Bald sind wir wieder ganz normal
Das Thema Lebenspartner – und Männer überhaupt – hat die 36-jährige Judith ad acta gelegt. Kennst du einen, dann kennst du sie alle, so lautet die Schlussfolgerung aus ihren bisherigen Erfahrungen.
Doch an diesem Gründonnerstag ändert sich alles in ihrem Leben. Da latscht ihr doch in der unerträglichen Fülle an der Käsetheke des Supermarktes ein Mann auf die Hacken. Dann steht er neben ihr in der Kassenschlange. Kein markanter, auffälliger Traumtyp – später wird sie sich nur noch an seine geschickten, geschmeidigen Hände erinnern, mit denen er seine Einkäufe auf dem Förderband drapiert, darunter eine riesige gelbe Bananenstaude. Sicher ist er ein fürsorglicher Familienvater, der im Haushalt zufasst.
Vor drei Jahren hat Judith das Lampengeschäft übernommen, nachdem ihre mittlerweile getrennt lebenden Eltern es heruntergewirtschaftet hatten. Unter Mitwirkung der 16-jährigen Bianca, die stundenlang vorm Spiegel stehen kann, läuft der Verkauf langsam, aber beständig wieder an.
Als Bianca der Chefin im Hinterzimmer meldet, dass da ein Mann für sie sei, sieht sie den Bananenmann aus dem Supermarkt wieder; er habe in der Nachbarschaft sein Architekturbüro und wolle nur mal "Guten Tag" sagen. Vielleicht treffe man sich mal wieder ... Kaum ist er gegangen, hat Bianca die Sache schon durchschaut und kommentiert fachkundig: "Chefin, der steht volle auf Sie."
Schon bald schlägt das Schicksal erneut zu. Judiths Freund Gerd hat zu einer großen Geburtstagsparty in die Phoenix-Bar geladen – und wer betritt die Kneipe? Der Bananenmann in Begleitung zweier Damen. Er stellt sich Judith vor: Hannes Berg- •oder war es Burg-?) -meier •-hofer? ...), 42 Jahre alt, ledig. Bevor Judith zur Party zurückkehrt, ergreift Hannes die Gelegenheit beim Schopf, sich zu einem Kaffee zu verabreden – eine Zielstrebigkeit, die nach Judiths Empfinden viel zu früh kommt.
Hannes ist nicht wirklich Judiths Märchenprinz, aber irgend etwas hat er an sich; er ist ganz anders als alles bisher Dagewesene, ein Mann im drittbesten Alter, eher langweilig, aber aufrichtig, ja entwaffnend ehrlich, und mit einem strahlenden Gebiss im Munde. Und welch außergewöhnliche Liebesmetapher bringt er über seine Lippen: Er sei schon beim ersten Blick "von den Socken" gewesen. Judith sei umwerfend, findet er. Verliebt ist Judith nicht, aber so hofiert zu werden genießt sie in vollen Zügen.
Langsam und sehr behutsam wird die Beziehung enger, wenngleich Judith das eigentlich gar nicht so recht will. Als sie Hannes ihren Eltern und dem Freundeskreis vorstellt, sind alle begeistert. Hannes sei ein echter Lottogewinn.
Nun trifft man sich täglich, schickt einander SMS oder telefoniert, Rosen liegen vor der Tür, und Hannes schläft fast jede Nacht bei Judith.
Unter diesem Gefühlsüberschwang droht Judith zu ersticken; sie braucht ein bisschen Abstand. Hannes zieht sich brav zurück, doch muss er ihr täglich beweisen, wie sehr er sie liebt – nicht ohne sich dabei zu vergewissern, dass auch Judith auf Dauer nicht ohne ihn leben kann.
Doch Judith kann das nicht nur – sie möchte das schließlich auch lieber. Aber sie wird ihn einfach nicht los. Will oder kann er es nicht verstehen, dass sie Schluss machen will? Verständnis für ihren Wunsch findet sie ohnehin bei niemandem – im Gegenteil: Alle verurteilen ihren kaltherzigen, gemeinen Abgang. Hannes liebe sie doch nur; das sei doch nicht verwerflich. Wenigstens bei Bianca und deren Freund Basti findet sie Verständnis und erhält praktische Tipps. Doch ehe die Rettung naht, muss Judith noch die Hölle durchleben ...
Daniel Glattauers Roman "Ewig Dein" habe ich verschlungen. Schon die ersten Textpassagen – "Er" und "Sie" im lockeren Dialog im Supermarkt – haben mir sprachlich so gut gefallen, dass ich mir sicher war, das Buch erst mit dem letzten Wort wieder zur Seite legen zu können.
Ich verspreche Ihnen nicht zu viel: Ihnen wird es genauso ergehen! Unverbraucht, witzig, spritzig, modern, frech und frisch führt uns der Autor durch einen psychologischen Roman, bei dem ich mich wie auf einer immer schneller werdenden Treibjagd fühlte. Mich hat beeindruckt, mit welcher Reife, wie wissenschaftlich stimmig und glaubwürdig Glattauer seine Protagonistin Judith von einer selbstsicheren, eigenständigen Geschäftsfrau in eine gänzlich Fremde transformiert •Näheres will ich nicht verraten ...), und es hat mich schockiert, welche Mechanismen so einen Prozess auslösen können.
Glattauer erschafft zwei Menschen, deren Psychogramme so eng miteinander verwoben sind, dass es schier keinen Ausweg mehr gibt. Dabei quält den Leser immer wieder die Frage, wer Hannes eigentlich ist. Ist seine obsessive Liebe, die Judith in den Wahnsinn treibt, krankhaft? Ist er ein gefährlicher Stalker? Oder tut man ihm womöglich unrecht, liegt man mit seinen Befürchtungen restlos falsch, und ist es vielmehr Judith, die unbegründete Ängste und hyperneurotische Wahnvorstellungen pflegt? Beurteilen nicht auch alle Außenstehenden Hannes als völlig harmlos, und hat er sich nicht letztendlich, ganz ihrem Wunsch entsprechend, von Judith distanziert?
Der Autor gibt den psychischen Druck seiner Figuren an uns weiter, und so rotieren wir wie sie in einer sich immer schneller drehenden Spirale abwärts, im Sog eines dunklen Tunnels, in dem die Anspannung einfach nicht nachlässt. Mir lief es beim Lesen heiß und kalt über den Rücken; zu gern hätte ich meinen Emotionen hier und da mit einem befreienden Aufschrei Raum geben wollen wie während einer Achterbahnfahrt ... Aber auch wenn man sich auf dem Wohnzimmersofa dann doch zusammenreißt: "Ewig Dein" wird mich wohl die nächste Zeit im Bann halten.
Übrigens: Besonders empfehlen möchte ich auch die Hörbuch-Version. Andrea Sawatzki hat die ideale Stimme für diese Psycho-Kost und gestaltet sie eindringlich.
Dieses Buch habe ich in die Liste meiner ganz privaten aktuellen Lesetipps aufgenommen.