Rezension zu »Leichtes Opfer« von Roger Smith

Leichtes Opfer

von


Thriller · Tropen · · Gebunden · 334 S. · ISBN 9783608501360
Sprache: de · Herkunft: us

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Wir stehen das durch

Rezension vom 04.09.2015 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Die Lanes haben guten Grund, sich um ihre Sicherheit zu sorgen. Kapstadt ist eine der ge­fähr­lichs­ten Städte der Welt, und der Reichtum der weißen Familie weckt Be­gehr­lich­kei­ten. Natürlich wohnen sie nicht in der Nähe der townships, sondern in New­lands, einem exklusiven Vorort an den Südhängen des Tafel­berges. Mauern und Hitech-Installationen rund um das noble Anwesen sollen Kriminelle fernhalten, ein privater Sicher­heits­dienst zeigt permanent abschreckende Präsenz.

Doch weit abscheulicher als die Gefahr, die von draußen droht, ist das Böse, das längst im Inneren resi­diert. Christopher, der acht­zehn­jäh­rige Sohn des Hauses, privilegiert und behütet aufgewachsen, von der Mutter verhätschelt, braucht keine Mauer zu überwinden, um in dieser heißen Weih­nacht eine junge Frau umzubringen. Ihr durchdringender Todesschrei reißt die Eltern aus ihrer lustvollen Zweisamkeit. Als sie die Tür zum Poolhaus öffnen, bietet sich ihnen ein Horrorszenario. Auf dem Körper der Frau sitzend, drischt Chris mit einer Zehn-Pfund-Hantel auf ihren Kopf ein. Von ihrem Gesicht zeugen nur noch herum­liegende Zahn­knochen­splitter und »eine breiige Masse aus ...« – der unappetitliche Rest sei Ihnen hier er­spart. Wer schon einen Thriller von Roger Smith gelesen hat, weiß, dass ihn gleich auf den ersten Seiten ein blutiges Gemetzel erwartet und weitere folgen werden. Doch welche Überraschung: Wenig später muss man anerkennen, dass dieser Autor durchaus anders schreiben kann. Nicht, dass sein neuester Krimi ohne Gewaltszenen auskommt, aber er ist wohltuend weniger brutal und wühlt den Leser dennoch nicht weniger auf.

Denn die Familie Lane ist ein lebendes Geflecht von Un­auf­rich­tig­keit und kalten Intrigen. Bevor Vater Michael die Polizei ver­stän­digt, hat die alerte Mutter Beverly bereits ein perfektes Lügengebäude konstru­iert, um ihren geliebten Chris vor dem Gefängnis zu bewahren. Zu­fälli­ger­weise war nämlich an diesem Abend auch Lynnie, der Sohn der schwarzen Haus­an­ge­stellten Denise, im Hause. Er brauchte mal wieder Geld für Drogen und hat, um seiner Mutter die Dringlichkeit besonders zu ver­deut­lichen, seine Fäuste sprechen lassen. Da bietet es sich doch an, ihm den Mord in die Schuhe zu schieben, etwa so: Lynnie sei im Poolhaus aufgetaucht, habe Chris zur Rede gestellt, ihn mit der Hantel bewusstlos geschlagen, und als Chris wieder aufwachte, hätten die Eltern im Raum gestanden und das Mädchen habe tot auf dem Boden hingestreckt gelegen ...

Beverlys Vorhaben ist umso infamer, als Lynnie und seine ein Jahr ältere Schwester Louise im Haushalt der Lanes aufgewachsen sind, zusammen mit Chris. Vor allem Michael hatte sich intensiv um die beiden vaterlosen farbigen Kinder von Denise gekümmert. Ihre Lebenswege drifteten bald auseinander. Während Louise, »beängstigend intelligent«, unbeirrt auf ihr Eng­lisch­studium an der Universität von Kapstadt los­mar­schierte und noch bei ihrer Mutter im Dienst­boten­cottage lebt, hat Lynnie die Schule ge­schmis­sen, ist eines Tages abgehauen und auf die schiefe Bahn geraten. Seine neuen Freunde aus der Cape-Flats-Gang wurden seine Vorbilder. Jetzt sind sie alle drogenabhängig und stehen auf Crystal-Meth (»Tik«).

Chris, ein stämmiger »Grobian«, war dem gleichaltrigen Gefährten Lynnie, schmächtig und schüchtern, schon immer überlegen. Einmal wäre Lynnie fast ertrunken, als Chris ihn in den Pool warf und unter Was­ser drückte, bis er fast erstickte. Heute ist Chris ein erfolgreicher Rugbyspieler, ein massiges, breit­schult­ri­ges Muskelpaket von 90 Kilogramm, durchtrainiert und mit jeder Menge Steroiden aufgeputscht. So ein Kleiderschrank soll von einem Bürschchen wie Lynnie, einem »Hänfling«, einem von der Sucht gezeich­neten »Schwächling«, »überrumpelt« worden sein?

