Rezension zu »Erinnerungen an einen schmutzigen Engel« von Henning Mankell

Erinnerungen an einen schmutzigen Engel

von


Belletristik · Zsolnay · · Gebunden · 352 S. · ISBN 9783552055797
Sprache: de · Herkunft: se

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Vom Bauernmädchen zur Bordellbesitzerin

Rezension vom 07.09.2012 · 4 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Engel sind weiß. Die körperlosen unsichtbaren Wesen umschließen uns mit ihren Flügeln, bieten uns Schutz vor den Unbilden des Lebens. Diese Vorstellung wurzelt tief in unseren christlichen Traditionen.

Hanna ist dreizehn Jahre alt und ein folgsames Kind. Warum also spricht ihr Vater Arthur auf dem Totenbett so grausam zu ihr: "Hanna Renström, meine Tochter, du bist ein Engel, ein schmutziger ..."? Das war im Jahr 1899. Fünf Jahre später verlässt sie das elterliche Haus. Die Not ist groß, ein ungewohnt kalter Wintereinbruch droht. Mutter Elin schafft es nicht mehr, die Familie mit vier Kindern allein durchzubringen.

Der Kaufmann Jonathan Forsman, der ab und zu mal bei den Renströms hereinschaut, nimmt sie mit zur schwedischen Küste. In seinem Haus geht Hanna der Magd Berta zur Hand, lernt lesen, schreiben und ein wenig kochen. Forsman glaubt, Hannas Zukunft verheiße mehr, sie solle etwas aus ihrem Leben machen. Bald wird ein Dampfer nach Australien auslaufen, und Kapitän Svartman ist bereit, sie mitzunehmen, als einziges weibliches Wesen auf dem Schiff. Als Köchin soll sie seine Mannschaft versorgen.

An Bord heiratet Hanna den Steuermann Lundmark. Doch ihr gemeinsames Glück währt nicht lange; Lundmark stirbt an einer fiebrigen Infektion und wird auf See bestattet. Er hinterlässt Hanna ein kleines Salär.

In Lourenço Marques, der Haupstadt der portugiesischen Kolonie Mosambik (heute Maputo), verlässt Hanna das Schiff. Umtriebig, doch voller Heimweh macht sie sich auf die Suche nach ihrer wahren Bestimmung. Im Hotel O Paraiso kann sie sich ein Zimmer leisten, fühlt sich hier aber von Anfang an unwohl, spürt überall Böses. Die schwarzen Frauen, die in durchsichtigen Gewändern durch das Haus geistern, strahlen in ihren Augen Angst aus, doch in Hannas schlimmsten Stunden helfen sie ihr. Sie erleidet eine Fehlgeburt.

Wo Hanna untergekommen ist, wird ihr erst klar, als sie nach Monaten wieder bei Verstand und gesund ist: im größten Bordell Südafrikas. Gern treibt sie sich in den Gassen der Stadt herum, steht am Hafen, schaut sehnsüchtig auf die Schiffe. Dabei droht allerorten Gefahr von den armen unterdrückten Schwarzen, die die reichen Weißen abgrundtief hassen. Der Betreiber des Etablissements, der kleine, hässliche Senhor Vaz, ist äußerst bemüht um Hannas Sicherheit.

Bald ist Hanna mit Vaz verheiratet und zieht in sein Steinhaus. Als er kurze Zeit später stirbt, hat er Hanna sein ganzes Vermögen vermacht. Nun steht Hanna als Bordellbesitzerin vor gewaltigen Aufgaben. Sie will den schwarzen Frauen nahe sein, sie fair entlohnen und sie vor rüpelnden, brutalen weißen Männern schützen. Damit macht sie sich bei den Weißen unbeliebt, und selbst die Frauen wollen sie nicht. Ihr Bemühen um die Menschen niederster Kaste stößt rundum auf Unverständnis und Widerstand.

Die Situation spitzt sich zu, als Hanna Zeugin einer Bluttat wird: Die schwarze Isabel ersticht ihren weißen Ehemann, der sie belogen hatte, denn er war bereits mit einer Weißen verheiratet. Nach ihrer Verhaftung ist Hanna entschlossen, Isabel zu retten, ihr ganzes Geld für sie einzusetzen, sich sogar an den Stadtkommandanten zu verkaufen.

Henning Mankell gilt als Synonym für den gesellschaftskritischen skandinavischen Krimi schlechthin. "Erinnerungen an einen schmutzigen Engel" (aus dem Schwedischen übersetzt von Verena Reichel) ist weit weg von seinem allseits geläufigen und bestsellernden Wallander-Genre. Diese Erzählung hat Mankell auf der Grundlage einer historischen Quelle entwickelt, wie das Nachwort berichtet: In den Stadtarchiven von Maputo fand der Autor ein Dokument über eine Schwedin, die zu Anfang des 19. Jahrhunderts als Bordellbesitzerin die bedeutendste Steuerzahlerin der Stadt war. Vor diesem realen Hintergrund begibt sich Mankell auf eine fiktionale exotische Zeitreise.

Jung, naiv, ohne Lebenserfahrung wird eine Frau auf einem ihr fremden Kontinent mit ihr unverständlichen Lebensformen ausgerechnet zur Puffmutter. Hin und her geworfen zwischen den Schwarzen und den Weißen, in der Zwickmühle zwischen deren gegenseitigen Ressentiments und bedrängt von Rassismus und Apartheid-Politik, leidet Hanna unter den unhaltbaren, ärmlichen Zuständen und der Unterdrückung der Ureinwohner.

Unverhofft zu Reichtum gelangt, genießt es Hanna, dem Status des armen schwedischen Bauernmädchens entkommen zu sein, und empfindet bewusst ihren sozialen Aufstieg. Doch sie weiß, dass sie sich trotz allen Ungemachs unzweifelhaft auf die Seite der Schwächeren schlagen wird.

Ihr Leben lang schämt sie sich, dass sie sich einmal vergessen hat, als ihre Bedienstete Laurinda, die ihr jeden Morgen den Tee aufs Zimmer bringt, die Schale zerbricht. Wegen dieser Nichtigkeit verpasst Hanna ihr eine Ohrfeige, befiehlt ihr, die Scherben aufzuheben, und empfindet Genugtuung darüber, wie die Schwarze vor ihr über den Boden kriecht. Hanna, die die Schwarzen beschützen, ihr Engel sein möchte, beschmutzte an jenem Morgen ihr weißes Antlitz. Die Worte des Vaters auf dem Totenbett enthielten eine böse Vorahnung dieses Schicksals.

Henning Mankells neuester Roman "Erinnerungen an einen schmutzigen Engel" ist ungewohnt leicht und unaufgeregt im Handlungsverlauf. Ohne großartige Ausschläge fließt er gleichförmig dahin.


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