Rezension zu »Totenfang« von Simon Beckett

Totenfang

von


Kriminalroman · Wunderlich · · Gebunden · 560 S. · ISBN 9783805250016
Sprache: de · Herkunft: gb

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Angeln in dunklen Gewässern

Rezension vom 08.12.2016 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Dr. David Hunters tägliches Brot ist unappetitlich. »Ich war mit dem Tod in all seinen grausigen Facetten bestens vertraut, sprach die Sprache von Knochen, Fäulnis und Verwesung fließend«, sagt er selbst. Als foren­sischer Anthro­pologe ist er eine Koryphäe und teilt sein Wissen nicht nur mit der Polizei, wenn die und die Rechts­medizin nicht mehr weiter weiß, sondern auch gern mit uns, den Lesern der bislang fünf Bände um­fassen­den Reihe über seine Fälle (»Die Chemie des Todes« Simon Beckett: »Die Chemie des Todes« bei Amazon , »Kalte Asche« Simon Beckett: »Kalte Asche« bei Amazon , »Leichen­blässe« Simon Beckett: »Leichenblässe« bei Amazon , »Ver­wesung« [› Rezension], »Toten­fang«). Dass viele sein Treiben abscheu­lich finden, ist ihm klar. Aber Emotio­nen müssen draußen bleiben, wenn er sich mit streng wissen­schaft­licher Präzision an die Unter­suchung des Wenigen macht, das Zeit, Natur und mensch­liches Tun von einem Körper übrig gelassen haben.

Zur Einstimmung lernen wir anlässlich eines fünfhundert Jahre alten Mädchen­schädels aus den Mooren Nort­humber­lands (aktuell in einer Schachtel der Univer­sitäts­samm­lung unter­gebracht), wie sich ein Leich­nam im Wasser grund­sätzlich verhält. Ist die Luft erst einmal aus den Lungen ent­wichen, sinkt er auf den Grund hinab und bleibt dort, wenn das Wasser kalt ist. Herrschen da unten aber Tempe­raturen, die Bakte­rien als angenehm empfinden, machen sich die nütz­lichen kleinen Lebe­wesen an die Arbeit und zer­setzen die Leiche. Bei diesen Ver­wesungs­pro­zessen füllen Faulgase den Innen­raum, so dass der Körper wieder ans Tages­licht empor­steigt und eine Zeitlang an der Wasser­ober­fläche treibt – bäuch­lings, denn Finger, Hände und Füße, Arme und Beine zieht es dank der Schwer­kraft in die Tiefe. Sie lösen sich Stück für Stück ab, zuletzt der Kopf, dann sinkt der gasfreie Torso wieder hinab. Parallel dazu ist die Fett­schicht unter der Haut zer­fallen und zu einem dicken, fettigen Mantel mutiert, der das Körper­innere schützt. Diese Substanz nennt sich Leichen­wachs, Adipo­cire oder ganz banal »Seife«.

Aktuell ist Dr. David Hunter allerdings angeschlagen, seelisch und beruflich. Seit er seine Frau und seine Tochter bei einem Auto­unfall verlor, ist er in eine kleine Miet­wohnung in den Außen­bezirken Londons gezogen, wo er allein lebt und seine sozialen Kontakte vernach­lässigt. Und nachdem er im letzten Herbst an einer skandal­um­witter­ten Ermitt­lung beteiligt war, bei der zwei Polizisten zu Tode kamen und in deren Folge ein Beamter den Dienst quittie­ren musste, wird er, obwohl ihn keine Schuld trifft, bald seine Anstel­lung an der Uni verlieren. Auch bei Mord­fällen wird man ihn wohl vorerst nicht mehr zu Rate ziehen.

Umso überraschender trifft ihn die Einladung von DI Bob Lundy, bei der Bergung einer Wasser­leiche in den unwirt­lichen Küsten­marschen von Essex zu helfen. Wo früher die Austern­fischerei das Leben der wenigen Bewohner bestimmte, herrscht heute nur noch Ödnis. Leicht verliert man hier die Orien­tierung, schnell über­schwemmt die herein­drän­gende Flut die wenigen befes­tigten Wege. Weiter draußen, in den stürmi­schen Gewäs­sern der Barrows, den Sand­bänken des Mün­dungs­gebietes, wo die Leiche gesich­tet wurde, beginnt jetzt ein »Wett­lauf mit dem Wasser«, denn der den Ge­zeiten ausge­setzte Körper könnte (wie wir wissen) schon vor der Bergung in Einzel­teile aus­einan­der­fallen und wäre dann ein für alle Mal verloren.

