Eva schläft
von Francesca Melandri
Eine Mutter-Kind-Beziehung unter schwierigsten Bedingungen und in einer Landschaft, die wir nur mit Bergromantik, Apfelblüte und warmem Sonnenschein verbinden, dazu in einer Zeit höchster politischer Brisanz.
Eva in der Apfelkiste – und die Freiheit Südtirols
Fast scheint es schon vergessen, dass die deutschsprachigen Südtiroler nach dem 1. Weltkrieg gegen ihren Willen Italien zugesprochen wurde. Aber 1961 war der Widerstand noch heftig: In der sogenannten Feuernacht sprengten Freiheitskämpfer, verharmlosend »Bumser« genannt, beispielsweise Strommasten. Die italienischen Behörden verhafteten sie, folterten sie, schlugen sie zu Krüppeln, steckten sie für Jahre ins Gefängnis; einige starben. Noch heute wird der Befreiungskampf im Südtiroler Heimatbund vorangetrieben – doch wer hat je von der Feuernacht gehört? Wer kennt die Mailänder-Prozesse? Ist dieses Thema einfach nur vergessen, oder wird es bewusst heruntergespielt? Francesca Melandri versetzt uns in ihrem Roman »Eva schläft« in jene unruhige Zeit der jüngeren Geschichte Norditaliens.
Neben der politischen Entwicklung flicht sie einen fiktionalen Handlungsstrang um die 20-jährige Gerda, die ein uneheliches Kind erwartet. Nur dem Chefkoch Naumann hat sie es zu verdanken, dass sie als schwangere Hilfsköchin im Hotel geduldet wird. Die distinguierte Hotelbesitzerin Mayer, eine klassische arische Schönheit, führt ihr Haus mit strenger, alles kontrollierender Hand. Mit Gerda trifft sie eine Abmachung: Von diesem Baby darf man nichts sehen und nichts hören – niemand darf gestört werden. So schläft Eva, das Neugeborene, in einer Apfelkiste.
Doch bald kann Eva laufen, und Gerda muss schleunigst eine Betreuung organisieren. Die Suche nach einer neuen Bleibe ist anrührend beschrieben. Von ihrer Familie wird sie abgewiesen, und im Kloster wird Eva nur aufgenommen, wenn Gerda einer Adoption zustimmt. Schließlich ist eine Großfamilie bereit, sich um das Kind zu kümmern. Hier wird sie aufwachsen – weitgehend ohne ihre Mutter, denn nur zwei Monate im Jahr (Gerdas arbeitsfreie Zeit) bleiben den Beiden ...
Es ist kaum vorstellbar, wie schwer es gewesen sein muss, unter solchen Umständen ein uneheliches Kind zu bekommen und großzuziehen, wenn alle um einen herum unzweifelhaft der Auffassung sind, dass die junge Frau sich versündigt habe und ihre Familie sie deshalb zu Recht ablehnt.
Eine Mutter-Kind-Beziehung unter schwierigsten Bedingungen und in einer Landschaft, die wir nur mit Bergromantik, Apfelblüte und warmem Sonnenschein verbinden, dazu in einer Zeit höchster politischer Brisanz – diese Kombination verspricht höchsten Lesegenuss. Hervorzuheben ist der differenzierende, detaillierte Sprachstil der Autorin. Sie schildert eindringlich und für den Leser sehr gut nachvollziehbar die Lebensumstände ihrer Figuren.
Buchtipps zur selben Thematik:
• Marco Balzano: »Resto qui«
• Sepp Mall: »Wundränder«