Gewundene Wege von Amsterdam nach Ghom
Gabriel Allon, seit Jahren als Top-Agent für den israelischen Mossad tätig, hat nach seinem letzten lebensgefährlichen Einsatz in den Tiefen der russischen Birkenwälder seinen Dienst quittiert. Er hat sich in Cornwall zur Ruhe gesetzt, kann sich wieder seiner Leidenschaft als Restaurator widmen und hat vor allem endlich Zeit für seine geliebte Frau Chiara. Die hatte er ja in letzter Sekunde aus ihrer Gefangenschaft durch Iwan Charkow befreit, wie uns in "Der Oligarch" berichtet wurde. Sie ist schwer traumatisiert und leidet immer noch. Doch lange währt ihre gemeinsame Abschottung nicht.
Eines Tages kreuzt in ihrem idyllischen Cottage Julian Isherwood auf, ein kleines Licht, der einst einen Mini-Auftrag des israelischen Geheimdienstes zu erledigen hatte. Es ist die schiere Verzweiflung, die ihn zu Gabriel treibt, denn er hat privat und anonym ein bislang verschollenes Gemälde von Rembrandt erworben und dann der National Gallery in Washington zum Kauf angeboten. Nun wurde der Restaurator, der das "Porträt einer jungen Frau" überholen sollte, erschossen in seinem Atelier aufgefunden, und das Bild ist verschwunden. Wenn es einer wieder auftreiben kann, dann Gabriel. Doch der zaudert noch. Aber Chiara ist nach dem ersten Blick auf das Foto des Gemäldes so beeindruckt, dass gleich alle Sorgen hintangestellt werden und man beschließt, gemeinsam alles zu tun, um Meisterwerk und skrupellosen Mörder aufzuspüren.
Zuerst führt sie ihr Weg nach Amsterdam. Wo Rembrandt seine Kunst schuf, verkaufte im Jahre 1936 ein holländischer Galerist das Bild an einen reichen Juden, Jakob Herzfeld. Gabriel hat keine Hoffnung, dass es noch Angehörige dieser Familie gibt, da in Holland nahezu alle Juden in die Hände der Deutschen fielen. Doch stoßen Gabriel und Chiara in den alten jüdischen Archiven auf den Namen einer Überlebenden: Lena. Die scheue alte Dame lebt zurückgezogen und möchte eigentlich nicht über ihre Vergangenheit sprechen. Immerhin deutet sie an, dass Blut an dem Bild hänge und dass noch weitere Menschen sterben würden. Ihr Vater habe das Bild für einen mickrigen Betrag an einen SS-Mann namens Voss verkauft, im Gegenzug für das Versprechen, die beiden Töchter zu retten. Aber Voss hielt sein Wort nicht; nur Lena nahm er mit, denn sie war blondhaarig. So konnte sie entkommen.
Nach dem Krieg konnten viele Nazis mit Hilfe der Kirche und anderer Organisationen nach Argentinien fliehen, unter ihnen auch Voss. Sein kostbares Gemälde ließ er im Gewahrsam Schweizer Banken zurück, und nun zieht der Krimi weite internationale Kreise. Das reiche, saubere und ehrenwerte Alpenländle gibt ja die gigantischen Werte, die im Dunkel seiner Tresore ruhen, nur ungern wieder heraus, und wenn, dann nur nach langwierigen rechtlichen Eigentumsnachweis-Prozeduren. So verblieb der Rembrandt, neben vielen weiteren Schätzen wie Schmuck, Wertpapieren u.ä. aus jüdischer Hand, bei dem eidgenössischen Bankier Martin Landesmann; für den häufelte sich damit so viel Startkapital an, dass er in der Folge ein gigantisches Konglomerat an internationalen Firmen aufbauen konnte und er schließlich zu einem der reichsten Männer der Welt wurde. Durch großzügige Spenden und phänomenale Wohltätigkeitsbälle in seiner Villa am Genfer See – einem Anziehungspunkt für die Haute-Volée – erwirbt er sich den Spitznamen "Heiliger Martin", und doch ist es ihm unangenehm, so apostrophiert zu werden. Denn schließlich weiß niemand besser als er selbst, wer sich hinter der Fassade des Gutmenschen verbirgt: ein geldgieriger, skrupelloser Verbrecher, der seine dreckigen Geschäfte mit jedem zu machen bereit ist – derzeit beispielsweise mit dem Iran.
