Im Garten des Todes
Dreißig Dienstjahre hat er auf dem Buckel. Unzählige Fälle hat er mit Geduld und Gespür aufgeklärt. Die Kollegen respektieren ihn. Doch in seinen Knochen und mehr noch in seinem Gemüt spürt er, dass er alt wird.
Kurt Wallander teilt jetzt eine Wohnung mit seiner Tochter Linda, seit einem Jahr selbst Polizistin in Ystad. Ihre Alltagsdialoge sind auf das Notwendigste reduziert – »eine Frage, die nicht gestellt wurde, verlangte auch nicht nach einer Antwort«. An Sonntagen, den »Tagen der Freundlichkeit«, lassen die beiden Sonderregeln gelten.
Jetzt könnte sich etwas ändern in Wallanders Leben. Den Melancholiker zieht es aufs Land. Da, glaubt er, kann er wieder Einklang mit sich selber finden, da werden womöglich gar Träume wahr: eine Lebenspartnerin finden, »einen Hund anschaffen«.
In dieser gedrückten, trüben Herbststimmung, noch dazu an einem Sonntag, kommt ein Telefonklingeln ganz ungelegen. Aber es ist Kollege Martinsson mit einem schönen Angebot: Außerhalb von Löderup, in der Gegend, wo Wallanders verstorbener Vater lebte, steht ein Schonenhof zum Verkauf. Er gehört einem Verwandten von Martinssons Ehefrau.
Der seit Jahren leerstehende Hof ist völlig heruntergekommen. Aber wenn man sich über den Preis einig würde, wäre Wallander interessiert. Er hat das muffige Haus zwischen Obstbäumen und Johannisbeersträuchern besichtigt und ist davon angetan. Seltsam nur, sein Unterbewusstsein schickt ihm eine Botschaft, als er bei seinem Rundgang über eine Art Baumwurzel stolpert; »er hatte etwas gesehen. Ohne zu sehen.« Bevor er nach Ystad zurückfährt, muss er sich noch einmal vergewissern – und macht eine schaurige Entdeckung: Aus dem Boden reckt sich ihm »eine skelettierte Hand« entgegen.
Das Gelände wird abgesperrt, Spurensicherung und Gerichtsmedizin beginnen ihre Arbeit. In der Nacht strahlen Scheinwerfer über den unwirklichen Ort. Aus der Erde holt man zwei Leichen, einen Mann und eine Frau, beide bis zur Unkenntlichkeit verwest. Sie müssen schon viele Jahre hier gelegen haben.
In einem Mordfall, der also längst verjährt ist, nimmt Wallander nun seine Recherchen nach den vormaligen Besitzern auf. Das Verbrechen muss in den wirren Kriegsjahren geschehen sein. Flüchtlinge kamen ins Land, dienten als Knechte und Mägde, verschwanden nach kurzer Zeit wieder. Nicht jeder wurde den Behörden gemeldet. Haben zu viele Jahre die wenigen Spuren aufgelöst wie die Erde die beiden Leichen, oder kann Wallander noch anderes ausgraben?
Dieser kurze Krimi hat mir sehr gut gefallen, und er passt wunderbar in diese neblig-düstere Jahresendzeit (Seine Handlung beginnt im Oktober und endet im Dezember.). Der Routinier Mankell hat wie üblich einen stringent und logisch schlüssigen Plot konzipiert und baut die Geschichte maximal spannungsfördernd auf, um ihr dann eine unerwartete Wendung zu geben. Ebenso wichtig für die Lesefreude ist jedoch die Atmosphäre, die z.B. durch das Krähengezeter im »Garten des Todes« effektvoll gestaltet wird.
Für Wallander-Experten stellt sich die Frage, wie dieser Roman einzuordnen ist, wo die Serie doch mit »Der Feind im Schatten« (erschienen im April 2010) ihr endgültiges Ende finden sollte. Die schwedische Erstausgabe von »Mord im Herbst« kam aber erst 2013 (»Handen«, von Wolfgang Butt ins Deutsche übersetzt), während seine Handlung 2002 spielt, also früher als die von »Der Feind im Schatten«. In der Tat ist die Hintergrundgeschichte zu diesem Krimi samt seinen Erscheinungsterminen kurios. Geschrieben hat Henning Mankell ihn bereits vor Jahren, ohne ihn jedoch zu veröffentlichen. Stattdessen wurde das Buch 2004 ins Niederländische übersetzt, denn Mankell wollte damit eine schöne Initiative des holländischen Buchhandels zur Leseförderung unterstützen: Jeder Käufer eines Kriminalromans erhielt im »Monat des spannenden Buchs« dieses kleine Bändchen als Gratiszugabe.
Diese und weitere Informationen erfährt man aus dem aufschlussreichen Nachwort »Wie es anfing, wie es endete und was dazwischen geschah«. Darin gibt uns der Autor ein bisschen davon preis, wie er seinen Protagonisten Kurt Wallander hat entstehen lassen. Wussten Sie beispielsweise, dass beide im selben Jahr (1948) geboren wurden? Mit Stolz verweist Mankell darauf, dass er ein gutes Gespür für bevorstehende geschichtliche Umbrüche hatte; mancher Wallander-Roman habe »Ereignissen vorgegriffen, die später tatsächlich eingetreten sind«. Zum Abschluss folgt eine chronologische Übersicht aller Wallander-Romane nach ihrem schwedischen Erscheinungsdatum.
Ist es gut, wenn ein erfolgreicher Autor die Produktion seiner international geliebten Bestseller-Serie einstellt? Henning Mankell folgte jedenfalls seiner inneren Stimme: »Du musst rechtzeitig aufhören.« Wenn die Routine und nicht mehr das Herzblut das Schreiben beflügelt, ist es Zeit, den »letzten Punkt zu setzen.«
Übrigens: Falls sich beim Lesen Déjà-vus bei Ihnen einstellen, haben Sie vielleicht die TV-Verfilmung von »Mord im Herbst« (mit Kenneth Branagh) gesehen, die am 13.09.2013 bei ARTE ausgestrahlt wurde.