
Périgord – Schmelztiegel alles Bösen in der Welt
Auch der Satan ist da. Jedenfalls versuchen manche, ihn aus dem himmlischen Saint-Denis wieder zu verscheuchen.
Auf dem gemächlich dahinmäandernden Fluss treibt ein verrotteter schwarzer Flachbodenkahn, voller Wasser und fast schon abgesoffen. In dem gespenstischen Gefährt ruht die Leiche einer nackten Frau. Kokainspuren an ihrer Nase und eine Wodkaflasche legen den Schluss nahe, sie habe sich umgebracht. Doch Bruno Courrèges, erster und einziger Polizist des Städtchens, findet mehr: ein Pentagramm auf ihrem Bauch, zwei schwarze Kerzen, ein toter Hahn mit abgetrenntem Kopf, verbranntes Holz – da muss noch jemand anderes seine Hand im Spiel gehabt haben.
Weiteres Aufsehen erregt die Schändung der Touristenattraktion der Gegend schlechthin. In der gigantischen »Teufelshöhle« wurde offenkundig eine schwarze Messe zelebriert. Wo alltags ehrfürchtige Besucher in Zehntausenden von Jahren gewachsene und effektvoll illuminierte Tropfsteinformationen bewundern, haben Unbekannte den »Madonna«-Stalagmiten mit schwarzer Farbe beschmiert, die Wand mit einem schwarzen Pentagramm besudelt, einen Ziegenkopf mit heraushängender Zunge zwischen zwei schwarzen Kerzen drapiert, und eine ausgetrunkene Wodkaflasche zeugt von den Begleitumständen der Zeremonie in der »Marienkapelle«.
Ob es wohl einen Zusammenhang gibt zwischen dem höllischen Höhlenbrimborium und der Toten in ihrem schwimmenden Sarg? Bruno tut sich schwer damit, Tod und Teufel unter einen Hut zu bekommen, ja selbst den Tropfstein-Spuk als Satanismus abzunehmen. Pater Sentout hingegen ist Experte: Den Teufel auszutreiben, wo er ihn vermutet, ist geradezu sein täglich Brot; er »wittert Schwefel« und hält sogar Exorzismus-Seminare ab.
Ach, was für ein schöner, behaglicher Krimigenuss hätte das werden können, wenn Autor Martin Walker es denn bei dem gruseligen Verbrechen der auf ihrem Styx hingleitenden Wasserleiche belassen hätte. Schließlich verdankt der gebürtige Schotte, der das Périgord zu seiner Wahlheimat erkoren hat, seinen großen Erfolg der Melange aus überschaubaren Fällen für den Protagonisten Bruno und der sympathischen Atmosphäre des Landstrichs. Walkers Liebe zu Land und Leuten, zur Gemächlichkeit des ruhigen und beschaulichen Lebens und zu ihren kulinarischen Genüssen durchweht jeden seiner jährlich erscheinenden Krimis und macht sie zu Bestsellern für eine treue Leserschaft.
Doch in »The Devil's Cave« (2009 erschienen und jetzt von Michael Windgassen übersetzt), Brunos fünftem Fall, ist Schluss mit der Genügsamkeit. Das verschlafene Örtchen Saint-Denis muss als Sammelbecken jedweder Art von kleinen und großen Verbrechen herhalten:
• Investmenthaie fallen wie Heuschrecken über die Provinz her. Ein Ferienressort mit Golfanlage soll Touristen und Geld bringen. Bürgermeister Gérard Mangin ist begeistert von dem Großprojekt ...
• Waffenschieber versammeln sich hier, um geheime Lieferungen in den Libanon zu verhandeln, und hübsche Animierdamen versüßen ihnen das Geschäft mit dem Tod ...
• Die Résistance wird zu Tode gepflegt. In ihrem eindrucksvollen Chateau liegt Hortense de la Gorce, die »rote Komtesse« (hochbetagte Widerstandskämpferin, hochrangiges KP-Mitglied, hochgeehrt mit der »Médaille de la Résistance« und dem Kriegsorden der UdSSR) ans Bett gefesselt. Liebe Verwandte spekulieren auf ein reiches Erbe ...
• Verfehlungen bringen eine ganze Familie zu Fall: Bauer Junot, dem Alkohol ergeben, prügelt Ehefrau und Tochter. Die Sechzehnjährige flieht, gerät aber in die Hände eines Zuhälters. Als der reuige Vater das gefallene Mädchen zurückholen will, stürzt er mit seinem Motorrad in einen tödlichen Abgrund. Ein unglücklicher Unfall?
• Die »Femme fatale« ist eine falsche Verheißung. Zwar erregt das Rasseweib namens Eugénie Brunos Aufmerksamkeit, doch wirklich beeindrucken kann sie nicht einmal ihn, der sich dem weiblichen Geschlecht gern aufschließt. Obgleich sie allenfalls als blasser Abklatsch ihrer historischen und literarischen Vorbilder von Carmen bis Mata Hari durchgehen kann, zieht der Diogenes-Verlag den verlockenden, vielleicht verkaufsfördernden Begriff dem wesentlich besser passenden Originaltitel vor. Wenn Eugénie denn wenigstens reiten könnte ...
Um all dies (abgesehen vom Buchtitel) kümmert sich unser geduldiger und gutmütiger Chef de Police. Daneben findet Bruno genug Zeit für sein Pferd Hector, seinen Garten, seine Hühner, für Marktbesuche, für Klatsch und Tratsch der kauzigen Mitbürger, für Speis und Trank und insbesondere für seine Schwäche zarter, kleiner Liebeleien.
In ihrer Ausgewogenheit zwischen der Idylle des Périgord, dem französischen savoir vivre und einem netten Krimiplot hat Martin Walkers Romanserie bisher viel Freude gebracht. Jedes Frühjahr erschien ein Band, immer rechtzeitig, um noch schnell als (ent-)spannende Urlaubslektüre im Gepäck verstaut zu werden. Nach dem fünften Band, der mehr Masse als Klasse nach Saint-Denis schafft, wird es womöglich Zeit, Bruno zu pensionieren, ehe er überlastet und ausgelaugt wird.
Wer jetzt schmerzvoll aufschreit, sei getröstet: Ende April 2014 erscheint »Reiner Wein«, Brunos sechster Fall ...