Als sich der Verdacht erhärtet, dass Landesmann dem Iran nützliche Gerätschaften zum Atomanlagen-, wenn nicht -waffenbau liefert, sind wir in Daniel Silvas Lieblingsmetier angekommen, dem Agententhriller. Die Geheimdienste CIA, MI5, MI6 und Mossad schließen sich im Unternehmen "Masterpiece" zusammen. Dessen Zielrichtung ist klar: den Gegner überführen, seine hässlichen Geschäfte beenden. Nur: Wie kommt man an den Mann und seine Schaltzentrale heran? Die Zeiten des Abhörens mittels Wanzen sind längst passé; heutzutage lassen subtilere Methoden wie das Einhacken in PC-Netzwerke, permanente Überwachung der Kommunikationswege und GPS-Ortungen keinen Atemzug des Feindes mehr ungehört verwehen, egal wo auf dem Globus er ausgehaucht wird. Wie immer hat Silva hier gut recherchiert und hält uns auf dem Laufenden über den Stand der Technik.
Aber auch über die weltpolitischen Krisenherde. Silva hat da ein gutes Gespür bewiesen. Sein Thriller, im März 2010 in den USA erstveröffentlicht, ist noch zwei Jahre später unverändert brandaktuell. Auch die gestrige Tagesschau (28.3.2012) berichtete wieder, wie schon seit Wochen, über Irans geheimniskrämerische, von aggressiven Tönen gegen Israel begleitete Atompolitik und über die ziemlich unverhohlen geäußerte Bereitschaft Israels, dieser Bedrohung durch einen eigenmächtigen Präventivschlag gegen den Iran ein Ende zu setzen, egal wie hoch der Preis für die Region und die Welt sein kann. Wie der Iran bestreitet, an Atomwaffen zu bauen; wie immer wieder der böse Verdacht aufkommt, dass er dies insgeheim sehr wohl betreibe; wie jede Menge harmlose Einzelteile, die zu solchen Zwecken benötigt werden, aus Europa, Russland, China und den USA ins Land gelangen; wie derlei Machenschaften durch riskante investigative Untersuchungen aufgedeckt werden – damit holt Silvas fiktionaler Plot unsere Realität auf verblüffende und erschreckende Weise ein.
Der Polit-Thriller genügt Silva aber offensichtlich nicht. Er stellt einen zweiten, sieben Jahrzehnte in die Vergangenheit ausgreifenden Handlungsstrang um Nazi-Verbrechen und das Rembrandt-Bild daneben (oder voran), der sogar den Titel gibt. Damit mag er eine historische Parallelität oder Kontinuität des Antisemitismus unterstreichen oder auch materielle und persönliche Verflechtungen suggerieren, aber so richtig schlüssig motiviert finde ich dieses duale Konzept nicht.
Außerdem stört mich erneut, dass Silva in seinen Thrillern gern ein recht schlichtes Schwarz-Weiß-Bild pflegt; Gut und Böse sind immer klar verteilt. Zum Beispiel sind die Israelis grundsätzlich Opfer; der Rest der Welt hat sich gegen sie verschworen. Ursache – Folge ist bei ihm eine Einbahnstraße: Wechselwirkungen werden bei Silva nicht weiter gestaltet. (NB: Ich spreche von der Romanwelt und kommentiere nicht die reale Politik.)
Trotz dieser gewissen Schlichtheit hat mir Daniel Silvas neuester Roman "Die Rembrandt Affäre" in der Übersetzung von Wulf Bergner gut gefallen. Er liest sich zügig und bietet – im Gegensatz zu einigen seiner Vorgänger – einen relativ konzentrierten Erzählstrang. Außerdem fand ich wohltuend, dass der Autor dieses Mal von der anschaulichen Ausgestaltung blutrünstiger Grausamkeiten anlässlich von Folterungen und Tötungen abgesehen hat.
Etwas leiser, als man es sonst von Silva gewöhnt ist – und gerade deshalb für mich ein lesenswerter Thriller, der eigentlich gar nichts Neues erschafft, sondern aus tausend Dingen, die wir jeden Tag aus den Medien erfahren, einen großen Teppich webt.