Rezension zu »Wundränder« von Sepp Mall

Wundränder

von


Belletristik · Haymon · · Taschenbuch · 176 S. · ISBN 9783852188751
Sprache: de · Herkunft: at · Region: Südtirol

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Der Südtiroler Freiheitskampf – eine vergessene Historie

Rezension vom 15.04.2011 · 18 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Das rückwärtige Cover von Sepp Malls "Wundränder" gibt dem Leser einen knappen Einblick in den historischen Hintergrund seines Romans: den Südtiroler "Freiheitskampf". Doch wer von uns Lesern weiß schon, dass Südtirol nach dem 1. Weltkrieg gegen den Willen seiner deutschsprachigen Einwohner Italien zugesprochen wurde? Danach wurde die massenweise Zuwanderung von Italienern staatlich gefördert, um die Südtiroler nach und nach zu einer Minderheit in dieser Region zu reduzieren. Italienisch wurde Amtssprache, und sogar in den Schulen wurde der Deutschunterricht verboten. Die Frustration gegen diese Politik entlud sich in Bombenattentaten. 1961 sprengten Freiheitskämpfer, verharmlosend "Bumser" genannt, in der sogenannten Feuernacht etliche Strommasten.

Die verkürzte Information dient dem besseren Verständnis des Romans, denn Sepp Mall verzichtet in seinem Werk völlig auf die politisch-historische Ebene. Der Autor wurde selbst in Südtirol (in Graun) geboren, seine Vorfahren sind sicher Zeitzeugen (das Buch hat er seinem Vater gewidmet), die Vergangenheit seiner Heimat wird er verinnerlicht haben, und auch in Österreich werden die Entwicklungen präsenter sein als in Deutschland.

In 42 Kapitelchen beschreibt Mall das Schicksal zweier Familien in den ereignisreichen Siebziger Jahren.

Der Roman beginnt mit der Aussage des 12-jährigen Paul (des Protagonisten), "sein Vater habe sich in Luft aufgelöst". Er versteht nicht, warum sein Vater verhaftet wurde. Jetzt weint die Mutter oft, spricht leise mit sich selbst, äußert dabei Vorwürfe - sie weiß mehr, als sie ihrem Sohn offenlegen kann oder darf. Der Vater werde bald wiederkommen, tröstet sie ihn, und Paul ist ohnehin überzeugt, dass er nichts Verbotenes getan habe. Aber Freund Herbert gibt zu bedenken, dass man nicht wegen nichts ins Loch komme - und Herbert weiß viel mehr, auch über Politisches. Doch Fragen zu stellen traut Paul sich nicht; die Welt der Erwachsenen hat für Kinder keinen Zugang.

Vater wird tatsächlich entlassen. Er hat sich verändert, ist jetzt allen fremd. Wieso regt er sich so auf, als Paul dummerweise den Namen Salvatore erwähnt? Der sonst apathische Vater droht Maria, sie eigenhändig zu erschlagen, wenn sie sich mit so einem einlässt. Erstmals kommt eine kurze Erklärung der Mutter, er sei doch von denen eingesperrt worden. Ob Paul jetzt versteht?

Der Erzähler formuliert in kurzen, einfachen Sätzen, was die Identifikation mit Paul erleichtert. Die unpersönlichen Bezeichnungen - "der Vater", "die Mutter" - spiegeln die Gefühlskälte und die zwischenmenschliche Distanz. Dass Paul, Freund Herbert und Schwester Maria kaum Berührungsängste zu Italienern haben, außer Haus anders leben, als der Vater es gutheißen würde, schmerzt einerseits; andererseits macht es Mut, dass ein vorurteils- und aggressionsfreies Miteinander für zukünftige Generationen möglich sein wird.

Die zweite Familie stammt von einem Bauernhof, hoch oben in den Bergen gelegen. Tochter Johanna verlässt mit ihrem jüngeren Bruder Alex den elterlichen Hof. Alex hat eine schwere Kindheit hinter sich: Mit einem angeborenen Sprachfehler belastet (er stottert), hat ihn der Vater seit jeher für minderwertig erachtet und häufig verprügelt. Johanna wird ihn in der fremden Stadt mit der fremden Sprache beschützen. Schnell findet sie dort eine Anstellung als Krankenschwester, und der Bruder kann als Elektriker arbeiten. Er lernt neue Freunde kennen, wird männlicher, entschlossener, entfernt sich auch von seiner Schwester. Als er schließlich bei einer Explosion ums Leben kommt, ist er für Johanna ein Unbekannter geworden - ein Bombenbastler, ein Attentäter, der den Namen des Bruders trägt. Nie hatte sie bemerkt, dass er zwei Leben führte, und so hatte sie ihn auch nicht vor dem Tod bewahren können. Nun ist sie kaum fähig, ihre Schuldgefühle zu ertragen.

Sepp Malls Sprachstil ist außergewöhnlich eindringlich. Je sensibler, zurückhaltender, schlichter er formuliert, desto stärker berührt den Leser das unbeschreibliche Leid der Hinterbliebenen, die nie etwas Böses getan haben, die nichts ahnen konnten und die nun Schmerz aushalten müssen. Still und langsam verknüpft Mall beide Handlungsstränge miteinander. Am Schluss begegnen sich Paul und Johanna auf der Krankenstation. Unfähig zu kommunizieren, schließen sie einander kurz in die Arme, während Johanna ihm über den Kopf streichelt und einen Namen flüstert.

Der Buchtitel "Wundränder" ist eine passende Metapher. Wie Einritzungen in Baumrinden sich nie ganz schließen, werden auch die emotionalen Verletzungen der Familien nie rückstandslos verheilen.

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• Marco Balzano: »Resto qui«
• Francesca Melandri: »Eva schläft«


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