Vom Scheitern zwischen Gestern und Heute
Der neunzehnjährige Emilio aus Rimini, noch sorglos und etwas naiv, absolviert in Rom seine einjährige Ausbildung bei der stolzen Truppe der Carabinieri. Sie ist von militärischer Strenge und zielt auf Disziplin und Verantwortungsbewusstsein. Emilio freundet sich mit dem Sarden Costantino an, einem ernsten, schweigsamen jungen Mann, erheblich reifer und nachdenklicher als seine Altersgenossen. Nach Abschluss der Ausbildung wird Emilio – Ironie des Schicksals – nach Sardinien abgeordnet, in das (fiktive) Städtchen Coloras in der Barbagia. Er verspricht sich von dieser »destinazione« geradezu eine Art Urlaubsaufenthalt, doch schon der Ortsname täuscht: Das sardische Wort »Coloras« hat nichts mit Farben zu tun, sondern bedeutet »Schlangen« … Die Umständlichkeit der Reise dorthin signalisiert, dass es in eine andere Welt geht.
In Coloras wird Emilio einer Aufklärungseinheit zugewiesen, die gegen die üblichen Viehdiebstähle vorgehen soll. Bei einem solchen Verbrechen töten die beiden Diebe einen Hirten, dessen kleiner Sohn Efisio in seinem Versteck Augenzeuge wird. Beim Begräbnis seines Vaters erkennt er einen der beiden Mörder, Francesco Cortes, wieder (was einer der Carabinieri bemerkt), behält das furchtbare Geheimnis aber für sich. Unter der Belastung seines Gewissens verstummt und verstockt er.
Die Carabinieri versuchen, ihren Hauptverdächtigen Francesco Cortes zu fassen zu bekommen, und auch seine Mutter setzt ihn unter Druck. Schließlich flüchtet er mit Hilfe von Komplizen in eine Höhle in den Bergen.
Inzwischen verliebt sich Emilio in Giacomina, ein Mädchen aus dem Dorf. Wegen des Misstrauens der Menschen gegen alle Fremden und die staatliche Polizei im Besonderen können sie sich aber nur insgeheim treffen. Doch in Coloras bleibt nichts verborgen, und Giacomina entgeht nicht der Ächtung.
Endlich deutet Efisio seiner Mutter an, was er weiß, und gegen alle Gebote der omertà öffnet sie sich den Carabinieri, damit der Mörder ihres Mannes verurteilt werden kann. Aber es bekommt ihr schlecht, obwohl die Polizei ihr Schutz garantiert hat. Denn Francesco Cortes wird zwar (dank Emilios tapferen und bedachten Einsatzes) gefangen und vor Gericht gestellt, doch, weil das Kind nicht als zuverlässiger Zeuge anerkannt wird, freigesprochen: In dubio pro reo.
Nun bricht alles zusammen. Emilio verliert seinen Glauben an die Gerechtigkeit und den Sinn seiner Arbeit. Giacominas Eltern unterbinden ihre Beziehung zu dem Carabiniere, nachdem sie öffentlich geworden ist. Efisio und seine Familie sehen sich im Dorf als Verräter ausgegrenzt und bedroht. Francesco Cortes und seine Kumpane fühlen sich sicher genug, um gnadenlos Rache zu üben.
Das Ende ist für Coloras (stellvertretend für das sardische Inland?) deprimierend: Emilio lässt sich zu einer neuen »destinazione« versetzen, und sein Freund Costantino erklärt ihm resignierend: »Noi siamo fatti così. Siamo un popolo di servi.«
Piero Sannas ruhiger, rationaler Film (in Mamoiada und Benetutti bei Nuoro gedreht) lässt Zeit zum Schauen, Zuhören und Nachdenken. Es gelingt ihm überzeugend, ein Sardinienbild zu entwickeln, das moderne Zeiten und alte Überzeugungen und Traditionen glaubhaft vereint. Unter sich spricht man Dialekt (italienisch untertitelt), man hegt immer noch Ressentiments gegen die italienischen Behörden, als wären sie eine feindliche Besatzungsmacht, die Frauen tragen alltäglich schwarze Kleider und Kopftücher, und in den Bergen leben die Hirten mit ihren Schafherden und machen einander wie eh und je das Leben schwer. Aber niemand heroisiert sie mehr; die Mütter und Väter nehmen die Taten ihrer wilden Söhne nicht einmal stillschweigend hin, sondern missbilligen sie mit Blicken und Gesten.
Ein deutlicher Schwerpunkt des Films liegt auf Ausbildung, Arbeit und Ethos der tüchtigen Carabinieri; man könnte ihn geradezu als Werbefilm für die stolze Arma dei Carabinieri einsetzen (deren Ursprünge im Übrigen aufs Engste mit Sardinien verwoben sind).
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