Rezension zu »Leiser Tod« von Garry Disher

Leiser Tod

von


Personal und Geld sind Mangelware im Waterloo-Kommissariat, Melbourne. Aber DI Hal Challis macht aus dem Wenigen das Beste. Provokante Sprayer im Wohlstandsviertel, eine agile Leiche und ein Mörder, ein serieller Bankräuber und die Großmeisterin des Einbruchs – alle müssen sich warm anziehen.
Kriminalroman · Unionsverlag · · 352 S. · ISBN 9783293005280
Sprache: de · Herkunft: au

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So muss er sein

Rezension vom 22.05.2018 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

So sollte ein Kommissar sein: unbestechlich, anständig, gewissenhaft, standfest, moralisch gefestigt. Detective Inspector Hal Challis ist so ein Muster­exemp­lar. Die Pflicht­erfül­lung in seiner Einheit, der Water­loo Crimes Investi­gation Unit (CIU), geht ihm über alles. Er hat keine Marotten, keine Süchte, lässt sich nicht kor­rumpie­ren und tritt seinen Leuten gegen­über nicht als Besser­wisser auf. Nur eins bedeutet ihm mehr als sein Dienst: Ellen Destry, in die er sich heftig verliebt hat. Schade nur, dass sie ausgerechnet jetzt für acht Wochen zu einem Erfah­rungs­austausch nach Europa fliegen muss.

Garry Dishers neuester Kriminalroman »Leiser Tod« ist eine fein ziselierte litera­rische Leistung, präzise und detail­reich auf allen Ebenen – von der Handlung, die die ganz normale Alltags­arbeit der Polizei darstellt, über einen spannen­den und schlüssi­gen Kriminal­plot, die Personen­zeichnung der Protago­nisten und des Teams, in dem jeder sein privates Päckchen zu tragen hat, bis zur sprach­lichen Gestal­tung, für deren perfekte Umset­zung im Deutschen der bewährte Fachmann Peter Torberg ver­antwort­lich zeichnet.

Ein Grundmotiv, das den Roman durchzieht, ist die haarsträu­bende personelle und sachliche Ausstat­tung der Polizei von Melbourne. Sie bietet Anlässe für teilweise komische Szenen. Denn Challis’ Einheit hat nur einen einzi­gen Streifen­wagen zur Verfügung, sie ist personell massiv unterbe­setzt, ihre Computer­systeme stammen aus dem letzten Jahrhun­dert, und damit sind sie eigent­lich nur in der Lage, Akten abzuheften, nicht aber, sich mit Verbrechern anzulegen.

Gleichzeitig fordern gerade die besseren Kreise, dass endlich stärker durch­gegrif­fen wird, etwa gegen die noch immer nicht identifi­zierte Truppe, die ihre Anwesen auf der feinen Morning­ton-Halb­insel im Südosten der Stadt mit hässlichen Schmiere­reien und unver­schäm­ten Parolen verun­staltet (»Hier wohnt ein Proll mit Geld«). Dank guter Vernet­zung weiß man hier aber den Hebel an der richtigen Stelle anzuset­zen, nämlich direkt beim örtlichen Abgeord­neten. Der gibt den Druck nach unten weiter – Inspector Hal Challis soll sich mal kümmern –, und dem bleibt nur, ihn weiter­zurei­chen an Kollegin Pam Murphy. Die wiederum wimmelt umgehend ab: Challis »geruhe wohl zu scherzen, wenn er diese Leute für Opfer halten würde«; mit solchen Lappalien sollten »die über­strapa­zierten Polizei­kräfte« ihre Zeit nicht verschwenden.

Denn grade jetzt wurde ein Leichenfund gemeldet. Als Pam und ihr Kollege Scobie Sutton an der Lichtung eintreffen, wo der Zeuge die Tote gesehen haben will, ist die aller­dings verschwunden. Wenig später taucht sie im Ort auf und erweist sich als leben­dige, aber verängs­tigte junge Frau, die sich, nachdem sie vergewal­tigt worden war, durchs Buschland in die Stadt durch­geschla­gen hat. Ihr Missetäter, sagt sie, trug Uniform.

