Rezension zu »Figlia mia (Meine Tochter)« von Laura Bispuri

Figlia mia (Meine Tochter)

von Laura Bispuri


»Figlia mia« ist ein intensives Drama über ein zehnjähriges Mädchen, das zwischen ihrer Adoptivmutter und ihrer leiblichen Mutter hin- und hergerissen ist. Regisseurin Laura Bispuri erzählt sensibel von Mutterschaft, Identität und weiblicher Selbstfindung – kraftvoll inszeniert vor der rauen Kulisse Sardiniens.
Film · · 99 Min.
Sprache: de · Herkunft: it · Region: Sardinien

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DVD

Der sardische Kreidekreis

Rezension vom 20.04.2025 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Die italienische Regisseurin Laura Bispuri (1977 in Rom geboren) hat mit »Figlia mia« (dt. »Meine Tochter«, en. »Daughter of mine«) ein inten­sives, zutiefst weib­liches Drama vorgelegt, das sich mit den wider­sprüch­lichen Facetten von Mutter­schaft, Identität und Zuge­hörig­keit aus­einander­setzt. Ange­siedelt hat sie es in der kargen, heißen, mythisch anmu­tenden Land­schaft Sardi­niens, auf einem schlich­ten Bauern­hof, wo Mensch und Tier eng bei­sammen leben, in einer Fisch­zucht­anlage, in einer vorzeit­lichen Nekro­pole. Hier entspinnt sich eine stille, aber kraft­volle Drei­ecks­ge­schichte zwischen einem Mädchen und zwei Müttern – der leib­lichen und der sozialen –, die nicht nur das Leben der Prota­gonis­tinnen, sondern auch die Wahr­neh­mung des Publi­kums heraus­fordert.

Im Zentrum der Handlung steht die zehn­jährige Vittoria, ein schüch­ternes, still be­obach­tendes Kind mit auffällig roten Haaren, das in einem kleinen sardi­schen Dorf auf­wächst, bei Tina, einer liebe­vollen, für­sorg­lichen Frau, die das Kind einst bei der Geburt anver­traut bekam. Tina verkör­pert jene Form von Mutter­schaft, die auf Verant­wortung, Verläss­lichkeit und leiser Kontrolle basiert. Doch Vittoria trägt, so scheint es, einen inneren Ruf in sich, eine leise namen­lose Sehn­sucht nach etwas ande­rem. Als sie Angelica begegnet, hat sie ihr Ziel gefunden. Angelica lebt haltlos am Rand der Gesell­schaft, ist emotional unbe­rechen­bar, chaotisch, verletz­lich und zugleich von wilder Energie durch­drungen. Angelica ist ihre leibliche Mutter.

Zwischen Angelicas Unangepasstheit und Tinas über­wachender Wärme beginnt für Vittoria ein inneres Ringen, das zu einem frühen Selbst­findungs­prozess führt. Der Film be­schreibt diesen Prozess nicht mit der groben Drama­turgie klassi­scher Konflikte, sondern mit feinem psy­cho­logi­schem Gespür, das im Subtext, in Blicken, Gesten, Sym­bolen und atmos­phäri­schen Bildern mit­schwingt. Es ist ein Coming-of-Age-Film, der nicht in der Rebellion endet, sondern in der Er­kennt­nis, dass Identität ein Gewebe aus Wider­sprüchen ist – dass eine Tochter mehr als eine Mutter braucht, um sich selbst zu begreifen.

Die Kamera bleibt stets nah an den Gesich­tern, wobei das von Vittoria anfangs fast unbewegt ist und erst später eine ganz zarte Mimik (ein Blick, der Anflug eines Lächelns) verrät, wie ihr Inneres durch neue Erfah­rungen und Zweifel er­schüt­tert wird. Nicht einmal in dem zentralen Moment der Er­kennt­nis, wer ihre »wahre« Mutter ist, kommt Pathos auf, sondern lediglich ein leiser Ausdruck kindlich-stau­nen­den Ver­stehens. Das neue Wissen verändert alles, aber es bedeutet nicht auto­matisch Ent­schei­dung oder Abkehr. Vielmehr beginnt die Suche nach Inte­gra­tion. In einer der be­wegend­sten Szenen des Films stellt sich Vittoria zwischen die beiden Frauen – buch­stäblich, aber auch meta­pho­risch. Sie über­nimmt Führung. In ihrem Gesicht liegt der Trotz eines Kindes, das erwachsen wird, ohne voll­ständig Kind gewesen zu sein. Ihr Blick fordert nicht nur Ver­ständ­nis, sondern auch Ver­ant­wor­tung.

Wie ein Spiegel der Seelen wirkt die weite, raue Land­schaft der Insel, die Vittoria, angezogen von ihrem neuen Ziel und begleitet von einem trei­ben­den Rhythmus, ge­legent­lich allein durch­streift. Weitab vom Tourismus zeigt sich Sardinien hier noch ganz archaisch: staubige Wege, ver­trock­nete Macchia, Tier­ställe, schiefe Häuser, ver­witterte Höfe, unge­schlachte Um­gangs­formen. Während Tina nach geord­neten Ver­hält­nissen strebt, haust Angelica in einer ver­fallen­den Hütte zwischen Hühnern und Pferden. Dass ihre Körper­lich­keit, ihr Dreck, ihr Lachen, ihre obszöne Hem­mungs­losig­keit und die brutale Wech­sel­haftig­keit ihrer Emotionen (auch gegenüber Vittoria) das Mädchen nicht abstoßen, sondern Neugier und Sympathie wecken, ist über­raschend. Neben der Faszi­nation des ganz Anders­artigen mag auch das unbe­wusste Erkennen einer Ähnlich­keit eine Rolle spielen.

Die Dynamik zwischen den beiden Müttern ist das eigent­liche Herz des Films: ein emotio­nales Tau­ziehen, das keine Gewinner kennt. Angelica (ver­körpert von Alba Rohr­wacher) changiert zwischen kind­licher Impul­sivität und ver­zweifel­tem Auf­be­gehren, Tina (Valeria Golino) hingegen überzeugt durch ihre stille, bedachte Präsenz und Kontrol­liertheit, doch beides geht ihr verloren, je stärker die Angst vor dem Verlust und die Verzweif­lung um sich greifen. Beide Frauen lieben Vittoria, jede auf ihre Weise – und ihrer beider Liebe ist auch verknüpft mit Besitz­an­spruch, Wunsch nach Be­stäti­gung, Angst vor dem eige­nen Versagen.

Laura Bispuri gelingt es, die Kom­plexi­tät von Mutter­schaft jenseits von Klischees zu erzählen. Keine der Frauen wird idea­lisiert, keine dämo­nisiert. Statt­dessen entsteht ein schmerz­lich ehrliches Bild davon, wie viel­schichtig und wider­sprüch­lich Mutter­rollen sein können – und wie oft Kinder zwischen den Fronten emotio­naler Unge­wiss­heiten stehen.

Das Finale ist ebenso überraschend wie utopisch: Es gibt keine Ent­schei­dung zwischen den Müttern, kein defini­tives Ende, sondern einen Schritt in Richtung Ko­exis­tenz. Ein fast versöhn­liches Bild entsteht, das jedoch nicht als Lösung verkauft wird, sondern als Hoffnung. Viel­leicht braucht es beide Frauen – die Ordnung und das Chaos, die Kontrolle und die Wild­heit – damit ein Mensch ganz werden kann.

»Meine Tochter – Figlia Mia« wurde synchronisiert und Ende März 2025 im ZDF ausgestrahlt.


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