Mitgefangen, mitgehangen
Der Schafhirte Michele, ehrlich, aber überschuldet und glücklos, wird beschuldigt, an einem Schweinediebstahl beteiligt gewesen zu sein. In Wirklichkeit wollte er mit den fünf Banditen, als diese ihn aufsuchten, ausdrücklich nichts zu tun haben. Doch da man die Tiere bei ihm findet und er nichts über die banditi zu verraten bereit ist, bleiben die carabinieri bei ihrer Behauptung. Micheles Lage verschlechtert sich dramatisch, nachdem die Viehdiebe einen carabiniere erschießen – nun gilt auch er als Polizistenmörder. Er sieht keinen anderen Ausweg, als mit seiner Schafherde und seinem Bruder in die Berge zu fliehen. In der lebensfeindlichen Umgebung verliert er jedoch alle seine Tiere. In seiner Verzweiflung stiehlt er jetzt die Herde eines anderen Hirten, wird also tatsächlich zum Banditen – und Teil einer unglückseligen, scheinbar unausweichlichen Kettenreaktion, die den banditismo stärkt.
Dies ist wahrscheinlich der berühmteste Film, der je in Sardinien gedreht wurde, obendrein eines der wortkargsten, wildesten, dunkelsten Dramen aus einer wahrhaft anderen, archaischen Welt, die als mysteriös und undurchdringlich dargestellt wird.
Fesselnd ist das Werk von Anfang an. Einem atemberaubenden Panorama des Supramonte folgen Szenen wie aus einem Dokumentarfilm: Wir schauen den Hirten bei ihrem einsamen, kargen Leben in der ungezähmten Natur zu, wie sie im dichten Wald der Barbagia jagen, auf den Weiden hoch oben ihre Herde bewachen, die Tiere über gefährliche, steile Pfade und Bergspitzen führen, untereinander Handel treiben, leicht in Streit geraten. Oft sehen sie tagelang keinen anderen Menschen. Fern der geordneten Zivilisation ist es leicht, ihre Tiere auf fremdem Land weiden zu lassen, einige aus des Nachbars Herde mitzunehmen, aber auch solcher Übergriffe beschuldigt zu werden.
Die Männer erscheinen leicht als primitiv und barbarisch, folgen sie doch wilden Instinkten und lassen extremen Gefühlen ihren Lauf. Dem stehen Tugenden wie Genügsamkeit, Gastfreundschaft und Aufrichtigkeit gegenüber. Die kleinsten Zeichen in der Natur richtig zu deuten, sich den wechselnden Jahreszeiten anzupassen, mit ihren Ressourcen klug zu haushalten ist lebenswichtig für sie, denn Nachsicht oder Trost können sie nirgends erwarten. Sie sind prototypische Kämpfer, die stolz und rebellisch ihre Freiräume verteidigen.
Im Gegensatz zu anderer Streifen dieser Art wurde De Setas Film von der sardischen Bevölkerung gut aufgenommen; man schätzte es, dass der Regisseur sich in seiner Darstellung jeder Verurteilung enthielt und damit das, was als sardischer Nationalcharakter aufgefasst wurde, der Welt ernsthaft und zutreffend vorführte.
Vittorio De Seta stützte sich bei der Konzipierung seines Films (dem zwei Dokumentarfilme über Hirten in der Barbagia vorausgingen) auf die Forschungsergebnisse von Franco Cagnetta (1926-1999), der seit 1952 die sozialen Verhältnisse um Orgosolo auf innovative Weise vor Ort studiert und mit modernen Mitteln (Film, Fotos, Tonaufzeichnungen) dokumentiert hatte. Cagnetta hatte seine anthropologischen und ethnologischen Erkenntnisse zur Lebensweise der Hirten und zu ihrer Kultur, zu Fehden, vendetta und banditismo in mehreren Aufsätzen publiziert, die zum Teil politisch inopportun waren; deswegen erschien die Sammelausgabe 1963 in Frankreich, 1964 in Deutschland (Franco Cagnetta: »Die Banditen von Orgosolo: Porträt eines sardischen Dorfes« ) und erst 1975 in Italien (Franco Cagnetta: »Banditi a Orgosolo« ).
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