Unter Hunters Mitwirkung gelingt die Bergung des Leichnams. Tatsäch­lich sind Hände und Füße bereits abge­fallen, ist der männ­liche Tote bis zur Un­kennt­lich­keit ver­ändert. Doch anhand seines Mantels und seiner Uhr kann man ihn leicht identi­fizieren: Es ist Leo Villiers, 31, einziges Kind des wohl­haben­den Sir Stephen Villiers, wegen seines losen Lebens­wandels »schwarzes Schaf« der Familie und schon seit einem Monat vermisst.

Damit ist der Fall abgeschlossen, und man könnte eigent­lich ins Wochen­ende starten. In Wirk­lich­keit be­gin­nen jetzt erst die Kom­plika­tionen. Hunter hat sich auf See ordent­lich erkältet, sein Auto säuft in einer über­schwemm­ten Mulde ab, und auf der Suche nach Hilfe und einer Bleibe trifft er auf eine merk­würdige Familie: Andrew Trask, seine beiden Kinder und seine attrak­tive Schwä­gerin Rachel begegnen ihm alle­samt abwei­send. Trasks Frau Emma Darby (Rachels Schwester und eine glamou­röse Foto­grafin) hatte mindestens geschäft­liche, wenn nicht private Bezie­hun­gen mit Leo Villiers, bis sie vor Mona­ten nach einer laut­starken Aus­ein­ander­setzung mit ihm spurlos verschwand. Weder Andrew Trask noch Leo Villiers konnte irgend eine Schuld an Emmas Ver­schwin­den nach­gewie­sen werden – womit auch dieser Fall für die Polizei ad acta gelegt werden konnte.

Je länger Hunter hier verweilt, desto mysteriöser erscheinen ihm die Dinge, die er beob­achtet, erlebt und zuge­tragen bekommt. Fast über­fährt er einen alten ver­wirrten Mann mit einer Möwe in den Armen. Seine Tochter, so hört er, ver­schwand vor über zwanzig Jahren. Schließlich angelt Hunter einen Turnschuh nebst Fuß­gelenk­knochen und -knor­peln aus dem Treib­gut im Fluss­bett.

Mit Cliffhangern wie diesen hält Simon Beckett seine Leser bei Laune, dosiert seine Knüller­chen aber sparsam. Nach ein­hundert­fünfzig Seiten sind wir im Kriminal­fall nicht wesent­lich voran­ge­kom­men und haben bis zum nächs­ten auf­regenden Ereignis gut vierzig weitere Seiten vor uns. Dann vermisst Trask sein Töchter­chen Fay ...

»The Restless Dead« Simon Beckett: »The Restless Dead« bei Amazon (übersetzt von Sabine Längsfeld und Karen Witthuhn) ist trotz der schaurigen Pro­fession seines Prota­gonis­ten kein Thriller, der unsere Blut­gefäße gefrie­ren lässt, sondern eher ein unter­halt­samer Roman, dessen fort­laufen­der Hand­lungs­strang immer mal wieder mit krimi­nellen Elementen ange­reichert ist (und zum Ende hin ziemlich konfus wird). Trotzdem gelingt es dem Autor, eine Span­nung aufzu­bauen, die den Leser ans Buch fesselt. Minutiös schildert Beckett die Land­schaft, die Atmos­phäre der Schau­plätze, den Tages­ablauf seines Helden, der sich mit Appetit­losig­keit, Fieber und anderen Malaisen quälen muss. Manches davon ist banaler Füllstoff zwischen den Er­kennt­nis­sen, die schließ­lich zur Lösung aller Rätsel beitragen. Am Ende ist ein ganzer Berg schmut­ziger Wäsche, der sich in einer Familie über viele Jahre ange­häuft hat, gewaschen (wenn auch nicht ganz rück­stands­frei), und wir haben eine auf­schluss­reiche foren­sische Fort­bildung genossen.


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