Das unvorstellbare Verbrechen
In Oslo hat ein Serienmörder zwei Frauen bestialisch getötet. Dabei folgte er dem Muster des legendären »Schneemanns«. Die Mordermittlerin, Kaja Solness, fliegt nun nach Hongkong, um Kontakt mit Harry Holes aufzunehmen, dem Einzigen, der sich mit dieser Art Serientätern auskennt und der auch den »Schneemann« gefasst hatte. Schlimmer noch: Er war damals sogar persönlich involviert, denn seine Ex-Lebensgefährtin Rakel und ihr Sohn Oleg waren in die Fänge des verrückten Mörders geraten. Heute ist er ein menschliches Wrack: Abhängig von Drogen und Alkohol, belastet von Wettschulden, bedroht durch die Mafia, lebt er als Underdog in den Slums von Hongkong. Dort findet ihn Kaja zwar, doch gelingt es ihr nicht, ihn, mit Pass und Flugticket ausgestattet, nach Oslo zurückzuholen.
Einen kleinen Vorgeschmack auf die kriminelle Phantasie des Autors erhält der Leser direkt zu Buchbeginn: Eine Frau sitzt gefangen in einem kalt-feuchten, dunklen Betonverlies. In ihrem Mund befindet sich ein Fremdkörper, eine Kugel mit einem roten Draht. Sie weiß, was ihr Peiniger, der Leopard, gesagt hat: »Rühr den Draht nicht an.« Aber sie kann nicht anders, und was nun folgt, ist, in der hier beschriebenen Grausamkeit, das pure Entsetzen.
In einem kursiv gedruckten Textteil philosophiert eine Ich-Figur über die Frage, warum ein Mensch zum Mörder wird. Ist es eine angeborene Überlebensstrategie, rationeller Wahnsinn oder was ...? Dabei betrachtet er Zeitungsausschnitte mit bluttriefenden Details einzelner Leichenfunde.
Jo Nesbø hat mit brilliantem literarischem Vermögen handelnde Personen mit ihren Gefühlen, Gedanken und Charakteren kreiert. Dabei wird besonders Harry Holes zur Zentralfigur des Lesers werden. Wie kann er als Kontaktmann, trotz – oder gerade wegen – seiner kriminellen Verflechtungen, bei der Aufklärung der Morde behilflich sein?
Der bisher beschriebene Handlungsort Hongkong verspricht einen unerschöpflichen Rahmen für jede Art von Kriminalität. Es ist ein riesiger Moloch, ein melting pot. Menschen aller Hautfarben, Nationalitäten und Religionen treffen hier aufeinander. Sie leben in gigantischen Hochhäusern, Marmorpalästen – oder in Packkartons und Käfigen. Der kriminelle Sumpf ist uferlos. »Leopard« – ein Topthriller, den man nicht so leicht vergisst.