Nicht nur Louise kann bei ihrer Rückkehr aus der Uni nicht fassen, was im Hause Lane geschehen ist – und dass ihr Bruder ein Mörder sein soll, kann sie erst recht nicht glauben. Auch Detective Gwen Perils vom Morddezernat, die Mutter Beverlys »be­rei­nig­te Version der Wahrheit« aufnimmt, ist keineswegs überzeugt von der Vorstellung, die die Lanes ihrem Ermittlerteam geboten haben. Trotzdem wird Lynnie verhaftet, sein »pub­licity­träch­tiger Fall« zügig abgearbeitet und das Urteil gesprochen: »schuldig«; 25 Jahre Haft ohne Bewährung. Louise ist machtlos. Sie kann nichts für ihren Bruder bewirken; selbst eine Kaution wurde abgelehnt.

Damit scheint für die Lanes alles wunschgemäß in trockenen Tüchern. Ihren früheren Schützling Lynnie, inzwischen nur noch der »kleine Tik-Süchtige«, der doch ohnehin »jetzt schon am Ende« war, haben sie »ganz einfach über die Klinge springen« lassen, damit ihr Sohn die Verantwortung für seine unmenschliche Tat nicht zu schultern braucht. Eine Spezial-Reini­gungs­firma hat alle physischen Spuren im Poolhaus be­seitigt. Von nun an gilt Beverlys Order: »Wir werden nie wieder darüber sprechen, Michael, hast du mich verstanden?«

Doch so einfach ist die Wahrheit nicht wegzudrücken. Das schlechte Gewissen nagt an Michael, und er empfindet sich als »jäm­mer­lichen Schwächling«. Seine Frau liebt er schon lange nicht mehr, und auch die Verbindungen mit Chris hat er schon vor Jahren verloren. Wenigstens Louise möchte er wieder mit An­stand ins Gesicht sehen können. So hadert er mit sich und weiß doch, dass ihm gar keine Wahl bleibt: Seit er nach einem tödlichen Unfall Fahrerflucht beging, hat Beverly ihn fest in der Hand.

Bevor Michaels Befürchtungen, eines Tages werde alles »auffliegen«, Lyndall ein entlastendes »Alibi lie­fern« oder ihr un­be­rechen­­barer Sohn, »die tickende Zeitbombe«, wieder mal jemanden zu­sam­men­schlagen, Wirklichkeit werden, löst sich das Problem sozusagen von selbst. Lynnie wird gar nicht erst in den Nor­malvollzug verlegt. Schon im Zellentrakt für Unter­suchungs­häftlinge bringt man ihn um, und zwar auf bes­tialische Weise – die un­appetit­lichen Details seien Ihnen hier erspart ...

Damit ist die Handlung keineswegs komplett verraten. Roger Smiths Roman legt hier eigentlich erst richtig los. Aus regelmäßig wechselnder Perspektive (Louise/Michael) wird in präziser, sachlicher Sprache ganz unaufgeregt erzählt, wie die Dinge im gleichen Maß ihren Lauf nehmen, bis sie in einer völlig unerwarteten Aktion zu einem unglaublichen, atem­berau­benden Show­down kulminieren.

Zunächst ist Louise am Boden zerstört. Dass ihr Bruder unschuldig verurteilt und dann auf grausamste Weise ermordet wurde, hat ihr jeden Lebenswillen geraubt. Am meisten macht ihr zu schaffen, dass Michael, ihr stets geschätzter Ersatzvater und der einzige anständige Charakter in der Familie Lane, die Wahrheit noch immer zurückhält. Dann trifft sie zum ersten Mal im Leben ihren leiblichen Vater Achmat (ein Schwer­ver­brecher aus den übelsten Slums) und hört seine Strategie: »Gesetz ist Gesetz, und das Ge­setz ist alles, was wir haben. [...] Lass ihn leiden [...] lass ihn leben und töte das, was er am meisten liebt.«

Als Louise Michael auf tragische Weise schließlich da hat, wo sie ihn haben will – in der »Hölle« –, begegnen sie einander zum ersten Mal auf Augen­höhe. »Endlich hat sie seine volle Auf­merk­sam­keit«, ist der Schluss­satz die­ses faszinie­renden Thrillers. Jeder der Täter des Dreier­bundes wird im Hand­lungs­ver­lauf zu einem Ver­sehr­ten, Chris phy­sisch und psy­chisch zugleich. Am Ende des Romans haben alle drei verloren, was ihnen im Leben etwas bedeutet hat. Aus Tätern wurden Opfer.

Roger Smiths Roman »Sacrifices«, den Klaus Timmermann und Ulrike Wasel übersetzt haben, spielt Jahre nach dem Ende der Apartheid. Doch die Trennung zwischen Schwarzen und Weißen besteht kaum ver­mindert weiter, wie das Beispiel Louise zeigt. Dank Michaels Förderung hat sie eine Aufstiegschance. Sie hat ihr Afrikaans abgelegt, das triste Farbigen-Milieu hinter sich gelassen und darf als Akademikerin auf eine gut bezahlte Stelle hoffen. Aber niemals wird sie von der weißen Elite als Gleich­wertige akzeptiert werden. Keine Grenzen gibt es bei der hemmungslosen Gewaltausübung, und auch Gut und Böse unter­scheiden sich nicht nach der Hautfarbe.

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Sommer 2015 aufgenommen.


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