheimdienste sind bis in kleinste Details bestens recherchiert und durchdacht sowie logisch überzeugend erzählt. Fasziniert erfahren wir, was High-tech zu bieten hat, um den Gegner zu lokalisieren, ihn anschließend rundum zu überwachen und abzuhören. Wir haben keinen Grund, an der Authentizität zu zweifeln: In jener anderen Welt wird es wohl so zugehen wie beschrieben, wenn nicht noch schlimmer ...


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