
Sonos ‘e memoria
von Gianfranco Cabiddu
Schwarz-weiße Alltagsszenen aus dem Sardinien der Dreißiger- bis Fünfzigerjahre. Dazu Jazz sardischer Musiker unter Leitung von Paolo Fresu. Ein Buch berichtet davon und fügt Erzählungen moderner sardischer Autoren hinzu.
Sardinien in alten Filmbildern, moderner Musik und aktuellen Geschichten
Was hier rezensiert wird, ist nicht ganz einfach zu definieren, denn es ist ein Multimedia-Kunstwerk. Die Grundlage bilden Dokumentaraufnahmen aus dem Alltag einfacher Menschen auf der Insel Sardinien aus den Dreißiger- bis Fünfzigerjahren. Sie schlummerten im nationalen italienischen Filminstitut »Luce« und waren noch nie veröffentlicht worden.
Bei den vorbereitenden Recherchen für seinen Film »Il figlio di Bakunin« (1997) stieß der sardische Filmregisseur und Musikethnologe Gianfranco Cabiddu im Istituto Luce auf das Material und war fasziniert davon, wie ungekünstelt und ohne Scheu die Menschen jener Jahre vor der Kamera agierten, von ihren offenen Gesichtern, die eine anrührende, unbewusste Reinheit erkennen ließen, und von der verschwundenen Welt, aus der sie zu uns herüberschauten. 1995 stellte Cabiddu daraus den Kurzfilm »Sonos ‘e memoria« zusammen, der schon für sich betrachtet ein sehenswertes Ereignis ist – eine Reise in die Erinnerung Sardiniens, in abgeschiedene Gebirgslandschaften und Dörfer, auf das Meer, in Steinbrüche und Bergwerke. Er zeigt Männer und Frauen bei der harten Arbeit auf den Feldern, bei ihrem Handwerk und ihr Leben in der Gemeinschaft. Wir sehen den Einzug robuster Maschinen ebenso wie prächtige Trachten, eigentümliche Traditionen und Tänze, Rituale und Feste wie die Karwoche in Santu Lussurgiu, die Prozession zu Sant’Efisio in Cagliari, das atemberaubende Pferderennen »Ardia« in Sedilo.
Doch Cabiddu schwebte noch mehr vor. Den stummen Schwarz-Weiß-Bildern sollten verwandte Szenen aus dem heutigen Leben sowie eine Musik beigefügt werden, die ihnen Leben einhaucht und eine Seele verleiht. Sie sollte Modernität mit traditionellen, archaischen Elementen verknüpfen und aus den Herzen sardischer Musiker im Anblick der Filmszenen entstehen. Die Federführung übernahm der international bekannte Trompeter Paolo Fresu, der wie kein anderer Jazz, Poesie und sardische Atmosphäre auszudrücken vermag. Je nach Ort, Anlass und Stimmung kommen weitere bekannte Musiker wie Mauro Palmas, markante Soloinstrumente wie Cello, Kontrabass und Schlagzeug sowie einheimische Chöre und Launeddaspieler zum Zuge.
auf unserer YouTube-Playlist)

Die Verknüpfung alter und neuer Bilder mit der Musik bewirkt, dass »Sonos ‘e memoria« kein nostalgisch-romantisierender Film ist, sondern zeitübergreifende Zeugnisse sardischer Identität aus alten und neuen Tagen verbindet. Die Aktualisierung wurde noch intensiviert, indem das Spektakel aus Film und Live-Musik mehrfach an verschiedenen Orten vor begeistertem Publikum aufgeführt wurde. Im Jahr 2005 kandidierte Cabiddus Opus als bester Dokumentarfilm für den David di Donatello.
Zugänglich ist dieses Gesamtkunstwerk (oder zumindest Teile davon) heute in folgenden Ausgaben:
Dokumentarfilm mit Musik

• Den Dokumentarfilm »Sonos ‘e memoria« mit der von Paolo Fresu arrangierten Musik können Sie bei YouTube finden, solange die Plattform das zulässt:
»Sonos ‘e memoria« auf unserer YouTube-Playlist suchen
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• Die originale Musik-CD gibt es beispielsweise bei Actmusic oder bei Amazon.
• Die komplette und schönste Ausgabe ist eine Kombination aus Original-DVD und Buch: »Passaggi di tempo. Il viaggio di Sonos ‘e memoria« aus dem Verlag Fandango Libri. Das Buch bereichert, vervollständigt und aktualisiert das Film-und-Musik-Projekt der DVD, indem es Geschichten von einigen der besten zeitgenössischen sardischen Schriftsteller hinzufügt (Francesco Abate, Giulio Angioni, Alberto Capitta, Giovanni Carta, Marcello Fois, Maria Giacobbe, Salvatore Mannuzzu, Luciano Marrocu, Michela Murgia, Giorgio Todde, Bruno Tognolini).