Eigentümlicher Mix
Der erste Spielfilm des Regisseurs Salvatore Mereu aus Dorgali lässt in seiner Filmsprache zwar neorealistische Wurzeln erkennen und spielt etliche traditionelle Stereotypen aus (vom archaischen Lebensstil, dem Hirtenidyll über die absonderliche Sexualität bis zum gehüpften Rundtanz und dem vielstimmigen Männergesang), bindet sie aber in ein symbolbefrachtetes Konzept ein. Sie sind dadurch ein wenig der Realität enthoben, ohne jedoch ironisch gebrochen zu werden.
Der Film besteht aus vier Episoden, die unvermittelt ineinander übergehen. Abgesehen von einigen Schauspielern, die wiederholt auftreten, sind sie lediglich auf der metaphorischen Ebene verbunden, indem jede eine Jahreszeit und eine Lebensphase repräsentiert. Im ersten, heiteren Teil (Frühling / Kindheit) fahren vier kleine Jungs auf der Ladefläche eines Kleinlasters über Land, um zum ersten Mal das Meer zu sehen. Unterwegs ärgern sie einander und andere, rauchen und amüsieren sich; am Meer tollen sie geradezu ekstatisch herum. – In der zweiten Episode (Sommer / Jugend) fliegt eine attraktive junge Französin ein und ist gleich fasziniert von dem stillen, bärtigen, drahtigen Hirten, dem wir schon zusammen mit den Knaben begegnet sind. Mit Flugzeug, Disko und weiblichen Initiativen bricht die Moderne ins Hirtenleben. Sprachlich können beide nur rudimentär miteinander kommunizieren, kulturbedingt unterscheiden sich auch ihre sexuellen Wünsche, aber die Verführung gelingt. Kaum ist der Naturbursche auf tragische Weise wieder allein, sehen wir dieselbe attraktive Schauspielerin im dritten Teil als Nonne (was zunächst weiß Gott irritiert). Sie reist zu ihrer Familie aufs Land, wo eine Angehörige heiratet. Dies (Herbst / Reife) ist der stimmigste der vier Teile: Das vielgestaltige Gedränge in den Innenräumen, vom magischen Chorgesang begleitet, spiegelt sich im ernsten, sanften Mienenspiel der Nonne wieder. Das große Fest beginnt, wird aber jäh von einem Platzregen beendet; Traurigkeit und Enttäuschung in allen Gesichtern – bis einer die Initiative ergreift: Das Gemeinschaftserlebnis mit Musik und Tanz erweist sich als mystisches Heilmittel (mehr dazu in meiner Besprechung des Films »Su ballu ‹e s’arza – il ballo dell’argia« [› Rezension]), die Sonne bricht hervor, der Regen hört auf, alles wird gut. – In der letzten Episode (Winter / Alter) verbringt ein einsamer Alter seine letzte Nacht mit einer unkomplizierten Prostituierten (sie singen und musizieren gemeinsam), ehe er in einer melodramatischen Prozession aus dem Leben geleitet wird.
Der Titel des Films bezeichnet eine Variante der typischen sardischen Rundtänze, bei denen sich die gesamte Tanzgruppe kreisförmig hüpfend zum Rhythmus des Akkordeons oder der launeddas bewegt und bestimmte Choreografien ausführt.
An »Ballo a tre passi« kann man manches kritisieren: Der Film erzählt keine richtige Geschichte, wirkt artifiziell, ist inhomogen strukturiert und führt ein inzwischen als veraltet angesehenes Sardinienbild fort, das die Entwicklung der Insel ignoriert. Aber er lässt das filmische Talent des Regisseurs erkennen, das er in »Bellas mariposas« [› Rezension] entfaltet: die ruhige Kameraführung, die Gestaltung anrührender Szenen, die frontalen Großaufnahmen, um den Protagonisten ganz nahe zu kommen.
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