Und dann ist da noch der Bankräuber, der durch den Outback heran zieht. Pam berät die Direk­toren der örtlichen Banken und bittet sie, Sicherheits­vorkeh­rungen zu treffen. Nicht jeder nimmt ihre Warnungen ernst genug.

Eine weitere VIP der Verbrechensszene ist Grace, die »Einbruchs­königin«. Ihre Meister­schaft verdankt sie einem Ex-Polizisten, der sie als Siebzehn­jährige anlernte, vernetzte und verprügelte. Seit zwei Jahren arbeitet sie auf eigene Rechnung, aller­dings in ständiger Furcht vor ihrem Mentor, der sie nur allzu gern wieder an die Leine nehmen würde. Wie klug und diszipli­niert sie vorgeht, beschreibt der Autor äußerst überzeu­gend – das sind Seiten, die man mit größtem Interesse verschlingt. Doch leider hat sie ihre Spiel­sucht nicht so perfekt im Griff wie ihren Job.

In dieser Konfiguration, die bald durch eine wirklich tote Frauen­leiche bereichert wird, steht das bejam­merns­werte Kommis­sariat der Waterloo Police auf verlore­nem Posten. Dass der Chef Kopier­papier, Batterien für Kameras und derlei Arbeits­materia­lien mittler­weile wie selbst­verständ­lich aus dem eigenen Geld­beutel bezahlt und die Mobilität seiner Leute mit seinem alten Schrott­haufen von Privat­wagen aufrecht erhält, wurmt ihn schon lange. Auf die provo­kante Bemerkung eines Journa­listen hin platzt dem engagierten Teamleiter der Kragen, und er feuert eine Tirade gegen die Verant­wortli­chen ab, auf die sich die Medien stürzen. Der Preis, den er dafür bezahlen muss, ist hoch.

Garry Disher beschreibt die Aktivitäten der nimmer­müden kleinen Polizei­einheit auf eindring­liche Weise. Bis an ihre Grenzen bemühen sie sich, für Recht und Ordnung zu sorgen. So zielt der Roman nicht auf reißerische Effekte, sondern vor allem auf atmosphä­rische Dichte. Es entsteht eine Art Zustands­bericht gesell­schaft­licher Verhält­nisse in Australien, die wenig zu tun haben mit den sonnigen Post­karten-Klischees, die europä­ische Touristen kultivie­ren. Kein Detail ist neben­sächlich, jedes Wort sitzt perfekt. Die Schau­plätze, die Charak­tere und ihre Psyche über­zeugen. Der Autor bindet den Leser, leitet ihn durch die unter­schied­lichs­ten Szenen und unab­hängig vonein­ander berich­teten kleinen und großen Verbrechen, die wie von selbst ineinander­fließen und schließlich durch eine zufällige Begeben­heit zu einem gemein­samen Handlungs­strang gebündelt und konsequent zu Ende geführt werden.

Genießen werden Sie beim Lesen die sprachliche Meister­schaft Garry Dishers – und seines kongenialen Übersetzers. Peter Torberg zaubert aus dem Original (»Whispering Death« 1616952962) deutsche Sätze, die süchtig machen nach mehr: »Die Häuser waren blasse Ziegel­bauten aus den Siebzigern, schweigend, enttäuscht, so als schämten sie sich für die Männer, die sie entworfen hatten.« – »Da war eine Frau, die Rosen kurz schnitt … Sie war eine schiere Ansamm­lung von Wider­sprüchen. Die Unterarme waren von Dornen zerkratzt … Gold und Edelsteine funkelten an ihren Fingern, Ohrläpp­chen und um den Hals, dazu ein Gesicht, das man in einer Loge in der Oper erwarten würde.« Und immer aufs Neue erfrischen Torbergs Schätzchen aus seinem umgangs­sprach­lichen Repertoire: »nicht mehr alle Murmeln beisammen«, »Dumpfbacke«, »Firlefanz«, »Spatzen­hirn«, »Pfriemelei«.

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Frühjahr 2018 aufgenommen.


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