Pelle di bandito
von Piero Livi
Eskalation
Piero Livis pessimistischer Schwarz-Weiß-Film erzählt von der Eskalation der Gewalt in den Sechzigerjahren auf Sardinien: Während der banditismo zu reiner Kriminalität ausartet und immer brutaler wütet, rüstet der Staat Waffen und Truppen auf, um ihn auszumerzen. An der Einstellung der sardischen Bevölkerung ändert das nicht viel: Die banditi werden weiterhin als Helden verehrt, die Obrigkeit und die Gesetze vom continente bleiben verhasste Feinde, die Leute hüllen sich in Schweigen. Folgerichtig endet der Film so, wie er angefangen hat: mit einem Jungen, dessen kriminelle Zukunft abzusehen ist.
Livi orientiert sich am Werdegang von Graziano »Grazianeddu« Mesina (*1942), einem populären sizilianischen Entführer, Outlaw und notorischen Ausbrecher. Schauplatz ist das zweithöchste Gebirge der Insel, der Supramonte, ein sprödes, zerklüftetes Karstgebirge südöstlich von Oliena und nördlich des Gennargentu-Massivs.
Der junge Mariano De Linna begeht einen Mord aus Blutrache (»fratello per fratello«) und endet dafür im Gefängnis. Dort sucht der Spanier Pedro Alfonso Rodriguez Gomez, Ex-Fremdenlegionär und Autodieb, seine Kameradschaft. Die beiden brechen aus und fliehen in die weglosen Berge, wo sich ihnen einige Männer anschließen.
Die Carabinieri können die Ausbrecher nicht fassen, obwohl sie Straßensperren errichten, Häuser durchsuchen, Verdächtige festnehmen, immer höhere Belohnungen aussetzen. Doch die Banditen bringen jeden Verräter um (»Così muoiono gli amici della legge.«). Unter dem Druck der öffentlichen Meinung auf dem Festland zieht die Polizei die Schraube weiter an: Eine 600 Mann starke Elitetruppe für den Guerillakampf, »I baschi blu«, rückt inklusive Hubschrauber an; jetzt will man rücksichtslos durchgreifen.
Auch Pedro und Mariano stacheln ihre Männer auf. Sie können sie überzeugen, dass die althergebrachten Verhaltensweisen der Briganten – immer nur auf l’onore bedacht – fruchtlos und unzeitgemäß sind; man müsse sich zusammenschließen, sich organisieren, sich modern bewaffnen, um »den Reichen« Geld abzuknöpfen, und zwar durch mitleidlose Entführungen. Das Konzept findet Zustimmung, und bald ist niemand, der nächtens im Auto über Land fährt, mehr sicher davor, in die Berge verschleppt zu werden, bis riesige Lösegeldsummen übergeben sind.
Mariano und Pedro fühlen sich sehr sicher. Diente ihre Geldgier ursprünglich privaten Zielen (»Possiamo aiutare le nostre famiglie, pagare le spese dei nostri processi, e vivere meglio.«), so unterfüttern sie ihr barbarisches Verbrechertum jetzt mit einer abstrusen pseudosozialistischen Ideologie, die ihre Taten als »giustizia sociale« deutet. In geheimen Treffen posiert Mariano, Pistole im Gürtel, vor Journalisten, die seine verquaste Selbstdarstellung als Kämpfer gegen »i ricchi« und »lo stato« protokollieren sollen. Dahinter schimmert freilich immer noch schlichter Egoismus durch: »Ho rubato per fame, e ucciso per vendetta, e ora mi faccio la pensione per la vecchiaia.«
Das Blatt wendet sich, als Pedro bei einem Feuergefecht getötet wird. Mariano fühlt sich allein und erschöpft, ebenso wie seine Männer. Trost findet er bei der jungen Stefania. Am Ende tappt er in eine Falle der Carabinieri und lässt sich widerstandslos festnehmen; der Grund bleibt offen: Hat er aufgegeben? Will er seiner Mutter das Kopfgeld zukommen lassen?
Piero Livis Film verzichtet fast vollkommen auf Folkloreszenen und ist gänzlich unromantisch. Er erzählt die etwas plakative Handlung in lakonisch knappen Szenen mit atemberaubenden Schnittfolgen und raschen Wechseln. Die Kamera bleibt den Protagonisten mit eindringlichen Großaufnahmen dicht auf der Pelle, was oft einen heroisierenden Effekt mit sich bringt. Die Sprache ist recht gut zu verstehen, auch Pedros Mischmasch aus Spanisch und Italienisch.
»Pelle di bandito« auf YouTube suchen